Aktuell ist anlässlich der Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht wieder die Frage ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, ob die Abtreibung eines noch nicht geborenen Kindes erlaubt werden soll. Die Strafbarkeit nach § 218 StGB ist ja jetzt schon nach § 218a StGB1 bei Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen, unter Umständen sogar zweiundzwanzig Wochen nach der Empfängnis abgeschafft. Starke gesellschaftliche Kräfte fordern die völlige Beseitigung der Rechtswidrigkeit von Abtreibungen, also ihre Legalisierung bis zur Geburt. Das bedeutet die Auffassung, dem ungeborenen Kind komme überhaupt noch keine Menschenwürde zu, die es davor schütze, wie eine Sache, ein Tier, behandelt zu werden. – Was liegt solchen Gedanken zugrunde?
Die aktuelle Situation
Die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch (AfD) hatte sich in der Fragestunde des Bundestages vom 10.7.2025 mit folgender Frage direkt an Bundeskanzler Merz gewandt:
„Ich frage Sie, ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist. Frau Brosius-Gersdorf hat gesagt, dass einem Kind, das neun Monate alt ist, zwei Minuten vor der Geburt keine Menschenwürde zukommt. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, diese Frau zu wählen, wissend, dass vermutlich diese Dame in Kürze über die Abschaffung des § 218 StGB abstimmen wird?“
Darauf antwortete Friedrich Merz wörtlich:
„Auf Ihre hier gestellte Frage ist meine ganz einfache Antwort: Ja.“ 2
Nun wird bestritten, auch von Frau Brosius-Gersdorf selbst, dass sie sich in dieser Weise geäußert habe. Ein solcher Vorwurf sei falsch und diffamierend.
Aber fest steht, dass sie am 10. Februar 2025 vor dem Rechtsausschuss des Bundestages gesagt hat:
„Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“ 3
Schon 2024 hatte sie, worauf Dr. Johannes Hartl hinweist, in einem Fachaufsatz geschrieben:
„Die Annahme, dass Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss.“ 4
Und weiter heiße es dort, vermerkt Dr. Hartl unterhalb seines Videos, „es gebe gute Gründe für die Annahme, dass die Menschenwürde erst ab der Geburt gelte.“
Sie hat also nicht geschrieben und gesagt, es gebe Gründe (anderer), sondern es gebe gute Gründe. Damit hat sie diese Gründe persönlich bewertet, für gut befunden und sich zu eigen gemacht. Es ist ihre Auffassung, die Menschenwürde gelte erst ab der Geburt.
Die Formulierung von Beatrix von Storch ist überspitzt, aber im Kern zutreffend.
Dieser Auffassung hat die SPD mit der Nominierung von Frau Brosius-Gersdorf zugestimmt, ebenfalls ausdrücklich Bundeskanzler Merz und durch die Unterstützung der SPD-Nominierung die meisten Abgeordneten der CDU/CSU sowie auch wohl die meisten Grünen und Linken.
Die Menschenwürde
Die Menschenwürde kommt jedem Menschen allein deswegen zu, weil er ein Mensch ist, also der menschlichen Gattung angehört, weil er das Allgemein-Menschliche repräsentiert, unabhängig davon, aus welcher Rasse, welchem Volk, Stamm, welcher Familie oder sonstigen sozialen Gruppe sein Leib stammt und ob dieser Leib weiblichen oder männlichen Geschlechtes ist. Das Allgemein-Menschliche steht über den leiblichen Differenzierungen. Der Mensch erfasst es in seinem innersten geistigen Wesen, auf das er mit dem Wörtchen Ich hindeutet. Jeder ist ein Mensch, insofern er ein Ich ist, so unterschiedlich der physische Leib auch sein möge.
Der Mensch ist die Krone aller irdischen Wesen. Das Tier ist leiblich horizontal der Erdenschwere verhaftet und wird seelisch von Instinkten und Trieben gesteuert. Der Mensch aber erhebt sich mit seinem Leibe in die Aufrechte, in der er den Schwerekräften mit den Fußsohlen nur einen äußerst geringen Ansatzpunkt bietet, und er kann sein Handeln aus den gedanklichen Erkenntnissen seines Geistes frei lenken. Der Handelnde ist nicht der Leib, sondern der Geist des Menschen, der den Leib aus der Horizontalen in die Aufrechte erhebt und als sein irdisches Instrument dirigiert. Das Wesen des Menschen besteht also darin, dass er ein geistiges Wesen ist.
Die Würde des Menschen ist daher die Würde des menschlichen Geistes, der sich in einem geeigneten Leibe zum Ausdruck bringt. Daher nimmt natürlich auch sein Leib an der Menschenwürde teil. Der Geist des Menschen darf nicht über seinen Leib, in dem er sich manifestiert, angegriffen und damit in seiner Würde verletzt werden.
Die Entwicklung des Leibes
Wenn der Leib Ausdruck, Hülle und Instrument menschlichen Geistes ist, muss er vom Geiste dazu aufgebaut worden sein, sonst könnte er für seine Aufgaben nicht geeignet sein. Woher soll auch die Fähigkeit des Leibes, dass sich der menschliche Geist in ihm zum Ausdruck bringen und seine Intentionen durch ihn verwirklichen kann, anders kommen, als dass der Geist selbst ihn dazu allmählich gebildet hat?
Wenn wir also den Embryo bzw. Fötus des menschlichen Leibes im Mutterleibe heranwachsen sehen, muss der Geist des Menschen bereits vorhanden sein, der ihn, zusammen mit höheren Wesen, nach der Befruchtung der weiblichen Eizelle aus einem geistigen Dasein heraus zur Entwicklung bringt und sich immer mehr mit ihm verbindet.
Die Menschen werden aber nicht nur in ihrem leiblichen, sondern auch in ihrem seelisch-geistigen Wesen unterschiedlich geboren. Das erlebt hautnah jede Mutter und jeder Pädagoge. Und durch die unterschiedliche Seelengestalt wird auch der Leib, wie wir beobachten können, im Rahmen der allgemein menschlichen Form unterschiedlich gestaltet. Kein menschliches Antlitz, keine Körperform eines Menschen sind denen eines anderen vollkommen gleich, auch nicht unter Geschwistern.
Wenn aber der Mensch schon mit der Geburt eine spezifische seelisch-geistige Eigentümlichkeit hat, muss sie vor der Geburt bzw. Konzeption bereits vorhanden gewesen sein. Der menschliche Geist muss also vor der Geburt bereits in einer entsprechenden geistigen Welt existiert haben, aus der er seine besonderen Anlagen, Eigenschaften und Fähigkeiten mitbringt 5, um sich einen entsprechenden physischen Leib aufzubauen, in dem er sich weiterentwickeln kann.
Die Würde des Ungeborenen
Der Embryo bzw. Fötus im Mutterleib ist von Anfang an einem menschlichen Geist zugehörig und bezieht daher von ihm bereits mit der Empfängnis seine Menschenwürde. Er ist weder ein neutraler Zellhaufen, den man einfach wie eine lästige Sache entsorgen, noch gehört er dem Leibe der Mutter an, die über ihn verfügen könnte. Sie stellt ihren Leib im Rahmen der Evolution nur der Inkarnation eines anderen Menschen liebevoll zur Verfügung.
Da selbstherrlich einzugreifen, ist nur möglich, wenn man alle Ehrfurcht vor der Erhabenheit und Heiligkeit dieses geistig-physischen Vorganges verloren hat. Man entscheidet in blinder Brutalität über die irdische Existenz eines anderen Menschen und schneidet ihm seine vorgezeichneten Lebenswege ab, die er für seine Weiterentwicklung benötigt.
Der Materialismus
Letztlich liegt dem die absolute materialistische Weltanschauung und Naturwissenschaft zugrunde, dass die Materie und die materiellen Vorgänge, die wir mit den leiblichen Sinnen wahrnehmen, die einzige Wirklichkeit seien, eine dahinter und darüber liegende geistige Welt gebe es nicht.
Dabei ist schon das Leben der Pflanze materiell nicht erklärbar. Sie nimmt leblose Stoffe aus der Umgebung auf und bringt sie in ständig metamorphosierende Gestalten und Formen, die sie von sich aus niemals annehmen könnten. Ja, sie stemmt in den Bäumen Materie, die der Schwerkraft unterliegt, mit zig Tonnen Gewicht gerade der Schwerkraft entgegen in die Höhe. Es muss hier eine höhere, sinnlich nicht wahrnehmbare, aber in ihren Wirkungen beobachtbare Kraft tätig sein, die sie entgegen ihrer eigenen Natur in diese Form zwingt und am Leben erhält.
Noch höhere Kräfte kommen beim Tier hinzu, welche die reine, an einen Ort gebundene Lebensgestalt in eine beseelte Bewegungsgestalt umformen und einen Innenraum seelischen Erlebens bilden, das durch Sinnesorgane und Reaktionen mit der Außenwelt in Beziehung tritt.6
Zu meinen, dies alles gehe aus rein materiellen Kräften hervor, widerspricht jeder unbefangenen Beobachtung und Vernunft. Es ist das Dogma einer in der Luft schwebenden Theorie, die nicht bewiesen werden kann, sondern an die stur geglaubt werden muss. Es ist die Besessenheit eines Aberglaubens, der mit Wissenschaft nichts zu tun hat.
Das Kuriose dabei ist, dass diese Theorie mit Hilfe von Gedanken aufgestellt wird, die selbst sinnlich nicht wahrnehmbar, sondern unsichtbar sind und nur in einem inneren seelisch-geistigen Denkprozess gebildet werden, deren Wirklichkeit aber behauptet wird. Die Theorie widerspricht sich daher hier schon selbst.
Je mehr der Materialismus Denken, Fühlen und Wollen der Menschen besetzt, desto mehr führt er in die Zerstörung des Lebens und in die Herrschaft des Todes. Mit dem Verschwinden des Geistes verschwindet auch die moralische Verantwortung des Menschen für sein Handeln, denn die moralischen Gesetze sind Entwicklungsbedingungen seines Geistes. Wird sein Geist nicht mehr als Herr von Seele und Leib erlebt, ergreift der selbstsüchtige Egoismus, das Böse, immer mehr von ihnen Besitz.
Die materialistische Vorstellung des ungeborenen Kindes als eines unselbständigen Zellhaufens führt zu seiner Entwürdigung und zu den verbrecherischen Tötungsdelikten.