Andrew Korybko
Die Prozesse, die sich derzeit abzeichnen, werden viel Zeit in Anspruch nehmen – vielleicht sogar eine ganze Generation oder länger. Deshalb sollten Erwartungen an einen schnellen Übergang zu einer voll entwickelten Multipolarität gedämpft werden.
Das jüngste Gipfeltreffen der führenden Politiker der SCO in Tianjin lenkte erneut die Aufmerksamkeit auf diese Organisation, die einst als Forum zur Beilegung von Grenzstreitigkeiten zwischen China und einigen ehemaligen Sowjetrepubliken begann, sich dann aber zu einer hybriden Sicherheits- und Wirtschaftsgruppe entwickelte. Rund zwei Dutzend Staats- und Regierungschefs nahmen teil, darunter der indische Premierminister Narendra Modi, der damit erstmals seit sieben Jahren wieder nach China reiste. Nicht-westliche Medien werteten das Treffen als Wendepunkt im globalen Übergang zur Multipolarität.
Während die SCO durch die sich abzeichnende Annäherung zwischen China und Indien – ironischerweise ausgelöst durch US-Druck – stärker ins Zentrum rückte, ist BRICS inzwischen weltweit ein Begriff. Doch beide Organisationen werden die Weltordnung nur allmählich verändern, nicht abrupt, wie manche erwarten. Ihre Mitglieder sind sehr heterogen und können sich realistischerweise nur auf allgemeine Kooperationspunkte einigen. Zudem sind ihre Beschlüsse nicht rechtlich bindend, sondern rein freiwillig.
Was SCO und BRICS verbindet – und hier gibt es immer mehr Überschneidungen sowohl bei den Mitgliedern als auch bei den Partnern –, ist das gemeinsame Ziel, das De-facto-Monopol des Westens in der Weltordnung zu durchbrechen und eine gerechtere Ordnung für die „Weltmehrheit“ zu schaffen. BRICS konzentriert sich dabei auf die finanzielle Multipolarität, um den nötigen Einfluss für Reformen zu gewinnen. Die SCO soll parallel dazu künftigen Szenarien innerer Instabilität vorbeugen.
Doch es gibt Grenzen: Die BRICS-Bank hält sich bislang an westliche Sanktionen gegen Russland, da die meisten Mitglieder wirtschaftlich eng mit dem Westen verflochten sind. Auch bei der Entdollarisierung herrscht Zurückhaltung. Die SCO wiederum beschränkt ihren Nachrichtenaustausch auf unkonventionelle Bedrohungen wie Terrorismus, Separatismus und Extremismus – und wird durch die Rivalität zwischen Indien und Pakistan weitgehend blockiert. Zudem verhindern Souveränitätsbedenken, dass die Gruppe zu einem neuen „Warschauer Pakt“ wird.
Trotz dieser Einschränkungen arbeitet die Weltmehrheit enger zusammen als je zuvor, um die Weltordnungspolitik schrittweise umzugestalten. Dies erscheint besonders dringlich angesichts der gelegentlichen Gewaltanwendung von Trump 2.0 – etwa gegen den Iran und möglicherweise gegen Venezuela – sowie der eskalierenden Zollkriege. China steht im Zentrum dieser Bemühungen, ohne sie jedoch zu dominieren, denn weder Indien noch Russland hätten sich darauf eingelassen, wenn sie das erwartet hätten.
Die Abhängigkeit führender Länder wie China und Indien von ihren engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Westen macht klar: Ein abrupter Bruch würde ihren eigenen Interessen erheblichen Schaden zufügen. Deshalb dauert der Übergang so lange. Beobachter sollten sich von Wunschdenken verabschieden und nicht auf einen schnellen Wandel hoffen, um spätere Enttäuschungen zu vermeiden.
Die Zukunft der Global Governance wird vom Ringen zwischen dem Westen und der Weltmehrheit bestimmt sein – hier der Versuch, ein De-facto-Monopol zu bewahren, dort das Ziel, das System Schritt für Schritt zu reformieren und es stärker an seinen UN-zentrierten Ursprüngen auszurichten, wenn auch in veränderter Form. Wahrscheinlich wird keines der extremen Szenarien Realität, sondern es werden alternative Institutionen entstehen, die sich auf bestimmte Regionen konzentrieren – wie die SCO für Eurasien oder die AU für Afrika –, die die UNO in Teilen allmählich ergänzen oder ersetzen könnten.