4. September 2025

ddbnews.org

Neuigkeiten / Berichte / Informationen

Die alte Weltordnung wurde in China begraben. Warum das wichtig ist, erfahren Sie hier:

 

Xi, Putin und Modi haben sich in Tianjin an die Spitze der Forderungen nach einem UN-zentrierten multipolaren System gestellt, während die eurasischen Blöcke enger zusammenrücken und die EU ins Abseits gedrängt wird.

Das jüngste Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Tianjin sieht auf den ersten Blick wie ein weiteres Gipfeltreffen aus – Händeschütteln, Familienporträts, geskriptete Erklärungen. Doch das Treffen vom 31. August bis 1. September ist mehr als nur diplomatisches Theater: Es ist ein weiteres Zeichen für das Ende der von den USA dominierten unipolaren Ära und für den Aufstieg eines multipolaren Systems, in dessen Mittelpunkt Asien, Eurasien und der globale Süden stehen.

Am Tisch saßen der chinesische Präsident Xi Jinping, sein russischer Amtskollege Wladimir Putin und der indische Premierminister Narendra Modi – zusammen vertreten sie mehr als ein Drittel der Menschheit und drei der größten Länder der Erde.

Xi stellte eine breit angelegte Global-Governance-Initiative vor, zu der auch eine geplante SCO-Entwicklungsbank, die Zusammenarbeit im Bereich der künstlichen Intelligenz und die finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern gehören. Putin bezeichnete die SOZ als „ein Vehikel für echten Multilateralismus“ und forderte ein eurasisches Sicherheitsmodell jenseits westlicher Kontrolle. Modis Anwesenheit – sein erster China-Besuch seit Jahren – und die starke Ausstrahlung seines Treffens mit Putin signalisierten, dass Indien bereit ist, als Teil dieser entstehenden Ordnung gesehen zu werden.

Was gerade passiert ist (und warum es mehr ist als ein Fototermin)

Xi wirbt für eine Ordnung, die „die Weltordnungspolitik demokratisiert“ und die Abhängigkeit von der US-zentrierten Finanzwelt verringert – weniger Dollar-Dominanz, mehr regionale Institutionen. Putin nannte die SCO ein Instrument für „echten Multilateralismus“ und eurasische Sicherheit. Indem er China als Partner und nicht als Rivalen bezeichnete, machte Modi deutlich, dass Neu-Delhi sich nicht in Washingtons Anti-China-Agenda einbinden lassen wird.

Über 20 nicht-westliche Staats- und Regierungschefs waren anwesend, und UN-Generalsekretär António Guterres unterstützte die Veranstaltung – kein Clubtreffen im Verborgenen, sondern ein UN-zentrierter Rahmen für ein von China geführtes Forum.

Übersetzt lautet die Botschaft: „Wir wollen die UN-Charta zurück – nicht die hausinternen Regeln eines anderen.“

Pekings Linie ist unverblümt: Ablehnung der Blöcke des Kalten Krieges und Wiederherstellung des UN-Systems als einzige universelle Rechtsgrundlage. Das ist eine direkte Zurückweisung der „regelbasierten internationalen Ordnung“, die nach 1991 in Washington oder Brüssel ausgearbeitet und selektiv durchgesetzt wurde.

Beispiele dafür sind leicht zu finden: Die NATO-Bombardierung Jugoslawiens 1999 ohne UN-Mandat, gerechtfertigt mit der „Schutzverantwortung“. Die US-geführte Invasion des Irak 2003 trotz fehlender Zustimmung des Sicherheitsrats – ein Krieg, von dem später selbst westliche Beamte zugaben, dass er auf falschen Voraussetzungen beruhte. 2011 nutzte die NATO eine UN-Resolution zur Flugverbotszone über Libyen für einen Regimewechsel, der das Land ins Chaos stürzte und einen Korridor des Elends nach Europa öffnete.

Für China, Russland und viele Staaten des Globalen Südens haben diese Ereignisse bewiesen, dass es bei der „regelbasierten Ordnung“ nie um universelles Recht, sondern um westliches Ermessen ging. Das Beharren in Tianjin auf die Wiederherstellung der UN-Charta soll das Drehbuch umkehren: Die SCO, die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika, mit den neuen Mitgliedern Ägypten, Äthiopien, Iran, VAE und bald Indonesien) und ihre Partner präsentieren sich als Verteidiger des Völkerrechts, während der Westen Ad-hoc-Koalitionen und wechselnde Standards für seine Zwecke nutzt.

Xi prangerte „Hegemonismus und Tyrannei“ an und rief zu einer „Demokratisierung der Weltordnungspolitik“ auf. Die SCO solle als Modell für echten Multilateralismus dienen, verankert in UNO und WTO, nicht in westlichen Ad-hoc-Regeln. Putin ging weiter, machte die USA und ihre Verbündeten direkt für die Eskalation in der Ukraine verantwortlich und stellte die SCO als Rahmen für eine eurasische Sicherheitsordnung dar, frei von NATO-Diktaten.

Die Architektur, die die Unipolarität ersetzt

  • Sicherheitsrückgrat: Die SCO bringt Russland, China, Indien und zentralasiatische Staaten zusammen für Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und Nachrichtendienstkooperation.
  • Wirtschaftsräume: Die BRICS, 2024 erweitert um Ägypten, Äthiopien, Iran und die VAE, 2025 auch Indonesien, bilden mit ihrer Entwicklungsbank und nationalen Handelswährungen ein Gegengewicht zur G7.
  • Regionales Gewicht: ASEAN, mit zehn Mitgliedern, gestaltet zunehmend Handel und Standards gemeinsam mit SCO und BRICS.
  • Energiepolitik: Der Golf-Kooperationsrat (GCC) koordiniert über OPEC+ die Ölströme.

Zusammen wirken diese Blöcke wie ein paralleles Regierungssystem, das keine westliche Zustimmung benötigt.

Die Irrelevanz der EU

Die EU war in Tianjin abwesend – und das spricht Bände. Einst als zweiter globaler Pol gedacht, ist Europa heute militärisch an die NATO gebunden, energieabhängig und intern zerrissen. Selbst das Flaggschiff CBAM (CO₂-Grenzausgleichsmechanismus) hat die Beziehungen zu Indien und anderen Ländern des Südens belastet. Europa war in Tianjin nicht Teil der Entscheidungen, sondern bloß Zuschauer.

Nach den Gesprächen werden die Panzer rollen

Der SCO-Gipfel ging einer Militärparade in Peking am 3. September voraus, zum 80. Jahrestag des Sieges über Japan. Xi, Putin und Nordkoreas Kim Jong-un werden gemeinsam auftreten. China präsentiert Interkontinentalraketen, Langstreckenwaffen und Drohnenverbände. Multipolarität ist hier nicht nur Rhetorik – sie wird durch Hard Power untermauert.

Warum Tianjin über Tianjin hinaus Bedeutung hat

  • Ein konkurrierendes Regelwerk: Von einer SCO-Bank bis zu BRICS-Finanzierungen und ASEAN-GCC-Kooperation – es gibt Verfahren, ohne westliche Aufsicht zu handeln.
  • UN-first: Die Legitimität wird in der UN-Charta verankert, westliche „Regeln“ erscheinen parteiisch.
  • Indiens Kalkül: Modis Händeschütteln mit Xi und Putin normalisiert das eurasische Dreieck.
  • Europas schrumpfendes Veto: EU-Mechanismen wie CBAM bestimmen nicht länger die Agenda in Eurasien.

Die Quintessenz

Der SCO-Gipfel in Tianjin war weniger eine Bühne für Reden als ein Symbol. Er zeigte, dass die unipolare Welt vorbei ist. Von Entwicklungsbanken über Energiekorridore bis zu Raketenparaden nimmt eine multipolare Ordnung Gestalt an – und sie braucht keine Zustimmung des Westens mehr.

 

 

Die alte Weltordnung wurde in China begraben. Warum das wichtig ist, erfahren Sie hier: