Vertrauen und Unterstützung muss man sich verdienen, nicht schenken. Der Iran muss mehr tun, wenn er Chinas Unterstützung will.
Hua Bin
Viele chinesische Strategen, die weit klüger und besser informiert sind als ich, arbeiten in diesem Moment an diesem Thema. Ich vertraue darauf, dass sie den richtigen Weg finden werden, um die nationalen Interessen Chinas in der aktuellen Krise zu schützen.
Mein bescheidenes Ziel in diesem Aufsatz ist es, eine sachliche und nuancierte Analyse der Situation aus persönlicher Sicht zu bieten. Ich werde mich darauf konzentrieren, mit einigen weit verbreiteten Mythen über die Auswirkungen des Krieges auf China und die Beziehungen zwischen China und dem Iran aufzuräumen. Sobald diese Mythen entkräftet sind, können die Leser Chinas Schritte in den kommenden Wochen und Monaten besser vorhersehen und interpretieren.
Mythos 1: China hat nicht geholfen
Die Realität: China hat die israelische Aggression verurteilt und in verschiedenen Foren ein sofortiges Ende der Feindseligkeiten gefordert: UN-Sicherheitsrat, BRICS, SCO (Shanghai Cooperation Organization) und beim China-Zentralasien-Gipfel. Außenminister Wang Yi rief sowohl seinen iranischen als auch israelischen Amtskollegen an und forderte Deeskalation. Präsident Xi sprach heute mit Präsident Putin, beide verurteilten Israel und forderten eine Waffenruhe.
Der Iran hat bisher nicht öffentlich um Hilfe aus China oder Russland gebeten. Ich glaube jedoch, dass sowohl Präsident Xi als auch Präsident Putin bereit wären, zu vermitteln – wenn der Iran sie darum bittet.
Mythos 2: Wenn der Iran besiegt wird, ist die multipolare Weltordnung gescheitert
Die Realität: Es ist unwahrscheinlich, dass Israel den Iran im Alleingang besiegen kann. Es kann Schaden anrichten (und der Iran würde Vergeltung üben), aber es wird weder das Atomprogramm noch die militärische Infrastruktur vollständig zerstören – und erst recht keinen Regimewechsel erreichen.
Auch ein US-Eingreifen könnte zwar mehr Schaden anrichten, aber Nuklearanlagen lassen sich wieder aufbauen – und es besteht sogar das Risiko, dass der Iran danach erstmals die Bombe willentlich baut.
Ein Regimewechsel ohne Besetzung eines 90-Millionen-Einwohner-Landes ist unwahrscheinlich. Ein Luftkrieg mit Drohnen und Raketen wird das System nicht zum Einsturz bringen. Eher im Gegenteil: Der Krieg könnte nationale Einheit in einer gespaltenen Gesellschaft stiften – wie im Iran-Irak-Krieg der 1980er.
Wenn die Iraner selbst das Regime stürzen und sich den Angreifern zuwenden, sind China oder Russland machtlos. Kein Staat kann eine gebrochene Gesellschaft retten, die sich freiwillig ihrem Zerstörer unterwirft.
Der gesunde Menschenverstand sagt, dass man ein Volk nicht in die Freundschaft bomben kann (obwohl Ausnahmen wie Deutschland, Japan und Vietnam existieren – sie scheinen ihre Vernichtung durch Brand- und Atombomben vergessen zu haben und agieren heute als gehorsame Vasallen).
Ich erwarte, dass Iraner Rückgrat zeigen und wie in den 1980er-Jahren eine vereinte Gesellschaft gegen gemeinsame Feinde werden.
Mythos 3: Wenn China und Russland Iran nicht sofort helfen, verlieren sie moralische Autorität im globalen Süden
Die Realität: Das Gegenteil ist der Fall. Es sind die USA, die ihre letzte moralische Glaubwürdigkeit verspielen, indem sie mit Israel einen klar völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führen – während sie gleichzeitig den Genozid in Gaza decken.
Wenn die Welt tatsächlich Politiker wie den neuen Kanzler Merz unterstützt – der Israel lobt und Waffen liefert, während er die Palästinenser opfern lässt –, dann ist das keine Welt, die China oder Russland retten wollen.
Ob Sieg oder Niederlage in Iran: Der Westen wird zunehmend isoliert – nicht China. Wer das nicht erkennt, hat den Bezug zur Realität verloren.
Sollten die USA tatsächlich in den Krieg eintreten, landen sie wieder in einer Bärenfalle. Wie viele Milliarden Dollar und tote Soldaten haben sie gebraucht, um Taliban oder Saddam zu stürzen? Was kostet dann ein Krieg gegen Iran?
Glaubt jemand ernsthaft, dass danach ein pro-US-Regime im Iran entsteht? Hat das in Irak, Libyen oder Afghanistan funktioniert? Nein – und wer es dennoch glaubt, muss sehr naiv sein.
Mythos 4: Der Iran ist ein zentraler Alliierter Chinas
Die Realität: Nein, das ist er nicht. China hat klare Prioritäten: Taiwan, das Südchinesische Meer, die Grenze zu Indien. Wichtigste Partner: Russland und Pakistan.
Der Iran ist ein wirtschaftlicher Partner – China kauft Öl, verkauft Konsumgüter. China ist für 90 % der iranischen Ölexporte verantwortlich, aber bezieht selbst nur 12–14 % seines Öls aus dem Iran. Die Hauptlieferanten Chinas sind Russland, Saudi-Arabien und der Irak.
Mit dem Aufstieg der Elektromobilität sinkt Chinas Ölabhängigkeit. Der Iran ist wirtschaftlich zweitrangig – vor allem, da er wichtige Projekte wie den Hafen Chabahar an Indien vergeben hat, einen erklärten Gegner Chinas. Und während China 2023 zwischen Iran und Saudi-Arabien vermittelte, revanchierte sich der Iran mit einem strategischen Abkommen mit Neu-Delhi.
Noch schlimmer: Der Iran hat der anti-chinesischen Terrorgruppe BLA Rückzugsräume an der Grenze zu Pakistan geboten – dieselbe Gruppe, die chinesische Arbeiter ermordete und das BRI-Flaggschiffprojekt in Pakistan sabotierte.
China hat dies nie öffentlich kritisiert, aber klar ist: Das Verhältnis ist belastet.
Mythos 5: China sollte lieber jetzt gegen die USA kämpfen – in Iran statt in Ostasien
Die Realität: Das ist Unsinn. Diese Logik stammt von George W. Bush: „Kämpfe gegen den Feind dort, bevor er hierher kommt.“ China würde niemals 7.000 Kilometer entfernt gegen US-Stützpunkte kämpfen – ohne eigene Militärpräsenz vor Ort. Ein strategischer Selbstmord.
China wird den Zeitpunkt des Konflikts selbst bestimmen – wie im Spiel Go, nicht Schach. Das Duell mit den USA wird kommen, aber nicht überhastet. Der Nahe Osten ist strategisch nebensächlich.
Mythos 6: China will die USA als Weltpolizist ablösen und braucht dafür den Iran
Die Realität: China hat kein Interesse, der neue „Sheriff“ der Welt zu sein. Chinesische Außenpolitik basiert auf Pragmatismus, nicht auf Ideologie oder Missionseifer. Bündnisse wie NATO wirken auf China abschreckend – wegen ungleicher Lasten, Streitigkeiten unter Partnern und unberechenbaren Junior-Mitgliedern.
China wird sich nicht an einen unsicheren, wirtschaftlich schwachen Partner wie den Iran ketten. Schon gar nicht, wenn dieser strategisch unzuverlässig ist.
Chinas Politik ist multipolar, aber nicht blind loyal. Peking will auch mit der Türkei, Ägypten und den Golfstaaten gute Beziehungen – diese misstrauen einer zu engen Iran-Bindung.
Fazit:
China wird den Iran nicht blind unterstützen. Vertrauen, strategische Relevanz und Zuverlässigkeit müssen verdient werden. Wer Hilfe will, muss sie sich verdienen. Und das ist nicht Chinas Krieg.
Welche Rolle China im Krieg zwischen Iran und Israel spielen sollte – eine realistische Sichtweise