5. Dezember 2025

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Überwachung aus der Luft: Der nächste Boom beginnt

 

Der Himmel wird zu einer neuen Rechtszone, in der Algorithmen die Regeln schneller schreiben, als Gesetzgeber sie lesen können.

Christina Maas

Das FBI geht wieder auf Drohnen-Shoppingtour. Aber dieses Mal suchen sie nicht nur etwas, das über einem Tatort schweben oder einem flüchtenden Verdächtigen folgen kann.

Laut neuen Beschaffungsdokumenten der Bundesregierung möchte das Bureau künstliche Intelligenz an seine unbemannten Luftsysteme schrauben – eine Innovation, die weniger nach Polizeiarbeit und mehr nach einem Silicon-Valley-Betatest für eine Dystopie klingt.

Am Donnerstag veröffentlichte das FBI das, was es „Request for Information“ nennt – Regierungen-Sprech für: Sagt uns, welche coolen Spielzeuge ihr habt, bevor wir einkaufen gehen.

Die Anfrage listet eine Wunschliste an KI- und Machine-Learning-Technik auf, die Drohnen die Fähigkeit geben könnte, Gesichter zu erkennen, Nummernschilder zu lesen und sogar Waffen aus der Luft zu entdecken.

Die Vision des Bureaus wirkt wie eine PowerPoint-Folie für Risikokapitalgeber – eine KI-verstärkte Flotte, die theoretisch einen Flüchtigen aufspüren oder einen Schützen identifizieren könnte.

Es ist ein Rezept für Massenüberwachung mit plausibler Bestreitbarkeit.

Polizeibehörden auf allen Ebenen haben Drohnen liebgewonnen. Sie sind vergleichsweise billig, brauchen keine Überstunden und reden nicht zurück.

Vom Notfalleinsatz bis zur Grenzkontrolle haben Ordnungskräfte sie eifrig in den täglichen Betrieb integriert. Die Aufsicht hinkt jedoch meist der Begeisterung hinterher.

In New York City ist der Drohneneinsatz der NYPD explodiert. Ein Bericht des Surveillance Technology Oversight Project stellte fest, dass wenig getan wurde, um sicherzustellen, dass die Behörde innerhalb verfassungsrechtlicher Grenzen bleibt.

Die Erkenntnisse spiegeln ein breiteres Muster wider: Überall wo Drohnen auftauchen, verschwindet Verantwortlichkeit leise.

Das Drehbuch ist alt. Während der Proteste und Unruhen 2020 nach dem Tod von George Floyd schickte das Department of Homeland Security Drohnen, um Demonstrationen in Minneapolis aufzuzeichnen, später sogar in mindestens 15 Städte.

Der U.S. Marshals Service machte mit und flog Überwachungsdrohnen über Demonstrierende in Washington, D.C.

Was Analysten am meisten beunruhigt, ist nicht die Effizienz des Systems – sondern die unvermeidlichen Fehler. KI-Systeme identifizieren Gesichter falsch, lesen Objekte falsch und erfinden Bedrohungen, die nicht existieren.

Trotz wiederholter Fehlschläge privater Anbieter, solche Technologien selbst am Boden zuverlässig zu machen – geschweige denn von einer fliegenden Drohne aus – führt das Bureau in seiner Anfrage dennoch Waffenerkennung als gewünschtes Feature auf.

KI-gesteuerte Drohnen bieten der Regierung, was sie immer wollte: Allgegenwärtigkeit ohne Papierkram. Sobald eine Maschine Gesichter, Nummernschilder oder „verdächtige Objekte“ identifizieren kann, gibt es keinen Grund, dass sie aufhört. Der Datenfluss ist endlos, die Rechtfertigung dauerhaft.

Jede Überwachungsausweitung beginnt mit demselben Pitch: Effizienz, Sicherheit, Modernisierung – und endet damit, dass jemand behauptet, das Werkzeug sei niemals für die Überwachung der Bevölkerung gedacht gewesen. Bis es doch dazu wird.

Drohnen werden zum begehrtesten Überwachungstool. Nicht nur für das FBI oder Polizeibehörden, sondern für die Unternehmen, die ihnen verkaufen.

Das polizeiliche Überwachungs-Startup Flock Safety kaufte kürzlich (und leise) das Drohnen-Startup Aerodome für über 300 Millionen US-Dollar, so Quellen aus der Venture-Capital-Szene.

Die Zahl war zuvor nicht öffentlich bekannt – was viel darüber aussagt, wie schnell sich die Überwachungsindustrie bewegt, wenn niemand hinschaut.

Beide – Flock Safety und Aerodome – teilen denselben Geldgeber: Andreessen Horowitz. Zusammen haben sie über 700 Millionen Dollar Risikokapital eingesammelt.

Aerodome-Gründer Rahul Sidhu, ein ehemaliger Polizist, startete das Unternehmen erst vor 17 Monaten. Er nannte es stolz einen „American Dynamism speed-run“ – eine Anspielung auf die national-sicherheitsfreundliche Investitionsmarke seiner Financiers. Mit anderen Worten: Ein Silicon-Valley-Patriotismusprojekt mit Geschäftsmodell.

Sidhu bezeichnete den Verkauf auch als Meilenstein. „Unsere Übernahme ist nicht das Ende von Aerodome, sondern der Beginn eines goldenen Zeitalters im Bereich der öffentlichen Sicherheitstechnologie“, schrieb er. Heißt: Die Kameras werden besser, die Drohnen schneller und das Geld fließt.

Aerodome entwickelte Software, die Drohnen als Ersthelfer betreibt. Das Konzept: Bei einem 911-Notruf startet automatisch eine Drohne, fliegt zum Einsatzort und streamt Live-Bildmaterial an die Polizei, noch bevor Beamte eintreffen.

Das bedeutet schnellere Reaktionszeiten und sicherere Einsätze. Es bedeutet auch: Der Himmel füllt sich mit Kameras über Wohngebieten, die nie darum gebeten haben.

Flock Safety hat sich durch Nummernschildleser und Schusssensoren bereits unersetzlich gemacht. Mit der Übernahme von Aerodome erhält es nun Zugang zu einer weiteren Schicht Überwachung.

Das Unternehmen plant, innerhalb eines Jahres eine eigene Drohnenlinie zu veröffentlichen und will 100 zusätzliche Ingenieure für die Luftfahrtsparte einstellen.

Der Schritt bringt Flock Safety in direkte Konkurrenz mit Skydio, einem weiteren Drohnenhersteller, ebenfalls unterstützt von Andreessen Horowitz.

In der Überwachungsökonomie ist es ein einziges Familienfest.

Garrett Langley, Gründer und CEO von Flock, bezeichnete die Expansion als unausweichlich. „Jeder, der ein ‘Drohne-als-Ersthelfer’-Programm gesehen hat, weiß, dass diese Technologie eine zentrale Rolle in der Zukunft der öffentlichen Sicherheit spielen wird“, sagte er in einem Unternehmensblog.

„Keine andere Technologie verschafft Ordnungskräften schneller einen Blick auf den Einsatzort als eine Drohne.“

Er hat nicht Unrecht, was die Geschwindigkeit betrifft. Was unerwähnt bleibt: Was passiert, wenn diese Augen nie mehr blinzeln.

Die Verschmelzung von KI, Drohnen und Risikokapital hat eine Industrie geschaffen, die Allwissenheit als Dienstleistung verkauft. Jede Innovation wird mit denselben Schlagworten präsentiert: schnellere Reaktion, smartere Polizei, sicherere Straßen.

Moderne Polizeidrohnen können bereits, wofür früher ein Hubschrauber, ein Pilot und ein Durchsuchungsbefehl nötig waren. Wärmebildtechnik erlaubt es ihnen, Menschen in Dunkelheit oder Waldstücken zu verfolgen.

Eine Beschaffungsakte des Department of Homeland Security von 2024 listet Drohnen, die Körperwärme aus über einem halben Kilometer Entfernung erkennen können. Technologie, ursprünglich gebaut für Militäreinsätze, nun als Rettungshilfe für Behörden verkauft.

Der nächste Schritt ist Gesichtserkennung aus der Luft. Unternehmen wie Skydio und Brinc Drones testeten hochauflösende Bildgebung, die sich mit biometrischen Datenbanken verbinden lässt – eine Funktion, die es Drohnen ermöglichen würde, Personen bei Demonstrationen oder Veranstaltungen in Sekunden zu identifizieren.

Die Systeme sind noch nicht zuverlässig – was ihren Einsatz nicht verhindert. Polizeibehörden von Chula Vista bis Miami testen bereits Bildabgleich-Prototypen.

Dann gibt es die Ohren. Akustik-Sensoren, eine Technologie abgeleitet vom Schusserkennungs-System ShotSpotter, ermöglichen es Drohnen, laute Geräusche inklusive Stimmen zu lokalisieren.

Offiziell um Schüsse zu erkennen – doch Richtmikrofone können ebenso Sprache aus der Ferne aufzeichnen, warnen Analysten.

Waffenerkennungssysteme, das neueste KI-Verkaufsargument, schleichen sich ebenfalls ein. Die jüngste FBI-Anfrage erwähnte genau das – KI, die Waffen aus der Luft erkennen kann.

Bewiesen ist die Funktion nicht. Das Interesse bleibt jedoch ungebremst. Eine Drohne, die eine Waffe fälschlicherweise erkennt, könnte eine tödliche Reaktionskette auslösen – schneller, als ein Mensch eingreifen könnte.

Weniger öffentlich sichtbar wächst eine andere Fähigkeit: Abfangen von Mobilfunksignalen. In Militärkreisen als „IMSI-Catcher“ oder „Stingrays“ bekannt, imitieren solche Geräte Mobilfunkmasten, um Gerätekennungen und Standortdaten zu sammeln.

Bodenbasierte Varianten setzt die Polizei seit Jahren ein. Auf Drohnen montiert würde sich ihre Reichweite vervielfachen.

Nicht alles an dieser Technologie stammt aus den USA. Der chinesische Hersteller DJI dominiert weiterhin den US-Drohnensektor – trotz politischer Debatten über Datensicherheit.

Der Kongress drängt auf Verbote, weil Videomaterial angeblich an ausländische Server gelangen könnte.

Dennoch bleiben DJI-Drohnen Standardausrüstung vieler Polizeibehörden – wegen Preis und Zuverlässigkeit.

Nun drängen Rüstungsfirmen nach. Lockheed Martin und Raytheon – bekannt für Marschflugkörper und Radarsysteme – beginnen, Militärdrohnen für Polizeizwecke umzubauen.

Ihre Schlagworte: „situational awareness“, „threat detection“. Die Technologie stammt aus Kriegsgebieten.

Für Polizeibehörden sind Drohnen eine günstige Alternative zum Hubschrauber.

Für Risikokapitalgeber ein Datengoldschacht.

Für die Öffentlichkeit: Hintergrundrauschen über Parks, Protesten, Wohnsiedlungen.

Jedes neue Drohnen-Feature wird mit denselben Gründen eingeführt: Sicherheit, Tempo, Modernisierung. Jedes erweitert Überwachung ein Stück weiter. Wärmebild wird normal. Gesichtserkennung ebenfalls. KI-Nachverfolgung bald Standardverfahren.

Technischer Fortschritt wird verkauft – doch was wächst, ist Macht über öffentlichen Raum.

Drohnen haben den offenen Himmel zur nächsten Überwachungsebene gemacht – ohne richterlichen Beschluss, ohne Ankündigung, bald auch ohne menschliche Steuerung.

Wenn Maschinen alles sehen können, lautet die Frage nicht mehr, was sie sehen.

Sondern was sie zu bemerken beschließen.

 

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