26. September 2025

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Niederländisches Unternehmen bringt erstes Telefon auf dezentralem Internet heraus

 

Hendriëlle de Groot

Zum ersten Mal ist in Europa ein Telefon auf den Markt gebracht worden, das die zentralen Server von Unternehmen wie Google, Microsoft und Apple umgeht und vollständig auf einem dezentralen Netzwerk von zehntausenden privaten und geschäftlichen Nutzern weltweit läuft. Nutzer behalten dadurch die volle Kontrolle über ihre eigenen Daten, sagt Initiator Robert Jan Lamers.

Das Internet begann einst als gemeinsames, dezentrales Netzwerk mit offenen Protokollen und Standards, das allen zugänglich war. Das ist schon lange nicht mehr so. In den letzten 20–25 Jahren hat eine kleine Gruppe mächtiger Konzerne wie Google, Facebook und Amazon die digitale Welt übernommen und kontrolliert heute fast alle Programme und Daten. Der Großteil der Nutzerdaten befindet sich auf den Servern dieser Unternehmen – ein lukratives Geschäft. Für Regierungen, die ihre Bevölkerung kontrollieren wollen, ist das ebenfalls praktisch: Sie können so leicht Nachrichten überwachen und Zensur ausüben.

Die Pioniere des Internets mussten machtlos zusehen, wie ihre Erfindung, die einst „Power to the People“ versprach, in die Hände von Multinationals, Regierungen und Geheimdiensten fiel. „Die ursprüngliche Idee des Internets war, Macht zu dezentralisieren“, erklärte der US-Informatiker und Virtual-Reality-Spezialist Jaron Lanier. „Jetzt tut es das Gegenteil.“

Vor etwa zehn Jahren beschlossen einige IT-Spezialisten, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. In den letzten Jahren haben sie ein völlig neues Netzwerk aufgebaut – unabhängig vom „zentralisierten“ Internet. Dieses dezentrale Netzwerk, entwickelt von Threefold, funktioniert auf Basis sogenannter „Nodes“, also Knotenpunkte. Das sind kleine Serverkästen, in denen Daten gespeichert werden und die alle miteinander verbunden sind. Privatpersonen und Unternehmen in mehr als 50 Ländern haben inzwischen solche Nodes im Einsatz. Insgesamt verfügt das Netzwerk über rund 25 Milliarden Gigabyte Speicherkapazität – und es wächst täglich. Jeder kann eine Node kaufen und am System teilnehmen. Wer das tut, unterstützt nicht nur den Ausbau des Netzes, sondern erhält auch „Tokens“, die für Internetdienste genutzt oder in Währungen umgetauscht werden können.

Der niederländische IT-Unternehmer und Webhosting-Spezialist Robert Jan Lamers (54) erkannte früh die Möglichkeiten von Threefold. 2001 gründete er das Unternehmen HostService Nederland, das 2025 in YourData Network umbenannt wurde. Es liefert Nodes und bietet Hosting-Dienste im Netzwerk an. Vor zwei Jahren trat Lamers mit einer Idee an Threefold heran: eine Telefon, das auf dem dezentralen Netzwerk läuft und damit maximale Privatsphäre garantiert. Da Threefold dafür nicht die Mittel hatte, nahm Lamers die Sache selbst in die Hand – und brachte 2025 das OwnPhone heraus. Dieses Smartphone macht es einfach, das Threefold-Netzwerk für Datenspeicherung zu nutzen – unabhängig von den zentralisierten Cloud-Services der Big Tech. Ein Novum.

Lamers: „Wir hatten Glück, denn wir entdeckten ein deutsches Unternehmen, Volla, das bereits ein eigenes Smartphone in Süddeutschland herstellt – unabhängig von den großen Herstellern. Wir haben dieses Telefon mit YOS (Your OS) ausgestattet, einem eigenen Betriebssystem, basierend auf der offenen Android-Quelle. Das Programm ist Open Source, jeder kann den Quellcode einsehen und verändern. Es gibt keine geheimen oder versteckten Funktionen.“ Nutzer können auf Wunsch auch ein zweites Betriebssystem wie Linux installieren, ebenfalls Open Source.

Die Nutzer können frei entscheiden, ob sie trotzdem Apps der großen Tech-Konzerne wie WhatsApp oder Facebook nutzen wollen. In diesem Fall landen ihre Daten natürlich wieder in den Clouds dieser Konzerne. „Das muss aber nicht sein“, erklärt Lamers. Für fast alle Programme gibt es Alternativen, die in unabhängigen App-Stores wie der Aurora Store oder der F-Droid Store zu finden sind. Diese bieten meist die gleichen Möglichkeiten. Beispiele:

  • Messenger wie Element oder Session (Alternative zu WhatsApp/Telegram, laufen dezentral).
  • NextCloud als Open-Source-Pendant zu Google Cloud oder Microsoft 365 – mit Dokumentenbearbeitung, Dateispeicherung, Video-Calls, Tabellen und Textprogrammen.
  • Soziale Netzwerke wie Mastodon, das ähnlich wie X (ehemals Twitter) funktioniert, aber dezentral läuft.

Threefold ist laut Lamers das einzige globale dezentrale Netzwerk auf Basis physischer Nodes mit eigener Infrastruktur. Andere wie Dero oder Holochain arbeiten z. B. mit Speichernutzung von Privatcomputern oder auf Blockchain-Basis. Vorteil: dezentrale Systeme verbrauchen deutlich weniger Strom als die gigantischen Rechenzentren der Big Tech. Lamers: „Threefold ist nicht nur privatsphärenfreundlich, sondern auch umweltfreundlich.“

Ein weiteres Extra der OwnPhone ist eine spezielle VPN, die standardmäßig mitgeliefert wird. Herkömmliche VPNs leiten den Internetverkehr über ein zentrales Gateway, das überwacht werden kann. Die OwnPhone-VPN hingegen, entwickelt von Skipr Technologies in Zusammenarbeit mit Threefold, nutzt KI-Agenten, die verschlüsselte Verbindungen aufbauen und sofort wieder ihre Spuren löschen. Laut Lamers: „Extrem sicher.“

Ob das OwnPhone eine Antwort auf die zunehmende Internetzensur ist – etwa aus der EU? Brüssel arbeitet an Gesetzen, die Behörden Einblick in Chatnachrichten erlauben könnten. Über den Digital Services Act will die EU Inhalte auf sozialen Medien stärker steuern. Zudem führen immer mehr Länder Identifikationspflichten ein. Lamers: „Mit OwnPhone und dem Threefold-Netzwerk lassen sich viele dieser Kontrollen umgehen. Es bleibt natürlich ein Katz-und-Maus-Spiel. Behörden können Node-Betreiber zwingen, Inhalte zu löschen. Aber man kann jederzeit auf einen anderen Server wechseln. Die Daten gehören dir – nicht Big Tech.“

Threefold hat sogar ein eigenes Protokoll entwickelt: Mycelium. Es läuft im Threefold-Netzwerk, ist durchgehend verschlüsselt und sucht immer den kürzesten Weg vom Sender zum Empfänger. Lamers ist überzeugt, dass es künftig stark wachsen wird. „Die EU kann viel wollen, aber die IT-Welt schläft nicht.“

Ganz billig ist das OwnPhone allerdings nicht: Es kostet rund 800 Euro. Lamers: „Ein Unternehmen wie Samsung kann billiger anbieten, weil es mit deinen Daten Geld verdient.“ Dafür sei das OwnPhone extrem langlebig: „Akku, Hardware und Software halten viele Jahre.“ Noch sei das Gerät kaum bekannt, sagt Lamers, „aber das wird sich ändern. Wir haben noch keine Marketingkampagne gestartet und sind noch mit der Finanzierung beschäftigt. Wir wollten den Lesern der Anderen Krant die Premiere geben.“

 

 

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