In den letzten Jahren hat sich der Einfluss von Lobbyisten in der deutschen Politik weiter verstärkt. Besonders auffällig sind die enge Verflechtungen zwischen Volksvertretern und der Industrie, insbesondere im Bereich der Rüstungsindustrie und der Pharmawirtschaft. Recherchen von abgeordnetenwatch.de haben nun aufgedeckt, dass nicht weniger als 670 Lobbyisten tätig sind, die früher selbst Teil des politischen Apparats waren. Diese Verbindungen werfen ernste Fragen zur Transparenz und Unabhängigkeit der deutschen politischen Entscheidungsprozesse auf.
Von Guido Grandt
Die Drehtür zwischen Politik und Lobbyismus: Ex-Abgeordnete auf der Gehaltsliste von Großkonzernen
Nach den Recherchen von abgeordnetenwatch.de, einer Plattform, die Recherchen zu Themen wie Lobbyismus, Parteispenden und Nebentätigkeiten von Abgeordneten veröffentlicht, ist es keine Seltenheit, dass ehemalige Bundestagsabgeordnete nach ihrer politischen Karriere in die Lobbyarbeit wechseln. Seit der Bundestagswahl im Februar 2025 sind mindestens zwölf Ex-Abgeordnete als Lobbyisten für Unternehmen, Verbände und Vereine tätig geworden, wie das Lobbyregister offenbart.
Besonders auffällig: Fünf dieser Ex-Politiker arbeiten nun für die einflussreiche Lobbyagentur Eutop, die mehr als dreißig namhafte Kunden im Register führt – darunter globale Konzerne wie Huawei, Bayer und DocMorris.
Der Nutzen für Eutop und ähnliche Agenturen ist klar: Ehemalige Abgeordnete bringen nicht nur Fachkenntnisse und Insiderwissen in ihre neue Funktion ein, sondern auch direkten Zugang zu den Entscheidungsträgern im Bundestag und in Ministerien. Sie kennen die parlamentarischen Abläufe aus erster Hand und können mit ihren Kontakten eine Schlüsselrolle spielen, um die Interessen ihrer Auftraggeber in der Politik durchzusetzen. Ein entscheidender Vorteil, der Unternehmen, die global agieren, zugutekommt.
Die „Drehtürpolitik“, bei der Politiker nach ihrer Amtszeit direkt in Lobbypositionen wechseln, ist ein systemisches Problem, das die Verflechtung von Politik und Wirtschaft verstärkt. Es gibt nicht nur die Möglichkeit, dass politische Entscheidungen zugunsten von Konzerninteressen getroffen werden, sondern auch die Gefahr, dass private Unternehmen auf die Ressourcen und Informationen von ehemaligen Abgeordneten zugreifen, um ihre eigenen Agenden voranzutreiben.
Diese Entwicklung wirft Fragen zur Transparenz und zu den ethischen Standards auf, die die Verbindungen zwischen Politik und Lobbyismus regeln. Das Lobbyregister mag zwar eine gewisse Offenheit schaffen, doch offen bleibt, wie weit der Einfluss von Ex-Abgeordneten auf politische Entscheidungen wirklich reicht und welche Auswirkungen dies auf die Demokratie hat.
Besonders problematisch ist, dass solche Netzwerke nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft genutzt werden, um auf Beschlüsse Einfluss zu nehmen und zu steuern – häufig ohne dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird.
Die Verbindungen zwischen Eutop und den früheren Parlamentariern zeigen, wie wichtig es für Unternehmen ist, direkten Zugang zu den Machthabern zu haben.
Pistorius, Klingbeil und der Rüstungslobbyist
Das technologiebetriebene Verteidigungsunternehmen Stark Defence entwickelt unter anderem KI-gesteuerte Kampfdrohnen für NATO-Staaten und ihre Verbündeten sowie die Ukraine. Das Start-up wurde mit Risikokapital des Tech-Milliardärs Peter Thiel aufgebaut und hat sich rasch etabliert.
Besonders bemerkenswert ist das Netzwerk des Unternehmens, das bis in die Spitzen der deutschen Regierung reicht. Ein zentraler Akteur darin ist Johannes Arlt, bis März 2025 Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages für die SPD, wo er mitunter für unbemannte Systeme und die Beschaffung von Rüstungsgütern zuständig war. Seit Juni 2025 ist Arlt Senior Vice President bei Stark Defence und zählt zu den vier offiziell registrierten Lobbyisten des Unternehmens. Seine neue Rolle fokussiert sich auf den Verkauf von Rüstungsgütern – eine Entwicklung, die im direkten Zusammenhang mit seiner früheren politischen Tätigkeit steht.
Arlt pflegt enge Beziehungen zu seinem Duzfreund und heutigen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, mit dem er in der Vergangenheit „sehr, sehr eng zusammengearbeitet“ hat.
Pistorius unterstützte Arlt sogar bei seiner Wahlkampfkampagne in Mecklenburg-Vorpommern, bevor dieser sein Direktmandat an eine AfD-Kandidatin verlor und sich der Rüstungsindustrie zuwandte. Diese Verbindungen dürften für das Unternehmen von Vorteil sein, da die Bundeswehr noch in diesem Jahr über einen Großauftrag entscheiden will, bei dem Stark Defence eine Rolle spielt. Laut der Süddeutschen Zeitung testet die Bundeswehr aktuell Kampfdrohnen des Unternehmens.
Ein weiterer wichtiger Drahtzieher für Stark Defence ist Vizekanzler Lars Klingbeil, der als Bundesfinanzminister über Milliardeninvestitionen in die Verteidigung wacht. Bis vor kurzem war Klingbeil noch Fraktionschef von Arlt im Bundestag.
Der fast nahtlose Übergang von Arlt vom Abgeordneten zum Manager eines Rüstungsunternehmens ist ein Paradebeispiel für die sogenannte „Drehtürpolitik“, bei der Politiker nach ihrer Amtszeit in der Wirtschaft eine Schlüsselrolle spielen und so direkten Zugang zu führenden politischen Kreisen behalten.
Diese Verbindungen zwischen Politik und Rüstungsindustrie werfen – wie erwähnt – einen weiteren kritischen Blick auf die Praxis der Lobbyarbeit in Deutschland. Insbesondere wenn es um Entscheidungen geht, die die nationale Sicherheit und die Rüstungsausgaben betreffen.
BioNTech und die undurchsichtigen Verflechtungen mit Jens Spahn
Die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft zeigt sich auch exemplarisch am Beispiel von BioNTech. Während der Pandemie entwickelte sich das Unternehmen zu einem globalen Pharmakonzern mit Milliardenumsatz und baute dabei ein Netzwerk auf, das bis zur Spitze der CDU/CSU reicht.
Besonders auffällig ist die Verbindung von BioNTech zu Jens Spahn, dem früheren Bundesgesundheitsminister und heutigen Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag.
Mehrere der aktuellen Lobbyisten von BioNTech hatten zuvor in Spahns Abgeordnetenbüro gearbeitet, darunter auch Marc Degen.
Degen war jahrelang einer der engsten Vertrauten Spahns, beriet ihn als politischer Berater und Spin-Doctor. Im Jahr 2018 folgte er seinem Chef ins Ministerium, wurde stellvertretender Leiter der Leitungsabteilung im Gesundheitsministerium. Doch nach einem privaten Rückzug während der Corona-Krise, wechselte Degen in die Lobbyarbeit für BioNTech, will aber auch in Zukunft seinem langjährigen Chef Jens Spahn „sehr verbunden“ bleiben.
Heute ist Degen für das Unternehmen als Interessenvertreter tätig und agiert über die Beratungsfirma vaxxio. Diese bietet laut Lobbyregister „Unternehmensberatungsleistungen im Bereich Impfprävention“ für BioNTech und andere Pharmakonzerne an.
Die Verbindungen zwischen BioNTech und Jens Spahn sind tief und reichen weit zurück. Degen begleitete Spahn nicht nur als Berater, sondern auch als Unterstützung bei seiner Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz. Die enge Beziehung ist unbestreitbar, und der Wechsel von Degen von der Politik in die Lobbyarbeit verdeutlicht ein grundlegendes Problem im deutschen politischen System: die Durchlässigkeit zwischen öffentlichen Ämtern und der Wirtschaft. Ein ehemaliger Mitarbeiter eines Abgeordneten wird zum Schlüsselspieler in einem Unternehmen, das an vorderster Front der globalen Impfstoffproduktion steht.
Die Problematik wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass solche Verbindungen nicht immer bekannt werden. Das Lobbyregister gibt zwar an, dass Degen für BioNTech tätig ist, doch wie und in welchem Umfang er dabei auf sein früheres Netzwerk zurückgreift, bleibt weitgehend im Dunkeln. Kontakte müssen nicht dokumentiert werden, was die Transparenz erheblich einschränkt. Diese „diskrete Beziehungspflege“ von Lobbyisten, die zwischen politischer Arbeit und Lobbyismus schwanken, ist ein typisches Beispiel für die problematischen Verflechtungen von Politik und Wirtschaft.
Der Fall von Marc Degen wirft daher nicht nur Fragen zur Transparenz des Lobbyismus auf, sondern auch zur Verantwortung von Parlamentariern, die in solche Netzwerke eingebunden sind. Während die Wirtschaft von politischen Verbindungen profitiert, bleibt es oft im Verborgenen, inwieweit diese Beziehungen tatsächlich politische Entscheidungen beeinflussen.
Wie eine Lobbyorganisation die Beziehungen zu Friedrich Merz & Co. für ihre Mandanten nutzt
Nachdem Friedrich Merz (CDU) Anfang Mai zum Kanzler gewählt wurde, schickte die Lobbyagentur 365 Sherpas gleich mehrere Glückwunschschreiben ins Kanzleramt. Auch an Merz selbst sowie an Kanzleramtschef Thorsten Frei, einen Staatssekretär und eine Staatsministerin.
Doch auch ohne diese offizielle Geste pflegt die Agentur bereits enge Verbindungen zum Kanzler. Einer ihrer Direktoren, Marian Bracht, war früher ein Mitarbeiter von Merz: Als kommissarischer Büroleiter der CDU-Parteizentrale 2022 hatte Bracht maßgeblichen Einfluss auf die politische Arbeit des heutigen Bundeskanzlers, nachdem er zuvor drei Jahre lang als Bürochef für CDU-Geschäftsführer Stefan Hennewig tätig war.
Die Agentur 365 Sherpas betont auf ihrer Website stolz das „große politische Netzwerk“ von Bracht. Dieses Netzwerk wird als wichtiger Vorteil hervorgehoben, um Mandanten im politischen Raum Gehör zu verschaffen.
So warb die Lobby-Agentur beispielsweise im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 mit einem besonderen Angebot: „Die Parteien schalten jetzt in den Wahlmodus. Tun Sie es auch“, hieß es da. Sie bot Unterstützung an, um Forderungen frühzeitig zu platzieren, sodass sie später auf der Agenda der nächsten Regierung landen würden. Die Kampagne war unter dem Titel „Welchen Satz möchten Sie im Koalitionsvertrag 2025–2029 lesen?“ überschrieben.
Bracht, der seit 2016 in der CDU fest verankert ist – unter anderem im Bundesvorstand der Jungen Union, zusammen mit prominenten Politikern wie Philipp Amthor und Paul Ziemiak – spielte eine entscheidende Rolle bei der strategischen Ausrichtung des digitalen Wahlkampfs 2017. Nach dem Wahlsieg von Angela Merkel im selben Jahr wurde Bracht von Peter Tauber zum Büroleiter ernannt. Ob er in der Vergangenheit auch als Verbindungsglied zwischen der CDU und wichtigen Lobbygruppen agierte, ist nicht bekannt.
365 Sherpas jedenfalls erklärt, dass ihre Arbeit „im Rahmen der geltenden Gesetze und Transparenzregeln“ erfolgt. Obwohl die Agentur verpflichtet ist, ihre Verbindungen im Lobbyregister anzugeben, bleibt unklar, in welchem Umfang sie auf Brachts Kontakte zu Merz und anderen CDU-Politikern zurückgreift, um politische Anliegen durchzusetzen.
„Pillen, Papiere, Parlament“ – Die diskrete Macht der Pharmalobby
Marian Bracht wird unter anderem als Lobbyist für die Pharmaunternehmen Sanofi-Aventis, Boehringer Ingelheim und Gilead geführt. Im November 2024 verschickte seine Agentur 365 Sherpas im Auftrag des US-Pharmakonzerns Gilead ein sechsseitiges „Impulspapier zur Bundestagswahl 2025“ an Abgeordnete und Fraktionen. Ob Bracht persönlich den Versand verantwortete, geht aus dem Lobbyregister nicht hervor.
Doch der direkte Draht in die Politik ist offensichtlich: In regelmäßigen Abständen organisiert Bracht mit seiner Agentur sogenannte „Netzwerktreffen“, bei denen er gezielt Abgeordnete des Gesundheitsausschusses mit Vertretern der Pharma- und Gesundheitswirtschaft zusammenbringt.
Zuletzt nahm etwa die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU, Simone Borchardt, an einem dieser Treffen teil.
Nahtloser Übergang – FDP-Gesundheitspolitikerin wird Pharmalobbyistin
Ende Juni 2025 taucht ein weiterer bekannter Name im Lobbyregister auf – und zeigt erneut, wie fließend die Grenzen zwischen Politik und Lobbyismus sind: Kristine Lütke, bis zur Bundestagswahl Obfrau der FDP im Gesundheitsausschuss, arbeitet jetzt für 365 Sherpas – jene Agentur, die – wie aufgezeigt – eng mit Pharma-Giganten wie beispielsweise Gilead, Boehringer Ingelheim und Sanofi verbandelt ist.
Im Registereintrag ist nüchtern vermerkt, Lütke führe im Auftrag von Kunden Gespräche mit Regierungsmitgliedern, Ministerien und Abgeordneten – zur „Erläuterung von Änderungsnotwendigkeiten hinsichtlich einer Vielzahl von Themenfeldern“.
In Einzelfällen verfasst sie sogar Stellungnahmen und Gutachten zu konkreten Gesetzesvorhaben. Anders gesagt: Die ehemalige Abgeordnete hilft nun ausgerechnet den Akteuren, die sie zuvor kontrollieren sollte, beim politischen Feintuning.
Seitenwechsel mit Signalwirkung: Wie ein Vertrauter Wadephuls jetzt für die Rüstungsindustrie lobbyiert
Als Alexander Möckesch, früherer Referent für Verteidigungspolitik beim heutigen Bundesaußenminister Johann Wadephul, im Mai 2025 beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) anheuerte, blieb das weitgehend unbeachtet. Doch sein neuer Arbeitgeber hat es in sich: Hinter dem BDLI stehen nämlich Rüstungsgiganten wie Rheinmetall, Hensoldt – und nicht zuletzt Airbus Defence & Space, einer der größten Förderer des Verbandes.
Im Lobbyregister wird der Zweck der Personalie nur vage angedeutet: BDLI nennt als eine seiner Hauptaufgaben die „Kommunikation mit politischen Institutionen, Behörden, Verbänden und ausländischen Vertretungen in Deutschland“. Übersetzt: Möckesch kennt die Schaltstellen der Macht – und jetzt nutzt er seine Kontakte, um im Sinne der Rüstungsindustrie Einfluss zu nehmen.
Dabei geht es längst nicht nur um Kommunikation. Immer wieder werden Millionenbeträge an Fördergeldern bewilligt – oft zugunsten genau jener Unternehmen, die im BDLI organisiert sind.
Dass Seitenwechsel wie der von Möckesch seit 2024 im Lobbyregister dokumentiert werden müssen, sollte eigentlich für Transparenz sorgen und potenzielle Interessenkonflikte aufdecken. Doch was bleibt, ist ein fahler Beigeschmack – und die Frage: Wer lobbyiert hier tatsächlich für wen?
Demokratie im Schatten der Lobby-Netzwerke
Was sich in den vergangenen Jahren abzeichnete, ist heute Realität: Die politische Landschaft Deutschlands wird zunehmend von einem dichten Geflecht aus Lobbyismus, persönlichen Netzwerken und wirtschaftlichen Interessen durchzogen.
Ob in der Rüstungsindustrie, der Pharmabranche oder in digitalen Beratungsagenturen – ehemalige Abgeordnete und Regierungsnahe wechseln fast nahtlos in lukrative Lobby-Positionen und bringen ihr Insiderwissen, ihre Beziehungen und ihr politisches Gewicht mit.
Der Zugang zu Kanzlern, Ministern und Ausschüssen ist längst keine Frage des Mandats mehr – sondern des Netzwerks.
Was auf dem Papier wie Transparenz aussieht, ist in Wahrheit ein fragiles Feigenblatt. Denn solange Kontakte nicht dokumentiert, Gespräche nicht öffentlich und Interessenkonflikte nicht sanktioniert werden, bleibt die „Drehtür“ zwischen Politik und Wirtschaft weit geöffnet – und mit ihr die Tür zur Aushöhlung unserer demokratischen Grundprinzipien.
Dabei gilt: Die Demokratie ist kein Selbstläufer. Wer sie schützen will, muss das System Lobbyismus endlich entkleiden – bevor es die Politik ganz übernommen hat.
Quellen:
- https://www.abgeordnetenwatch.de/recherchen/lobbyismus/die-verdeckten-lobbynetzwerke-der-konzerne?pk_campaign=nl20250720
- https://365sherpas.com/
- https://stark-defence.com/de
- https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/lobbyregister-bundestag-drehtuereffekt-bekannte-lobbyisten-100.html
Merz, Pistorius, Klingbeil, Spahn: Verdecktes Lobbynetzwerk unter der Lupe