Bei der Aufstockung der US-Marine vor der Küste Venezuelas geht es nicht um Drogenbekämpfung, sondern um imperialen Druck. Die Reaktion von Caracas, die auf einer asymmetrischen Verteidigung beruht und durch wichtige eurasische Allianzen unterstützt wird, hat einen einseitigen Showdown in einen Wettstreit der Weltmächte verwandelt.
Die USA sind in ihrem langen Krieg gegen Venezuela in eine neue Phase eingetreten. Nachdem sie ihre wirtschaftlichen und diplomatischen Mittel ausgeschöpft haben, setzen sie nun den militärischen Hebel an und entsenden Kriegsschiffe in die Karibik, um ihre Macht zu demonstrieren.
Diese Eskalation ist die Krönung jahrelanger imperialer Angriffe auf die bolivarische Regierung in Caracas – beginnend mit weitreichenden Sanktionen unter dem früheren US-Präsidenten Barack Obama, die unter Präsident Donald Trump auf ein noch nie dagewesenes Niveau verschärft und durch einen überparteilichen Konsens aufrechterhalten wurden.
Offiziell wird dies von Washington als Teil einer breit angelegten Kampagne zur „Bekämpfung von Rauschgift“ dargestellt, die sich gegen sogenannte terroristische Organisationen richtet. Doch diese Geschichte bricht bei näherer Betrachtung in sich zusammen. Was die USA wirklich anstreben, ist ein Regimewechsel und eine regionale Kontrolle, die sich hinter der Rhetorik des Drogenkriegs verbirgt.
Lawfare als Vorspiel zum Krieg
Der rechtliche Rahmen für die US-Operation begann mit einer geheimen präsidialen Direktive, die dem Pentagon die Befugnis erteilte, bestimmte ausländische terroristische Organisationen zu bekämpfen. Washington schickt Angriffsschiffe in die Gewässer vor Venezuela, um gegen den Drogenhandel vorzugehen, sagte ein anonymer amerikanischer Verteidigungsbeamter. Der von Trump bestätigte Schritt zielt auf Kartelle, die er für den Schmuggel von Fentanyl und anderen Drogen verantwortlich macht.
Zu diesen Gruppen gehört das sogenannte „Cartel de los Soles“ (Kartell der Sonnen), ein Begriff, der früher informell verwendet wurde, um verstreute Korruptionsnetzwerke im venezolanischen Militär zu beschreiben. Washington hat dies nun in ein zentralisiertes Kartell umgewandelt, das von der Trump-Administration als terroristische Organisation bezeichnet wird – obwohl seine Existenz umstritten ist. Im Juli behauptete die Trump-Administration, dass der venezolanische Präsident Nicolás Maduro das Cartel de los Soles mit Unterstützung anderer hochrangiger venezolanischer Beamter anführt.
Das US-Justizministerium ging noch einen Schritt weiter und setzte ein Kopfgeld von 50 Millionen Dollar für die Ergreifung Maduros aus. Diese Lawfare-Strategie, bei der einem Staatschef die souveräne Immunität entzogen und er als Narko-Terrorist gebrandmarkt wird, dient dazu, eine offene Aggression vor dem nationalen und internationalen Publikum zu rechtfertigen.
Nach Ansicht von Christopher Sabatini, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Londoner Chatham House, sind die Entsendung von Schiffen durch die USA, die Einstufung des venezolanischen „Tren de Aragua“ als terroristische Organisation und das erhöhte Kopfgeld auf Maduro Elemente einer Strategie des Weißen Hauses, die darauf abzielt, „so viel Lärm wie möglich zu machen“, um die venezolanische Opposition – von der viele Trump unterstützen – zufrieden zu stellen und hochrangige Regierungsvertreter zum Überlaufen zu bewegen.
Fictional cartels, real deployments
Expertenanalysen, u. a. von InSight Crime – einem Think Tank, der sich auf Korruption in Amerika spezialisiert hat – und ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeitern, haben die Behauptung, dass Venezuela ein staatlich geführtes Drogenkartell beherbergt, widerlegt. Anfang dieses Monats erklärte InSight Crime, die US-Sanktionen gegen das Cartel de los Soles seien unangebracht.
„Die neuen Sanktionen der US-Regierung gegen Venezuelas sogenanntes ‚Kartell der Sonnen‘ stellen es fälschlicherweise als eine hierarchische, ideologisch geprägte Drogenhandelsorganisation dar und nicht als ein gewinnorientiertes System allgemeiner Korruption, an dem hochrangige Militärs beteiligt sind“, hieß es.
Aus Berichten unparteiischer internationaler Einrichtungen wie dem Weltdrogenbericht 2025 des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung geht hervor, dass sich die Hauptrouten für den Kokainschmuggel aus der Andenregion nach Nordamerika vor allem auf den Pazifik und die mittelamerikanischen Korridore konzentrieren. Die östliche Route durch das Karibische Meer, die teilweise an Venezuela vorbeiführt, macht einen statistisch vernachlässigbaren Anteil an den Gesamtströmen aus.
Analysten des organisierten Verbrechens und ehemalige Geheimdienstmitarbeiter wie Fulton Armstrong stellen ebenfalls die amerikanische Darstellung in Frage, die das Cartel de los Soles als eine integrierte, staatlich geführte Organisation darstellt. Frühere Berichte von Organisationen wie InSight Crime legen nahe, dass der Begriff ursprünglich informell entstand, um sporadische Korruptionsnetzwerke innerhalb der venezolanischen Streitkräfte zu beschreiben – nicht als zentralisierte Struktur, ähnlich wie mexikanische Drogenkartelle.
Das amerikanische Narrativ scheint diese unterschiedlichen Phänomene zusammenzufügen und sie als eine einzige, zusammenhängende Einheit darzustellen, um ein politisches Ziel zu erreichen: den venezolanischen Staat fälschlicherweise als „Narco-Staat“ zu brandmarken.
Andererseits hat die Trump-Administration keine glaubwürdigen Beweise vorgelegt, die Venezuela speziell mit der Herstellung oder dem Handel von Fentanyl in Verbindung bringen, das derzeit höchste Priorität für die öffentliche Gesundheit und die nationale Sicherheit in den USA hat.
Doch Washingtons militärischer Fußabdruck erzählt eine andere Geschichte: Die Stationierung umfasst Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse mit Aegis-Kampfsystemen, Tomahawk-Marschflugkörpern und die amphibische Angriffsgruppe Iwo Jima.
Der Präzedenzfall erinnert an historische Beispiele wie den Zwischenfall im Golf von Tonkin, der den Vietnamkrieg eskalieren ließ, oder die US-Invasion in Panama 1989, um Präsident Manuel Noriega unter dem Vorwurf des Drogenhandels festzunehmen.
Psychologische Kriegsführung, regionale Signalwirkung und Öl
Das unübersehbare Auftreten des US-Militärs, gepaart mit vagen offiziellen Erklärungen, dient als mächtiges Instrument des psychologischen Drucks. Es zielt darauf ab, Unsicherheit und Stress innerhalb der venezolanischen Institutionen – insbesondere der Bolivarischen Nationalen Streitkräfte – zu säen, indem es zu Überläufen ermutigt oder den Zusammenhalt des Kommandos stört.
Außerdem verschafft sie der Opposition im Land ein Druckmittel, um nach wiederholten Misserfolgen die politische Initiative wiederzuerlangen. Indem Washington eine überwältigende Streitmacht direkt vor der Küste stationiert, hofft es, solche Risse in den bolivarischen Streitkräften zu erzeugen.
Doch anders als vor zwei Jahrzehnten ist die heutige Kommandostruktur durch jahrelange Belagerung, externe Ausbildung und vertiefte Beziehungen zu russischen und iranischen Militärs gestärkt worden.
Die amerikanische Operation erfüllt mehrere Funktionen: Sie zielt darauf ab, die venezolanische Militärführung zu brechen und die gescheiterte Opposition wieder zu stärken, signalisiert aber auch den regionalen Verbündeten von Caracas – Kuba und Nicaragua – sowie internationalen Unterstützern – Russland, China, Iran –, dass die USA entschlossen sind, ihren sogenannten Hinterhof zu halten.
Innerhalb der CELAC hat die Kanonenbootdiplomatie der USA die Furcht vor einer Rückkehr zu den Interventionen des 20. Jahrhunderts wiederbelebt und Washingtons Ansehen in der Region weiter geschwächt.
Im Mittelpunkt steht jedoch das Öl. Venezuela verfügt über die größten nachgewiesenen Reserven der Welt. Sich den Zugang zu sichern oder ihn zumindest anderen zu verwehren, bleibt ein Kernpunkt der US-Strategie in der Hemisphäre.
Caracas kontert mit Asymmetrie und Allianzen
Präsident Maduro hat darauf mit der Aktivierung der venezolanischen Verteidigungsdoktrin reagiert – dem „Krieg des ganzen Volkes“. Dies beinhaltet die Mobilisierung von bis zu fünf Millionen Kämpfern über die Bolivarische Miliz, um ein landesweites Widerstandsnetz zu schaffen, das jeden Eindringling in einem langwierigen Zermürbungskrieg ausbluten lässt.
Diese Doktrin, die unter Maduros Vorgänger Hugo Chávez nach dem Putschversuch von 2002 eingeführt wurde, zielt darauf ab, jede Invasion in eine kostspielige Besetzung zu verwandeln – durch eine zivile Verteidigung, die in den lokalen Gemeinschaften verankert ist.
Auf diplomatischer Ebene prangerte Venezuela den Schritt der USA als Verstoß gegen das Völkerrecht an und warb um Unterstützung in regionalen und globalen Foren, darunter die CELAC und die UNO.
Vor allem aber stützte sich Caracas auf seine strategischen Allianzen: Russland liefert fortschrittliche Waffen, führt gemeinsame Übungen durch und blockiert im UN-Sicherheitsrat Resolutionen unter Führung der USA. China ist der größte Gläubiger und Wirtschaftspartner Venezuelas, der ölgestützte Kredite und Infrastrukturinvestitionen bereitstellt. Der Iran stellt technisches Know-how für Raffinerien, Treibstoff und lebenswichtige Güter bereit.
Zusammen bilden diese Allianzen einen geopolitischen Schutzschild, der Venezuela davor bewahrt hat, ein weiterer gescheiterter Staat im Gefolge der US-Sanktionen zu werden. Jeder Akteur sorgt für eine zusätzliche Schicht der Widerstandsfähigkeit: Russland für militärische Tiefe, China für wirtschaftlichen Sauerstoff, Iran für das tägliche Überleben.
Szenarien am Horizont
Drei Szenarien bestimmen nun den Weg, der vor uns liegt:
- Gemanagte Krise: Die USA halten die Marinepräsenz aufrecht und nutzen sie als Verhandlungsmasse, ohne direkte Konfrontation.
- Begrenzte Intervention: Ein Angriff oder eine Seeblockade könnte einen Flächenbrand auslösen, Energiemärkte destabilisieren und Nachbarländer in den Konflikt ziehen.
- Kalkulierter Rückzug: Angesichts hoher Risiken verringert Washington seine militärische Präsenz, setzt aber die Wirtschaftssanktionen fort. Caracas überlebt durch Allianzen und Resilienz.
Es wird deutlich: Washingtons Eskalation unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung ist eine mehrschichtige Druckkampagne, deren Ziele weit über den Drogenhandel hinausgehen.
Jeder Weg ist mit hohen Kosten verbunden. Aber eines ist sicher: Hier geht es nicht um Drogen, sondern um ein Imperium. Venezuela hat sich zu einer wichtigen Frontlinie im globalen Kampf gegen die unipolare Vorherrschaft entwickelt. Das Ergebnis wird nicht nur die Zukunft Venezuelas prägen, sondern auch einen Wendepunkt im Machtgleichgewicht des 21. Jahrhunderts markieren.
Kanonenboote folgen auf Sanktionen in der US-Strategie gegen Venezuela