12. August 2025

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Mastercard drängt ins Herz der EU-Digital-ID – Gefahr für Privatsphäre und Autonomie

 

Der Zahlungsriese, der Ihre digitale ID sein will

Mastercard macht die Identitätsüberprüfung still und leise zu einer Funktion Ihrer Brieftasche – und damit zu einem Imperium.

Während die europäischen Behörden ihre Bemühungen um die Einführung zentraler digitaler Identitätssysteme beschleunigen, arbeitet Mastercard aggressiv daran, sich in den Mittelpunkt dieser Transformation zu stellen.

Der Zahlungsriese stellt seine Beteiligung an der EU-Agenda für digitale Identitäten als eine natürliche Erweiterung seines Fachwissens im Bereich sicherer Transaktionen dar. Hinter den Begriffen „Bequemlichkeit“ und „Vertrauen“ verbirgt sich jedoch ein tieferes Problem: Ein privates Unternehmen, das seit jeher den Zugang zum Handel kontrolliert, hilft nun mit, die Art und Weise zu gestalten, wie Menschen ihre Identität im öffentlichen und privaten Leben nachweisen.

Michele Centemero, Executive Vice President für Dienstleistungen in Europa, hat öffentlich das Ziel der EU-Kommission unterstützt, die European Digital Identity (EUDI) Wallet bis 2030 für 80 Prozent der EU-Bürger einzuführen. „Die Europäische Kommission geht davon aus, dass bis 2030 bis zu 80 Prozent der EU-Bürger sie für alltägliche Aufgaben wie die Anmietung eines Autos, die Unterzeichnung eines Mietvertrags oder die Online-Verifizierung des Alters nutzen könnten“, sagte er. „Bei Mastercard arbeiten wir daran, diese Entwicklung zu unterstützen.“

Laut Centemero sollte sich die Identitätsprüfung so nahtlos anfühlen wie das Antippen einer Karte. Dieser Rahmen passt gut zu Mastercard, da er auch begründet, warum ein Zahlungsabwickler überhaupt an der Identitätsinfrastruktur beteiligt sein sollte.

Das Engagement des Unternehmens ist nicht nur oberflächlich. Mastercard spielt eine zentrale Rolle in zwei großen EU-finanzierten Pilotprogrammen: dem NOBID-Projekt und dem WE BUILD-Konsortium. Beide testen reale Szenarien, bei denen Identitätsprüfung direkt in den Zahlungsvorgang integriert ist. Ziel ist es, verifizierte Attribute wie Alter, Studentenstatus oder Wohnsitz mit den Transaktionssystemen zu verknüpfen, sodass jeder Kauf zugleich als Identitätsnachweis dient.

Kritiker warnen, dass Mastercard so seinen Einfluss auf den Zugang zu Dienstleistungen ausweiten könnte – weit über das Finanzwesen hinaus. Bereits jetzt wurde dem Unternehmen vorgeworfen, Käufe oder Dienstleistungen auf Grundlage interner Richtlinien einzuschränken. Wird die Identitätsprüfung in seine Systeme eingebettet, könnte die Unternehmensmacht bis in staatliche oder private Dienstleistungsbereiche hineinreichen.

Wenn der Zugang zu Waren oder Dienstleistungen nicht nur vom Geld, sondern auch von der Genehmigung Ihrer Identitätsdaten durch Mastercard abhängt, verschwimmen die Grenzen zwischen öffentlichem Dienst und privater Unternehmensmacht gefährlich.

Mastercard verweist auf die hohe Betrugsrate – über 40 Prozent der Online-Betrügereien in Europa hängen mit Identitätsdiebstahl zusammen – und verspricht, mit seiner Rolle bei der digitalen Identität sowohl Risiken als auch Unannehmlichkeiten zu verringern. Doch mit zentralisierten, unternehmensgesteuerten Identitätssystemen geht oft ein Verlust an Autonomie einher.

Das Unternehmen nutzt zudem seine Position, um internationale Standards mitzugestalten. Mastercard ist Mitglied der FIDO Alliance, von EMVCo und Gründungsmitglied der OpenWallet Foundation – Gremien, die festlegen, wie Identitätsattribute global gesichert, geteilt und überprüft werden. So sorgt Mastercard dafür, dass seine eigene Infrastruktur in diesen Standards verankert wird.

Im Vereinigten Königreich ist Mastercard im Rahmen des Digital Identity and Attributes Trust Framework (DIATF) zertifiziert und kann als Orchestrierungsdienstleister für digitale Identitäten auftreten, unter anderem für die umstrittene Gov.UK Wallet. Damit können Identitätsdaten aus den digitalen Geldbörsen der Nutzer direkt über die Mastercard-Infrastruktur überprüft werden.

Darüber hinaus investiert Mastercard in mobile Führerscheine (mDLs), die in digitale Wallets integriert werden können. Leonard Botezatu von Mastercard betont den Wert eines internationalen ISO-Standards für mDLs, um fragmentierte ID-Systeme in verschiedenen Ländern zu vereinheitlichen. Ziel sei nicht nur Interoperabilität, sondern globale Reichweite.

Während Mastercard seine Beteiligung als notwendig darstellt, um ein modernes, sicheres Identitäts-Ökosystem aufzubauen, bleibt die Realität komplex: Ein globaler Zahlungsabwickler, der sowohl Finanzdienstleistungen verweigern als auch die Berechtigung zum Zugang zu staatlichen oder privaten Plattformen überprüfen kann, schafft ein geschlossenes System, in dem Unternehmensinteressen über individueller Handlungsfreiheit stehen.

Wenn digitale Identität tatsächlich Privatsphäre und Freiheit wahren soll, muss sie auf Dezentralisierung, Transparenz und Nutzerkontrolle beruhen. Die Übergabe dieser Verantwortung an ein profitorientiertes Unternehmen untergräbt dieses Ziel. Die EUDI-Wallet mag Effizienz bieten – der Preis könnte jedoch eine schleichende Erosion der persönlichen Kontrolle über die eigene Identität sein.

 

 

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