Brian Berletic
Russlands allmählicher Vormarsch in der Donbass-Region scheint eine operative Einkesselung der letzten großen ukrainischen Verteidigungslinie – des sogenannten „Festungsgürtels“ – zu formen, eine Entwicklung, die nicht nur das Schicksal des Krieges, sondern auch die Gestalt der entstehenden globalen Ordnung bestimmen könnte.
Die Realität einer großen Einkesselung im Donbass
Russische Truppen haben in den letzten Wochen zunehmend begonnen, die Stadt Pokrowsk im zentralen Donbass einzukreisen, während sie sich weiter nördlich Lyman und Siversk nähern.
Betrachtet man verschiedene Live-Kartenprojekte, die den Ukraine-Konflikt verfolgen, entstehen erste Zangenbewegungen, die – so einige Analysten – auf eine großflächige Einkesselung des verbliebenen ukrainischen Festungsgürtels hindeuten.
Dieser Gürtel umfasst stark befestigte urbane Zentren von Kostiantynivka bis Kramatorsk und Slowyansk. In dieser Zone dürften sich tausende, vielleicht zehntausende ukrainische Soldaten befinden. Ihre Einkesselung durch russische Streitkräfte würde eine katastrophale Niederlage für die Ukraine und ihre US-Unterstützer bedeuten – und den russischen Zielpunkt der „Sonderoperation“, nämlich die vollständige Einnahme des Donbass, verwirklichen.
In den kommenden Wochen und Monaten wird sich das Schicksal dieser Operation entscheiden – sowohl auf dem Schlachtfeld als auch weit darüber hinaus: strategisch in der Tiefe der Ukraine und Russlands sowie geopolitisch weltweit.
Operative statt physische Einkesselung
Viele stellen sich eine Art Zweiter-Weltkrieg-Style-Einkesselung vor, bei der Panzer- und Infanteriekolonnen ukrainische Verbände vollständig umschließen. Doch wahrscheinlicher ist eine operative, nicht physische Einkesselung.
Russische Bodentruppen rücken weiterhin schrittweise entlang der Frontlinie vor, belagern Städte, sichern entstandene Vorsprünge gegen Gegenangriffe und verhindern selbst, von ukrainischen Zangenmanövern eingeschlossen zu werden.
Parallel dazu nutzt Russland seine Langstrecken- und Drohnenkapazitäten, die sich rasant in Qualität und Quantität verbessert haben, um ukrainische Nachschubwege entlang der gesamten rückwärtigen Linie des Festungsgürtels zu zerstören.
Mit dem unausweichlichen Fall von Pokrowsk und dem russischen Vorrücken auf Lyman, geraten praktisch alle Nachschubrouten zwischen diesen Punkten in Reichweite russischer FPV- und Glasfaserdrohnen.
Die Einkesselung von Pokrowsk und die entstehende Frontlinie westlich von Kostiantynivka haben bereits die Logistik der Stadt beeinträchtigt. Je mehr russische Kontrolle sich in diesem Raum konsolidiert, desto effektiver werden Drohnenangriffe auf Kramatorsk und Slowyansk, insbesondere, wenn russische Kräfte gleichzeitig von Norden nach Süden vorrücken.
Je enger sich diese Zangen schließen, desto wirksamer wird die operative Einkesselung – und desto prekären werden die ukrainischen Stellungen dazwischen.
Krieg der Abnutzung
Russland muss Pokrowsk oder Kramatorsk nicht vollständig physisch umschließen, um die Verteidigung dort zu brechen. Eine operative Einkesselung ist sogar vorteilhafter, da sie den Gegner zwingt, immer mehr Reserven in eine aussichtslose Lage zu schicken.
Russland führt keinen Bewegungskrieg, sondern einen Abnutzungskrieg – mit dem Ziel, die ukrainische Armee zu demilitarisieren, nicht, möglichst schnell Territorium zu erobern.
Ein schneller Vorstoß bis zum Dnjepr wäre riskant und würde die ukrainischen Resteinheiten näher an die NATO-Versorgungslinien bringen. Stattdessen zwingt Russland die Ukraine, ihre Truppen und ihr Material immer wieder an dieselbe Frontlinie zu schicken, wo sie systematisch vernichtet werden.
Reaktionen des Westens – auf und jenseits des Schlachtfelds
Selbst westliche Medien erkennen inzwischen an, dass Russland diesen Abnutzungskrieg führt und entscheidend gewinnt – und dass die USA und Europa militärisch kaum mehr dagegenhalten können.
Darum drängen Washington und Brüssel auf einen Waffenstillstand – de facto ein „Minsk 3.0“ –, um Zeit zu gewinnen, ihre Rüstungsproduktion hochzufahren und die ukrainische Armee wiederaufzubauen, wie schon nach den ersten Minsker Abkommen.
Russlands Ablehnung eines Waffenstillstands und sein fortgesetzter militärischer Erfolg zwingen die USA, den Krieg sowohl militärisch zu eskalieren als auch auf andere Ebenen zu verlagern – mit wirtschaftlichem und diplomatischem Druck.
Ein Beispiel ist die Drohung, der Ukraine Tomahawk-Marschflugkörper zu liefern. Diese würden den Krieg zwar nicht entscheiden, aber Russland zwingen, seine Luftverteidigung weiter ins Landesinnere zu verlegen, wodurch Operationen an der Front verlangsamt würden. Zudem könnten sie gezieltere Angriffe auf russische Rüstungs- und Energieinfrastruktur ermöglichen.
Parallel dazu erhöhen die USA den Druck auf Russlands Handelspartner, insbesondere Indien und China, durch Sanktionen und Strafzölle.
Das Ziel: Indien und China sollen sich entscheiden – US-Märkte und Dollar-System oder Handel mit Russland. Würden beide dem US-Druck nachgeben, wäre Russland wirtschaftlich isoliert und geschwächt – was wiederum auch Indien und China in Isolation treiben würde, ein zentrales Element der US-Strategie, um jeden aufstrebenden Rivalen zu bremsen.
Bleiben Indien und China standhaft, schadet die US-Sanktionspolitik kurzfristig zwar allen Beteiligten, beschleunigt aber langfristig den Übergang zu einer multipolaren Wirtschaftsordnung.
Die unmittelbare Folge: Länder wie Indien und China müssen sich vom US-Dollar und westlichen Finanzsystemen abkoppeln – ein Prozess, der mit den BRICS-Initiativen längst begonnen hat. Der US-Druck wirkt so kontraproduktiv: Er beschleunigt den Aufbau von nicht-westlichen Alternativen, auch zu SWIFT und dem Dollar.
Fazit: Der Ukraine-Krieg als Schlüsselmoment der neuen Weltordnung
Die Schlacht um den Festungsgürtel im Donbass ist ein Mikrokosmos des größeren US-Stellvertreterkriegs gegen Russland – ein langsamer, aber strategisch folgenreicher Konflikt.
Das Ergebnis dieser Operation wird wahrscheinlich den Gesamtausgang des Ukraine-Kriegs bestimmen.
Darüber hinaus zeigt der US-Schwenk von militärischer Eindämmung zu globalem Wirtschaftskrieg, dass dieser Konflikt von Anfang an Teil einer viel größeren US-Strategie war – mit dem Ziel, Rivalen zu eliminieren und die eigene Vormachtstellung weltweit zu sichern.
Die kommenden Monate werden daher nicht nur für den Ukraine-Krieg, sondern auch für die künftige Weltordnung entscheidend sein – in einem globalen Konflikt, den die USA längst nicht nur gegen Russland, sondern gegen die gesamte multipolare Welt führen.
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Brian Berletic ist ein geopolitischer Analyst und Autor mit Sitz in Bangkok.
Die zukünftige Weltordnung hängt vom Ukraine-Stellvertreterkrieg ab