11. August 2025

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„Süchtig, krank, überfordert“ – Die Wahrheit über Kinder und Bildschirmkonsum

 

Sie sind allgegenwärtig und sie verändern uns: Mobilgeräte – Smartphones, Tablets und Co. senken nicht nur unsere Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung, sondern gefährden nachweislich auch die Entwicklung unserer Kinder. Wissenschaftler warnen vor massiven Langzeitschäden und kritisieren eine Politik, die den digitalen Konsum zu lange verharmlost hat.

Von Guido Grandt

Wer kennt sie nicht – Menschen, ob jung oder alt, die so vom Handy abgelenkt sind, dass sie ihre Umwelt gar nicht mehr (richtig) wahrnehmen, mitunter sogar dabei verunfallen?

 

„Brain-Drain-Effekt“

Tatsächlich reduzieren Smartphones nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern gleichermaßen auch die Gedächtnisleistung. Seit dem Jahr 2017 ist diese Auswirkung in der Wissenschaft als sogenannter „Brain-Drain-Effekt“ bekannt.

Diese Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungsreduzierung wird unter anderem durch die im September 2023 veröffentlichte Meta-Studie eines Forschungsteams der Universität Augsburg bestätigt. Dabei wurde festgestellt, dass schon alleine die bloße physische Präsenz des Smartphones die kognitive Leistungsfähigkeit der Benutzer beeinflusst. Mit schuld daran sind Abhängigkeitsmechanismen.

Klaus Zierer, Erziehungswissenschaftler und Lehrstuhlinhaber für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, meint dazu: „Menschen, die bereits viel Zeit mit ihrem Smartphone verbringen, sind von der Abwesenheit des Smartphones mittlerweile sogar mehr gestresst als von der Anwesenheit.“ Traurig, aber wahr!

 

„Handyenthaltsamkeit“ für Bundestagsabgeordnete

Übrigens: Auch gewählte Abgeordnete im Bundestag hören den Rednern oft gar nicht zu, weil sie so vertieft in ihre Smartphones sind. Selbst auf der Regierungsbank. Das bewog beispielsweise die damalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Oktober 2022 sogar zur Anmahnung einer „Handyenthaltsamkeit“ im Plenarsaal.

Konkret sagte sie: „Man muss sich bewusst machen, wie das bei Bürgerinnen und Bürgern ankommt, wenn auf der Regierungsbank oder im Parlament permanent mit dem Handy gearbeitet wird.“ Die Menschen hätten den Eindruck, dem jeweiligen Redner werde gar nicht zugehört.

 

So gesundheitsschädlich sind Bildschirmmedien für Kinder

Einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen warnen eindringlich vor einem frühzeitigen Umgang von Kindern mit Smartphone und Tablet, da ein solcher die Gehirnentwicklung und die körperliche und psycho-soziale Entwicklung beeinträchtigt.

So steht es beispielsweise in der „Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend“ vom Juni 2023, die als gemeinsame Empfehlung von elf deutschen Fachverbänden aus Medizin und Psychologie publiziert wurde (federführend war dabei die deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ).

In den ersten drei Lebensjahren finden wesentliche Prozesse der neuronalen Reifung und Strukturierung des kindlichen Gehirns statt, die in vielen Bereichen auch abgeschlossen werden. Insbesondere in der sensomotorischen Entwicklung.

Aufgrund von negativen Folgen für alle Entwicklungsparameter der Kinder wird von einem frühen Bildschirmgebrauch abgeraten. Diese äußern sich in: Bewegungsmangel, Übergewicht, Schlafstörungen, Augenerkrankungen, unterentwickelter Feinmotorik, Sprach-, Lese- und Kognitionsdefiziten, Empathieverlusten, Realitätsfluchten sowie weiteren psycho-sozialen Schädigungen, insbesondere durch (später) unverarbeitetes Konsumieren von Porno- und Gewaltdarstellungen, Mobbing und anderen traumatischen Erlebnissen.

 

Frappierende gesundheitliche Auswirkungen auf Kleinkinder

Letztlich gilt: Je mehr Zeit Kinder mit Bildschirmmedien verbringen, desto weniger Zeit bleibt für entwicklungsförderliche Aktivitäten. Ebenso entfallen kreative Perioden der Stille und des Sinnierens. Dafür kommt es zu einer Reizüberflutung, die wiederum Stress für die Psyche und damit für die Gehirnentwicklung bedeutet.

Dabei sind die negativen gesundheitlichen Auswirkungen gerade in der Kleinkindzeit frappierend! Zum Beispiel: Regulationsstörungen, Bindungsstörungen, Verhaltensstörungen, Entwicklungsstörungen, insbesondere der Sprache und Kognition.

 

Das Dilemma mit der „digitalen Sucht“

Digitale Geräte, Apps, Software und Spiele sind auf Sucht programmiert, deren Mechanismen sich viele Erwachsene, vor allem aber Kinder nicht entziehen können. Deshalb steigt die Smartphone- und Internetsucht massiv an.

Laut einer Pressemitteilung der DAK vom März 2023 hat sich insbesondere während der Corona-Pandemie die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen verdoppelt. Über sechs Prozent der Minderjährigen sind davon betroffen.

600.000 Jungen und Mädchen zeigen derweil ein pathologisches Nutzungsverhalten. Und rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche weisen eine „problematische Nutzung“ bei Computerspielen oder sozialen Medien auf.

 

Digitale Medien verbessern das Lernen nicht

Dabei ist auch das Narrativ der Industrie, digitale Medien würden das Lernen verbessern, falsch!

Die Studie „Global education monitoring report summary, 2023: technology in education: a tool on whose terms?“ der UNESCO sowie Experten wie etwa der Schulpädagoge Klaus Zierer oder der Medienwissenschaftler  Ralf Lankau kommen vielmehr zu dem Schluss: „Die Behauptung, digitale Medien würden das Lernen verbessern, ist durch keine Studie belegt, sondern eine Behauptung der Industrie. Das Gegenteil ist der Fall.“

Auch hier werden neurobiologische Gründe angeführt: Während der Phase des dynamischen Gehirnwachstums bei Kindern verzögern digitale Medien mitunter die Gehirnentwicklung, führen zu geringerem Lernzuwachs, geringeren Lese- und Schreibfähigkeiten, geringerer Konzentrationsfähigkeit und Impulskontrolle bis in die Pubertät hinein.

Bei Drittklässlern bleibt durch starke Handynutzung sogar die Raum-Zeitverrechnung im Stirnhirn unterentwickelt.  Im Jahr 2022 wurde die IQB-Bildungsstudie zu Viertklässlern veröffentlicht, die des Weiteren bestätigt, dass die Lernleistungen dadurch massiv einbrechen.

Fachleute warnen eindringlich: Vor dem 12. bis 14. Lebensjahr sollten Bildschirmmedien in der Erziehung gänzlich vermieden werden.

 

„Bildschirme haben in Vorschulen nichts zu suchen“

Die schwedische Regierung machte ihre Entscheidung, Vorschulen verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten, wieder rückgängig. Grund dafür war ein Gutachten der Karolinksa-Universität.

Die Partei der Liberalen erklärte am 1. Juli 2023 dazu: „Es ist offensichtlich, dass Bildschirme große Nachteile für kleine Kinder haben. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung. Zu viel Bildschirmzeit kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen und die körperliche Aktivität verdrängen.“ Und weiter: „Wir wissen, dass menschliche Interaktion für das Lernen in den ersten Lebensjahren entscheidend ist. Bildschirme haben in Vorschulen einfach nichts zu suchen.“

Mit aus diesen Gründen hat Schweden sich entschieden, die Nutzung von Mobiltelefonen und anderen elektronischen Geräten in Schulen stark einzuschränken. Seit Juli 2022 gibt es ein Gesetz, das es den Lehranstalten erlaubt, Handys und Co. während des Unterrichts und in den Pausen zu verbieten, wenn dies die Lernumgebung stört. Damit haben Schulen mehr Befugnisse, Verbote durchzusetzen.

 

Handyverbot an Schulen in der EU

In vielen weiteren EU-Mitgliedsländern gibt es Bestrebungen, die Handynutzung an Schulen zu reglementieren oder zu verbieten, wobei die genauen Regelungen variieren können (z.B. komplettes Verbot auf dem Schulgelände, nur im Unterricht, etc.).

Doch einige EU-Länder haben bereits landesweite Verbote oder sehr strenge Regeln eingeführt:

  • Italien hat im Dezember 2022 ein Verbot von Mobiltelefonen im Unterricht in allen Schulen eingeführt. Ziel ist es, die Konzentration zu fördern und die Ablenkung zu reduzieren.
  • Frankreich hat im September 2018 ein landesweites Gesetz eingeführt, das die Nutzung von Mobiltelefonen in Grundschulen und weiterführenden Schulen (bis zum Alter von 15 Jahren) während des gesamten Schultages (Unterrichtszeit, Pausen, Mittagessen) verbietet. Ausnahmen sind für pädagogische Zwecke oder Notfälle vorgesehen.
  • Griechenland hat ebenfalls ein Handyverbot im Unterricht eingeführt. Schüler müssen ihre Geräte während der Unterrichtszeit ausgeschaltet oder stumm geschaltet in ihren Taschen lassen.
  • In Portugal ist die Nutzung von Mobiltelefonen im Unterricht und während der Prüfungen untersagt, es sei denn, sie werden zu pädagogischen Zwecken eingesetzt und von Lehrkräften beaufsichtigt.
  • In den Niederlanden gilt ab dem Schuljahr 2024/2025 (also ab Sommer 2024) ein Verbot von Mobiltelefonen, Smartwatches und Tablets im Unterricht an weiterführenden Schulen. Das Verbot wurde als freiwillige Vereinbarung zwischen der Regierung und den Lehranstalten getroffen, mit der Erwartung, dass sich die meisten Schulen daran halten werden. Ausnahmen sind für medizinische Zwecke oder für den gezielten Einsatz im Unterricht vorgesehen.
  • Finnland hat kürzlich Schritte unternommen, um Schulen die Befugnis zu erteilen, die Handynutzung stärker einzuschränken. Ab August 2024 erlaubt eine Gesetzesänderung den Schulen, die Nutzung von Mobiltelefonen und anderen Geräten, die den Unterricht stören, zu verbieten. Es ist kein generelles nationales Handyverbot, sondern eine Stärkung der Befugnisse der Bildungseinrichtungen.
  • In Spanien gibt es kein landesweites, allgemeines Handyverbot. Die Regelungen variieren stark je nach autonomer Gemeinschaft und sogar von Schule zu Schule. Einige Regionen, wie die Region Madrid (seit 2020) und Galicien, haben eigene umfassende Verbote eingeführt. Die nationale Debatte läuft, ob ein landesweites Verbot sinnvoll wäre.

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„Flickenteppich“ – Wie deutsche Schulen mit der Smartphone-Flut kämpfen

In Deutschland gibt es kein bundesweites, einheitliches Handyverbot an Schulen. Die Regelungen dazu fallen in die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer, und oft haben auch die einzelnen Schulen innerhalb der Rahmenbedingungen des Landesrechts eigene Ordnungen.

Das prominenteste Beispiel für ein weitreichendes Handyverbot ist Bayern: Dort gilt seit langem grundsätzlich ein solches für Schülerinnen und Schüler auf dem gesamten Schulgelände und während des Unterrichts. Es gibt Ausnahmen für Notfälle oder für den Einsatz im Unterricht, wenn dies pädagogisch begründet ist und von der Lehrkraft erlaubt wird.

In den meisten anderen Bundesländern gilt oft folgende Situation:

  • Es gibt kein generelles Handyverbot auf dem gesamten Schulgelände.
  • Die Nutzung von Handys ist aber in der Regel während des Unterrichts und bei Leistungsnachweisen (Klassenarbeiten, Prüfungen) untersagt.
  • Viele Schulen haben eigene Schulordnungen, die den Umgang mit Handys regeln, z.B. dass sie im Schulgebäude ausgeschaltet oder lautlos sein müssen und nur in den Pausen oder an bestimmten Orten genutzt werden dürfen.
  • Aber es gibt zunehmend auch Bestrebungen, Handys pädagogisch im Unterricht zu nutzen (z.B. für Recherche, Lern-Apps), wodurch die Verbote differenzierter gehandhabt werden.

Begründungen für Verbote/Einschränkungen sind neben den bereits genannten oft:

  • Steigerung der Konzentration im Unterricht.
  • Verringerung von Ablenkung.
  • Prävention von Cybermobbing.
  • Förderung sozialer Interaktion.
  • Verhinderung von Spicken bei Prüfungen.

Der Trend an deutschen Schulen geht mitunter wieder dahin, die Nutzung strenger zu reglementieren oder zumindest klare Regeln zu schaffen, da die Nachteile der uneingeschränkten Handynutzung im Schulalltag zunehmend erkannt werden.

 

Auch UNESCO warnt vor übermäßiger Handy-Nutzung

In einem Bericht („2023 Global Education Monitor“) der UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) wird im Juli 2023 ebenfalls vor übermäßiger Nutzung von Handys in Schulen gewarnt.

Es gebe Beweise dafür, dass die übermäßige Nutzung von Handys mit schlechteren schulischen Leistungen im Zusammenhang stehe und dass ein hohes Maß an Bildschirmzeit negative Auswirkungen auf die emotionale Stabilität von Kindern habe. Und anschließend die Warnung: „Nicht jede Veränderung ist ein Fortschritt. Nur weil etwas getan werden kann, heißt das nicht, dass es auch getan werden sollte.“

Damit ist wohl alles zu diesem Thema gesagt!

Guido Grandt (geb. 1963) ist investigativer Journalist, Publizist, TV-Redakteur und freier Produzent. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf Recherchen zu organisierter Kriminalität, Geheimgesellschaften sowie auf brisanten Themen aus Politik, Wirtschaft, Finanzen, Militär und Sicherheit. Darüber hinaus widmet er sich der Aufdeckung verborgener oder tabuisierter Hintergründe zeitgeschichtlicher Ereignisse. Guido Grandt veröffentlichte bisher über 40 Sachbücher und verfasste rund 6.000 Artikel. Sein kostenloser Blog: https://www.guidograndt.de/

Quellen:

 

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