Arnaud Bertrand
Dies könnte einer der unglaublichsten Berichte sein, die je von einer US-Denkfabrik veröffentlicht wurden – und das will bei der bisherigen Bilanz schon etwas heißen.
Das Hudson Institute hat unter Leitung von Miles Yu, dem Direktor seines China-Zentrums, ein 128-seitiges Strategiepapier mit dem Titel „China nach dem Kommunismus: Vorbereitung auf ein post-kommunistisches China“ vorgelegt. Darin finden sich detaillierte operative Pläne, wie die USA systematisch den Zusammenbruch der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) herbeiführen wollen – mittels Informationskriegsführung, finanziellen Angriffen, subversiver Einflussnahme. Doch es bleibt nicht bei der Destabilisierung: Der Bericht enthält umfassende Pläne zur US-geführten Nachkriegsverwaltung, einschließlich militärischer Besetzung, territorialer Neuordnung und der Errichtung eines den USA unterworfenen Regierungssystems.
Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Weinen angesichts der schieren Arroganz, mit der hier über den Sturz der Regierung eines Viertels der Menschheit geschrieben wird – der wichtigsten Produktions- und Wirtschaftsmacht der Welt. Lachen über den Größenwahn eines Imperiums im Niedergang, das glaubt, China wie ein digitales Reißbrettprojekt kontrollieren zu können, während es nicht einmal in der Lage ist, seine eigene Infrastruktur zu warten oder Kriege wie in Afghanistan, Irak oder Libyen zu gewinnen.
Tatsächlich liest sich das Papier wie ein psychologisches Protokoll – ein Fenster in die verzerrte Weltsicht und Selbstüberhöhung eines untergehenden Imperiums. Politische Soziologen kennen das Muster: Wenn dominante Gruppen ihren Status verlieren, neigen sie zu kompensatorischem Extremismus. So wie die Südstaaten kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg fanatisch an der Sklaverei festhielten, so greift das Hudson-Institut nun nach den radikalsten außenpolitischen Fantasien, um der US-Vorherrschaft künstlich neues Leben einzuhauchen.
Die eigentliche Analyse Chinas in dem Bericht ist realitätsfremd und wertlos. Doch gerade dadurch ist das Dokument aufschlussreich – nicht als politische Strategie, sondern als Beleg für die verzweifelte Hybris, die den amerikanischen Imperialismus in seinem Spätstadium antreibt.
Ein Bericht aus dem Irrenhaus
Kernannahme des Berichts: Das chinesische Volk wartet angeblich nur darauf, von den USA „befreit“ zu werden. Jeder, der die chinesische Geschichte auch nur oberflächlich kennt, weiß, wie absurd diese Vorstellung ist. Die Erinnerung an das „Jahrhundert der Demütigung“, als China unter kolonialer Unterwerfung westlicher Mächte litt, ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Dass die KPCh diese Fremdherrschaft beendete und China wieder zu souveräner Stärke führte, ist eine ihrer zentralen Legitimationsquellen.
Die Vorstellung, China sehne sich nach einer Rückkehr unter westliche Kontrolle, widerspricht diametral allem, was die nationale Identität des Landes prägt. Doch genau das propagiert der Bericht – in einem Maß, das selbst die Kolonialzeit übertrifft: Unterstützung von Separatismus, Tribunale zur Umschreibung der Geschichte, Stationierung von US-Spezialeinheiten in allen Großstädten, Aufbau einer neuen Verfassung unter US-Kontrolle, Umstrukturierung des Finanzsystems, Besetzung des Staatsapparats durch „Experten“.
Kurz: Kolonialismus in Reinform – nur aggressiver, totalitärer und größenwahnsinniger. Die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung scheint völlig abhandengekommen. Während das amerikanische System zerfällt, träumt man vom Umbau einer 5000 Jahre alten Zivilisation.
Ethnische Spaltung als Werkzeug
Ein besonders zynischer Aspekt: Der Bericht empfiehlt die Instrumentalisierung ethnischer Spannungen, um China territorial zu zerschlagen. Dabei geht es nicht um Menschenrechte, sondern rein um geopolitischen Nutzen. Die Unabhängigkeit Xinjiangs wird befürwortet, um China zu schwächen; die Tibets hingegen nicht – zu riskant für die US-Beziehungen zu Indien. Die Menschen vor Ort sind lediglich geopolitisches Material.
Ziel ist laut Bericht eine „kontrollierte Fragmentierung“ Chinas: stark genug, um als Produktionsstandort weiterzudienen, aber dauerhaft zu schwach für eigenständige Machtentfaltung – ein unterwürfiger Markt, gehalten im Gleichgewicht zwischen Chaos und Nutzbarkeit. Genau das, was China seit Jahren als wahre US-Agenda anprangert, wird hier offen ausgesprochen: Teilung, Kontrolle, Beherrschung – nicht aus Sorge um Demokratie, sondern zur Absicherung amerikanischer Dominanz.
Imperiale Verwaltungsfantasien
Besonders entlarvend ist die Idee, man könne den Wandel Chinas mit Organigrammen und Projektmanagement bewältigen. In aller Ernsthaftigkeit wird ein Verfassungskonvent mit 151 bis 201 Delegierten vorgeschlagen – eine bürokratische Farce, als ob man einen Betriebsausflug plant. Der Bericht behandelt den Umbau eines Landes mit 1,4 Milliarden Menschen wie ein Firmenseminar.
Die historische Blindheit ist frappierend: Nach dem Fiasko im Irak, dem Kollaps in Afghanistan, dem Chaos in Libyen glaubt man nun, China umstrukturieren zu können – als hätte man nichts gelernt. Es ist imperiale Hybris in Reinform.
Die große Projektion
Ironisch ist, dass viele Probleme, die China im Bericht angelastet werden – Korruption, Vertrauensverlust, globale Isolation – viel stärker auf die USA selbst zutreffen. Die Glaubwürdigkeit amerikanischer Institutionen ist im Inland auf Tiefststand. Während laut einer Harvard-Studie 95,5 % der Chinesen Vertrauen in ihre Zentralregierung äußerten, liegt das Vertrauen der Amerikaner in ihre Regierung im einstelligen Prozentbereich.
China wächst weiter – auch 2025 um über 5 %, während die US-Wirtschaft schrumpft. Trotzdem warnt der Bericht vor einer bevorstehenden Systemkrise in China – während die Anzeichen für einen Zerfall der USA deutlich sichtbarer sind.
Letztes Stadium imperialer Wahnvorstellungen
Wie jedes Imperium neigt auch das amerikanische dazu, in seiner Endphase seine eigenen Ängste auf den Feind zu projizieren. So planten römische Eliten die Rückeroberung Galliens, während Rom brannte. Osmanische Sultane träumten von Wien, während das Reich implodierte. Und heute planen US-Strategen die Kolonisierung Chinas, während ihre eigene Gesellschaft zerfällt.
Der Bericht des Hudson Institute ist Ausdruck genau dieses Endstadiums: ein Dokument kompensatorischen Extremismus, das jede Maske fallen lässt. Jahrzehntelang tarnte sich der amerikanische Imperialismus mit Rhetorik über Demokratie und Menschenrechte – jetzt liegt das Kalkül offen auf dem Tisch: totale Kontrolle, totale Zerstörung, totale Herrschaft.
In ihrer Verzweiflung haben die Autoren – unbeabsichtigt – das wohl ehrlichste Dokument über das amerikanische Imperium verfasst, das je geschrieben wurde.
Wie eine US-Denkfabrik versehentlich das ehrlichste Dokument über das amerikanische Imperium schrieb