von Arnaud Bertrand
Die bevorstehenden Verhandlungen zwischen Trump und Putin in Alaska sagen alles über die Natur des Ukraine-Krieges und den aktuellen geopolitischen Status Europas.
Ich habe recherchiert: In der jahrtausendealten Geschichte Europas gibt es kaum Beispiele – wenn überhaupt –, in denen ein Land eine militärische Niederlage gegen eine externe Macht erlitt und nicht einmal mit am Tisch saß, um die Bedingungen für seine Zukunft auszuhandeln.
Man müsste wohl bis zum Fall von Konstantinopel 1453 zurückgehen, um eine Situation zu finden, in der Europäer keinerlei Einfluss auf ihr eigenes Schicksal hatten. Doch selbst damals handelte es sich um eine „klassische“ militärische Niederlage: Der Sieger diktierte die Bedingungen, und es gab keine andere externe Macht, die mit den Osmanen über die Aufteilung des byzantinischen Territoriums verhandelte. Es war zumindest eine einfache Eroberung.
Der Ausschluss Europas von den Verhandlungen in Alaska über seine eigene Zukunft ist daher einer der demütigendsten Momente in der Geschichte der europäischen Diplomatie – und zwar buchstäblich seit Jahrhunderten.
Wer im Namen Europas spricht
Und nun verhandelt ausgerechnet der Mann, der
- die EU ausdrücklich als „einen der größten Feinde der Vereinigten Staaten“ bezeichnet hat,
- absurd behauptete, die EU sei „gegründet worden, um die USA zu betrügen“,
- Grönland annektieren wollte
- und eine Reihe feindseliger Aktionen gegen Europa unternahm, einschließlich eines massiven Handelskriegs –
im Namen Europas über dessen Zukunft. Das ist fast schon karikaturhaft absurd.
Bezeichnenderweise sind europäische Staats- und Regierungschefs laut Washington Post gezwungen, über sekundäre diplomatische Kanäle um Informationen zu betteln. Ob ihr Zugang zu den Verhandlungen ihr Schicksal bestimmt, entscheidet nun J.D. Vance – derselbe Mann, der seine Abscheu vor Europa äußerte, es „PATHETISCH“ nannte und in seiner Münchner Rede herablassend von einer „Bedrohung Europas von innen“ sprach.
Umgekehrte Rollen
Stellen Sie sich das umgekehrt vor: Macron und Putin verhandeln in Berlin über amerikanische Einflusssphären, während das Weiße Haus krampfhaft versucht, über Ursula von der Leyen Informationen zu bekommen. Das ist unvorstellbar – keine US-Regierung würde 24 Stunden überleben, wenn sie das zuließe. Die Tatsache, dass europäische Regierungen keine Konsequenzen zu fürchten haben, zeigt, wie sehr wir unsere Unterordnung bereits verinnerlicht haben.
Eine koloniale Umkehrung
Das Bild erinnert ironischerweise an die imperialen Praktiken, die Europa selbst einst gegenüber schwächeren Nationen perfektionierte. Von den Alaska-Verhandlungen bis zu jüngsten Handelskapitulationen wird Europa heute wie ein koloniales Gebiet behandelt – eine karmische, wenn auch zutiefst demütigende historische Umkehrung.
Die Parallelen zum China der späten Qing-Dynastie sind frappierend: Rivalisierende Mächte legen ihre Differenzen beiseite, um eine geschwächte Zivilisation auszubeuten, ihr Territorium aufzuteilen, tributähnliche Regelungen zu erzwingen und sie von Entscheidungen über ihr eigenes Schicksal auszuschließen.
Handelsdeal als Tribut
Ein Beispiel: das jüngste „Abkommen“, dem Ursula von der Leyen mit Trump zustimmte. Eine so vollständige Kapitulation, dass sie auf die Frage, welche Zugeständnisse die USA gemacht hätten, buchstäblich keinen einzigen Punkt nennen konnte. Stattdessen wiederholte sie Trumps Argumente über Handelsdefizite, als schulde Europa den USA einen Ausgleich.
Die Bedingungen klingen wie kolonialer Tribut:
- 15 % Zölle auf EU-Exporte, keine Zölle auf US-Importe,
- 600 Milliarden Dollar Investitionen, die ausschließlich in die USA fließen,
- Hunderte Milliarden für verpflichtende Rüstungskäufe,
- 750 Milliarden Dollar für überteuertes Flüssiggas in drei Jahren.
Das entspricht rund 3.000–4.000 Dollar pro EU-Bürger – alles in eine Richtung.
Qing-Vergleich
Wie der Vertrag von Nanjing (1842) und die folgenden „ungleichen Verträge“ China zwangen, asymmetrische Zölle zu akzeptieren, unerwünschte Waren (Opium) zu kaufen und hohe Entschädigungen zu zahlen, befindet sich Europa heute in einer ähnlichen Lage:
- erzwungene Marktöffnung (Nullzölle für US-Waren),
- Pflichtkäufe überteuerter Rohstoffe (Flüssiggas statt Opium),
- als „Investitionen“ getarnte Tributzahlungen.
Und wie die Qing-Beamten glaubt auch Von der Leyen, dass Beschwichtigung weitere Forderungen verhindern könnte – ein Trugschluss, wie die Geschichte lehrt.
Alaska als neuer Akt
Der Alaska-Gipfel ist der nächste Akt dieses Dramas: Trump und Putin verhandeln über die territoriale Zukunft der Ukraine, während Europa – wie einst China – von außen zusieht und nur über Mittelsmänner erfährt, was beschlossen wird.
Die eigentliche Ursache
Ich bin mir bewusst, dass die Ursachen des Ukraine-Krieges nicht mit der Mandschurei-Aufteilung identisch sind. Dennoch bin ich überzeugt: Die NATO-Erweiterung und das Ignorieren russischer Sicherheitsbedenken waren die Hauptprovokation – ein US-geführter Stellvertreterkrieg auf europäischem Boden. Europa stellte sich naiv als Schlachtfeld zur Verfügung und findet sich nun als Kollateralschaden wieder, während die beiden Mächte wie Kolonialherren ihre Differenzen austragen.
Psychologische Gefangenschaft
Anders als China damals wehrt sich Europa nicht einmal: Die heutigen Führer haben ihre Unterordnung so verinnerlicht, dass sie ihren Ausbeuter „Papa“ nennen – wie Mark Rutte jüngst gegenüber Trump. Von der Leyen rechtfertigt die eigene Ausbeutung, indem sie US-Positionen übernimmt.
Die Ursache damals wie heute: Schwäche, die Ausbeutung begünstigt – und Ausbeutung, die Schwäche vertieft. Ein Teufelskreis, der nur durch eine dramatische Rückgewinnung der Souveränität zu durchbrechen ist.
Die EU als Problem und mögliche Lösung
In ihrer jetzigen Form ist die EU ein Instrument kollektiver Schwäche. Doch ein anderes Europa wäre möglich – eines, das nicht um Informationen bettelt, sondern die Herrschaft über sein Schicksal ausübt.
Die Tragödie ist nicht mangelnde Mittel zur Souveränität, sondern ein psychologischer Zustand, in dem wir unsere eigene Schwächung rechtfertigen:
- Handelsdefizite als moralische Pflicht,
- militärische Besatzung als Sicherheitsgarantie,
- Ausschluss von Verhandlungen als Realpolitik.
Eine psychologische Gefangenschaft kann jedoch im Handumdrehen enden – wenn wir den Mut finden, sie zu durchbrechen. Vielleicht wird sich dann zeigen, dass die Demütigung die Lehre war, die Europa brauchte.