27. Juni 2025

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EU baut Faktenchecker-Netzwerk aus und schafft Kapazitäten für “Notsituationen”

 

Schnelle “Faktenchecks” für Katastrophenfälle und Notsituationen: Das ist eines der Ziele, das die EU-Kommission mit der millionenschweren Stärkung ihres “Faktenchecker-Netzwerks” verfolgt. Die eigenen Narrative stärken und konträre Informationen unterdrücken? Kritische Geister wie Christine Anderson (Europa Souveräner Fraktionen / AfD) sehen hier einen Versuch der EU-Kommission, die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs zu übernehmen.

Multipolar Magazin Dieser Artikel wurde zunächst auf Multipolar veröffentlicht:

Brüssel. (multipolar) Die EU-Kommission hat eine Ausschreibung veröffentlicht, mit der das europäische Faktenchecker-Netzwerk gestärkt werden soll. In einer Pressemitteilung (27. Mai) heißt es, Ziel sei es „ein vertrauenswürdigeres und sichereres Online-Umfeld für die europäischen Bürger“ zu schaffen. Zu den „wichtigsten Maßnahmen“ gehören ein „System zum Schutz von Faktenprüfern vor Belästigung“ sowie eine „Datenbank für Faktenprüfungen“. Im Falle von „Notsituationen“ sollen „Kapazitäten für die Überprüfung von Fakten“ bereit stehen. Auf Multipolar-Anfrage erklärte die EU-Kommission, die Notfallkapazitäten sollten eine rasche Verbreitung von Faktenüberprüfungen gewährleisten, „was insbesondere bei Vorfällen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen oder Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist“.

Die Ausschreibung gehört zur Initiative „Europäischer Schutzschild für Demokratie“ (European Democracy Shield Initiative) von Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) für den Zeitraum von 2024 bis 2029. Eine Dotierung von 5 Millionen Euro erfolgt durch die Generaldirektion „Erweiterung und Östliche Nachbarschaft“ der EU-Kommission. Weitere 42 Millionen Euro stehen über die Generaldirektion „Kommunikationsnetzwerke, Inhalt und Technologie“ zur Verfügung, wie dem „EU Funding & Tenders Portal“ zu entnehmen ist.

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Warnung vor “Kreml-nahen Desinformationsnarrativen”

Bewerben können sich bis Anfang September 2025 nicht nur Akteure aus EU-Mitgliedstaaten, sondern „auch aus den Kandidaten- und Beitrittsländern sowie den mit dem Programm ‚Digitales Europa‘ assoziierten Nachbarländern“. Dazu gehören unter anderem Ukraine, Montenegro, Serbien, Albanien, Kosovo, Moldawien und Bosnien-Herzgovina. Begründet wird die Ausweitung des Faktenchecker-Netzwerkes auf südosteuropäische Länder außerhalb der EU damit, dass diese besonders anfällig für Desinformation und ausländische Einflussnahme seien. Gewarnt wird vor „Kreml-nahen Desinformationsnarrativen“.

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Kampf gegen Anti-EU-Narrative und Kritik an Ukraine-Kurs und Klimapolitik

Wie umfangreich gegen diese „Narrative“ vorgegangen wird, lässt sich exemplarisch an den Finanzquellen der bulgarischen Organisation „factcheck-bg“ ablesen. Neben dem US-Außenministerium werden für die Jahre 2021 bis 2025 die US-Botschaft in Rumänien, die Nato, die Open-Society-Stiftung von George Soros, Google, Meta sowie EU-Institutionen genannt. Geförderte Projekte zielen auf den Ausbau des Faktenprüfer-Netzwerks und die – auch präventive – Bekämpfung von „populären Narrativen“ in Südosteuropa und Anti-EU-Narrativen im Vorfeld der EU-Parlamentswahl. Weitere Themenfelder sind der Ukraine-Krieg und die Klimapolitik. Zu den Bekämpfungsstrategien gehören Maßnahmen wie „prebunking“, womit Menschen im Vorfeld für „Desinformation“ sensibilisiert werden sollen. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung vergleicht dies mit einer „Impfung“: Die „Falschmeldung ist noch nicht gestreut“, die Medienkonsumenten seien sich jedoch bereits „der Bedrohung bewusst“.

Eine Anfang Juni veröffentlichte Studie des Journalisten Thomas Fazi im Auftrag des „MCC Brussels” mit dem Titel „Die Brüsseler Medienmaschine“ listet weitere detaillierte Beispiele auf. Das Projekt „Factchecking: Strategy for Eastern European Media Resilience” (Seite 47) werde als eine notwendige Antwort auf Russlands hybride Kriegsführung bezeichnet. Es fördere Medien beispielsweise in der Slowakei, in Polen, der Ukraine und Weißrussland. Faktenüberprüfung solle laut Projektbeschreibung „zu einer nachhaltigen Tätigkeit für die Medien in Osteuropa“ werden, „auch in Bezug auf das Geschäftsmodell, das über die kurzfristige journalistische Arbeit hinausgeht.“

Die aktuelle EU-Ausschreibung ist eingebettet in die bestehende Organisationsstruktur „European Digital Media Observatory“ (EDMO) und soll diese erweitern und vertiefen. So sollen Faktenüberprüfungen in allen Sprachen der EU stattfinden und die Zusammenarbeit zwischen Faktenprüfern, Wissenschaftlern und Fachleuten für Medienkompetenz gefördert werden. Das „Netzwerk von Faktenprüfern“ soll den „Desinformationsraum überwachen“, „Desinformation entlarven“ und „die Widerstandsfähigkeit von Medienschaffenden und Bürgern gegenüber Desinformation erhöhen“, heißt es im Ausschreibungstext. Die Faktenprüfer sollen durch die Finanzierung zudem „Hand in Hand“ mit dem Europäischen Schutzschild für Demokratie arbeiten. Gleichwohl werde die „Unabhängigkeit von Faktenprüfern“ durch die vom „European Fact-Checking Standards Network (EFCSN) entwickelten Standards für Unabhängigkeit und Transparenz“ gewährleistet.

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Könnte Kritik an Faktencheckern strafrechtlich verfolgt werden?

Der Journalist Norbert Häring kritisiert den Ausbau des Faktencheck-Netzwerks. Die Funktion einer Datenbank für Faktenchecks sei es, „verbindlich ablesen“ zu können, „was auf umstrittenen Themengebieten als Desinformation zu gelten hat“. Außerdem befürchtet er, dass Kritik an der Arbeit der Faktenchecker und ihrer Regierungsnähe als „Belästigung“ strafrechtlich verfolgt werden könnte. Die EU-Kommission teilte auf Multipolar-Anfrage mit, die Ausschreibung stehe nicht im Zusammenhang mit dem Digital Services Act und seiner Durchsetzung. Die Frage, wie die EU-Kommission „Belästigung“ definiere und von zulässigem Meinungsstreit unterscheide, wurde nicht beantwortet.

Häring bezweifelt zudem die Unabhängigkeit von EDMO. Es handele sich „um eine von der EU-Kommission gegründete und indirekt von ihr finanzierte und kontrollierte Organisation, die ein Netzwerk von 14 Beobachtungsstellen für Mitgliedsländer oder Gruppen von Mitgliedsländern koordiniert. Auch Thomas Fazi bemerkt, mit der Nähe der EU zu Medien und Faktenchecker-Organisationen untergrabe die EU ihre Glaubwürdigkeit. „Wenn dieselben Institutionen, die ‚Anti-Desinformations’-Initiativen finanzieren, auch aktiv an der Förderung ihrer eigenen Narrative beteiligt sind, oft durch öffentlich finanzierte Propaganda, entsteht ein klarer Interessenkonflikt.” (Seite 49) Die EU-Kommission betont demgegenüber auf Multipolar-Anfrage die Unabhängigkeit der geförderten Organisationen. Die Initiative diene „nicht der Verbreitung von EU-Narrativen oder der Förderung des Images der EU“. Sie solle den Bürgern eine informierte Meinungsbildung ermöglichen.

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Anderson: EU-Kommission will Kontrolle über den Diskurs gewinnen

Auf Multipolar-Anfragen an Abgeordnete verschiedener Fraktionen im „Sonderausschuss für den Europäischen Schutzschild für die Demokratie” antwortete nur Christine Anderson von der Fraktion „Europa Souveräner Nationen“, zu der die AfD gehört. Mit der Finanzierung des Faktenchecker-Netzwerks wolle die EU-Kommission „Kontrolle über den öffentlichen Diskurs gewinnen”. Sie beschädige damit die Meinungsfreiheit, kritisierte Anderson. „Die Ausweitung dieser Strukturen auf Drittstaaten” wertet sie als „klaren Akt der Einmischung – genau das Verhalten, das die EU sonst lautstark verurteilt, wenn es von anderen kommt”. Die EU-Kommission hält dem entgegen, die Ausweitung des Faktenchecker-Netzwerkes auf Drittstaaten basiere auf Abkommen mit den Ländern. Die Ausschreibung mische sich nicht in interne Angelegenheiten der Staaten ein, sondern ziele darauf ab, „unabhängige“ Faktencheck-Organisationen zu „unterstützen“.

 

EU baut Faktenchecker-Netzwerk aus und schafft Kapazitäten für “Notsituationen”