Thomas Kolbe
Historisch gesehen hat sich die chemische Industrie als ausgezeichneter Frühindikator für schwere Wirtschaftsabschwünge erwiesen. Ihr gegenwärtiger Zustand sollte als Warnung dienen: Das Klimapolitik-Regime steht am Anfang seines Zusammenbruchs. Und Berlins fiskalische Bazooka – geladen mit noch mehr Schulden – wird nichts ändern.
Einige Leser werden sich an das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2001 erinnern. Fünf Jahre lang trug ein unerbittlicher Tech-Boom die Märkte nach oben. Der Nasdaq stieg in einem Rausch von einem Allzeithoch zum nächsten, was das Urteilsvermögen sowohl institutioneller Anleger als auch Privatanleger trübte. Niemand wusste, wann die Musik aufhören würde.
Der Dotcom-Crash
Aber hätten Anleger ihr Verhalten an den Entwicklungen in der deutschen chemischen Industrie ausgerichtet, hätten sie die unvermeidliche Portfoliokatastrophe vielleicht vermieden. Mitte 2000 war die Chemieproduktion in Deutschland bereits um sechs Prozent gefallen – ein schlechtes Omen für die Realwirtschaft, weil Chemikalien ein frühes Spiegelbild dessen sind, was in den Kernindustriesektoren passiert: Maschinenbau, Automobil, Bau und Konsumgüter.
Ihre tiefe Integration in die Wertschöpfungsketten der Realwirtschaft macht die chemische Industrie zu einer Kristallkugel mit außergewöhnlicher prognostischer Schärfe.
Und tatsächlich glitt die deutsche Wirtschaft im folgenden Jahr in eine Rezession. Die US-Wirtschaft schwächte sich ebenfalls ab und schädigte sofort die deutschen Chemieexporte. Als die Gesamtwirtschaft ins Straucheln geriet, verdampfte der Börsentraum. Ein Nadelstich, und alles brach zusammen. Der Schlag traf direkt Millionen von Kleinanlegern, die auf die harte Tour Lehrgeld für ihre erste Börsen-„Erziehung“ zahlten.
Märkte werden nicht nur von der Stimmung, sondern von Produktivitätstrends und Geldmengendynamik getrieben. Kurzfristig sind sie Ausdruck der Liquiditätsbedingungen und spiegeln den Kreditzyklus wider.
Eine Rezession nach der Wiedervereinigung
Gehen wir weitere zehn Jahre zurück – ins späte 1991, frühe 1992. Die Euphorie der deutschen Wiedervereinigung hatte ihren vorläufigen wirtschaftlichen Höhepunkt erreicht. Staatliche Konjunkturprogramme pumpten Kredite in den Bausektor und leiteten Geld in ineffiziente, unnötige Infrastruktur. Ein künstlicher Nachwende-Boom setzte ein – nur um kurz darauf von seinem ersten großen Schock getroffen zu werden.
Zur Jahreswende glitt die deutsche chemische Industrie in eine sektorale Rezession und verlor in den nächsten achtzehn Monaten etwa sieben Prozent ihres realen Produktionsvolumens. Wieder einmal bewies der Chemiesektor seine prognostische Kraft: Kaum ein halbes Jahr später folgte ihm die Gesamtwirtschaft in die Rezession.
Etwa 1,5 Millionen Menschen verloren ihre Arbeitsplätze; das BIP schrumpfte um 0,8 Prozent – und 1994 fielen die Märkte erneut.
Die Märkte reagierten auf die drastische Straffung durch die US-Notenbank, die versuchte, die galoppierende Inflation durch Liquiditätsverknappung zu zügeln. Es markierte das Ende des Konjunkturzyklus – eines, den der Chemiesektor erneut mit Vorlauf richtig antizipiert hatte.
Rezession oder Strukturbruch?
Nach jedem Abschwung tauchte der deutsche Chemiesektor innovativer und exportwettbewerbsfähiger wieder auf. Er stieß während der Rezessionen dysfunktionale Segmente ab und wuchs dann wie eine Schlange, die ihre Haut abwirft.
Beide Krisen können auch als geldpolitische Phänomene gelesen werden. Zentral geplante Kreditkosten – festgelegt durch Zinspolitik – erzeugten milde Boom-and-Bust-Zyklen, einen systemischen Fehler innerhalb eines ansonsten marktorientierten Systems, das solche Zentralbankinterventionen noch absorbieren konnte.
Was uns zur Gegenwart bringt: Folgen wir noch einem klassischen Konjunkturzyklus – oder haben wir bereits einen Strukturbruch erlebt? Die Fakten sind klar. Seit 2018 bricht nicht nur der Chemiesektor zusammen. Das gesamte Fundament der Industrieproduktion scheint gebrochen zu sein. Über alle Sektoren hinweg liegt die Produktion etwa 20 Prozent unter dem Niveau von 2018.
Nichts in der aktuellen Umgebung deutet darauf hin, dass sich dies ändern wird. Keine Menge an künstlichen Staatskrediten kann die klaffende Lücke in Deutschlands industrieller Basis füllen – nicht durch Waffenverträge, nicht durch subventionierte grüne Branchen-Patronage.
Grüner Tribut
Deutschland ist aufgrund katastrophaler politischer Entscheidungen in eine Ära der Deindustrialisierung eingetreten. Die Zahlen sind eindeutig, selbst wenn Unternehmensführer wie BASF-CEO Markus Kamieth es offen auszusprechen verweigern – die Abhängigkeit von der staatlichen Subventionsmaschinerie übertrumpft jede Verantwortungsvorstellung in der heutigen Unternehmensbürokratie.
In Berlin, Brüssel, Paris und London hat sich eine korporatistische Denkweise durchgesetzt. Politische Eliten berauschten sich an der Subventionsflut rund um den Green Deal – eine ganze halluzinierte grüne Transformation, aufgebaut auf CO₂-Narrativen und abgeladen auf die Steuerzahler.
Der anhaltende Niedergang des Chemiesektors zeigt, dass Industrieproduktion in Deutschland unter den derzeitigen Bedingungen nicht mehr lebensfähig ist. Das zentralplanerische Energiemarktdesign erzeugt Kosten, die Unternehmen aus dem Land treiben. Deutschland verlor im letzten Jahr allein 64,5 Milliarden Euro an Direktinvestitionen; in diesem Jahr wird die Zahl voraussichtlich 100 Milliarden Euro übersteigen.
Die deutsche Gesellschaft verarmt im Zeitraffer, weil ihre politische Klasse sich weigert zu verstehen, dass Industrieproduktion die wahre Quelle gesellschaftlichen Wohlstands ist – und weil sie überzeugt bleibt, dass eine zentral geplante künstliche Wirtschaft produktive Unternehmen ersetzen kann.
Alles, was von der Industrie abhängt – komplexe Wertschöpfungsketten, Dienstleistungen, Zulieferer, hochbezahlte Arbeitsplätze, sogar der aufgeblähte Staatshaushalt – lebt von der Innovationskraft und Produktionskapazität eines freien Industriesektors.
Politische Tarnung
Wenn Deutschlands grüner „Degrowth-Kanzler“ Friedrich Merz und sein Gefolge nun vorsichtige Anpassungen am klimasozialistischen Regime vornehmen – einen neuen E-Auto-Subventionsvorschlag in den Raum stellen, Industriestrompreise an „Öko-Investitionen“ knüpfen – ist dies nichts weiter als politische Tarnung. Politiker kämpfen verzweifelt darum, den grünen Kurs zu bewahren. Merz ist im Wesentlichen ein „Autopen“ der Merkel-Scholz-Ära – ein grüner Zentralplaner in geliehenen konservativen Kleidern, dessen Herde ihn verlässt.
Wir erleben nichts weniger als einen zivilisatorischen Bruch – und den Aufstieg eines klimasozialistischen Regimes, das bereits in wirtschaftlichen Trümmern liegt, bevor seine Architekten überhaupt eine illusionäre Ernte einfahren konnten.
Die politische Reaktion auf zunehmende Kritik war vorhersehbar und erbärmlich: Unterdrückung, Zensur und Einschüchterung – ein Eingeständnis des Scheiterns im Angriff auf die persönliche Freiheit.
Die Märkte sollten sich auf hohe Volatilität einstellen, weil Berlin und Brüssel ihr politisches Überleben an massive neue Schuldenemissionen und eine beschleunigende Verstaatlichung des Kreditprozesses knüpfen.
Der andauernde Zusammenbruch des Chemiesektors signalisiert eine politische Krise – eine, die nicht enden wird, bis dieses neue sozialistische Experiment vollständig gescheitert ist. Bis dahin müssen die Deutschen eine sich beschleunigende Verarmungsspirale bewältigen.
Ein Zusammenbruch in Deutschlands Chemiesektor ist ein schlechtes Omen
