Von Westasien bis zur Arktis werden in einem rücksichtslosen Kampf um Wirtschaftskorridore Grenzen neu gezogen, Konflikte neu entfacht und seltsame Allianzen geschmiedet – alles in dem Bestreben, die Handelsadern der Welt zu kontrollieren.
Energielinien, Handelswege, Versorgungsketten, Zölle, Finanznetze, Eisenbahnen, Schifffahrtswege und sogar Weltraumpakte – das sind die neuen Frontlinien der globalen Macht. Die Regeln der internationalen Ordnung werden zerrissen. Was jetzt kommt, ist ein roher, ungeregelter Kampf um die Vorherrschaft.
Die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen, die Spannungen um Taiwan, Zypern, Grönland und den Panamakanal – sie alle sind Symptome dieses größeren Krieges um Handelswege und -korridore. In jedem Fall geht es darum, die Energie-, Waren- und Kapitalströme zu beherrschen.
Westasien ist, wie immer, der Nullpunkt. Es ist kein Zufall, dass der erste Auslandsbesuch von US-Präsident Donald Trump im Amt in den Persischen Golf führte. Auf dieser Reise im Jahr 2025 wurden Geschäfte im Wert von 3,2 Billionen Dollar abgeschlossen und Washingtons Gegenentwurf zu Chinas Belt and Road Initiative (BRI) vorgestellt: der India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEC), der Indien über den Persischen Golf mit Israel und weiter mit Europa verbinden soll.
Gürtel und Straße gegen die amerikanische Comeback-Fantasie
Washington weiß, dass es seine Vormachtstellung nicht allein durch Zölle zurückerobern kann. Aus diesem Grund gibt es zwei weitere entscheidende Auseinandersetzungen: eine um neue Handelskorridore und die andere um Seewege.
Die indisch-pakistanischen Spannungen, die die Welt in den letzten Wochen erschüttert haben, haben ihre Wurzeln in einem wichtigen Kampf zwischen den beiden Handelsrouten IMEC und BRI. Die Schlüsselregion für IMEC ist Westasien, für das Belt and Road-Projekt Zentralasien und Westasien.
IMEC ist ein Konstrukt, das ausschließlich darauf abzielt, Chinas BRI zu umgehen und den Einfluss der USA in West- und Zentralasien wieder zu stärken. Doch der Kampf um den Korridor hat die Zersplitterung der globalen Macht deutlich gemacht.
Indien, Chinas größter regionaler Rivale, der Prognosen zufolge bis 2050 die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt sein wird, ist Washingtons Hauptpartner im IMEC. Doch sein offenes Bündnis mit Israel und seine feindselige Haltung gegenüber Pakistan gefährden den gesamten Plan. Nur wenige Länder mit muslimischer Mehrheit sind bereit, sich öffentlich mit Tel Aviv zu verbünden. Wenn Indien einen tieferen Konflikt mit dem atomar bewaffneten Pakistan provoziert, bricht der IMEC zusammen.

Unterdessen ist das krisengeschüttelte, aber geostrategisch wichtige Pakistan der Eckpfeiler von Chinas BRI. Es verbindet Ostasien mit Europa. Ohne Pakistan kann die BRI nicht funktionieren. Indiens IMEC-Vorstoß steht daher vor einer geopolitischen Wand.
Die vorgeschlagene IMEC-Route – über die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Israel, Zypern und Griechenland – lässt den Iran und die Türkei, die beiden nicht-arabischen westasiatischen Mächte, absichtlich außen vor. Und Washingtons Ambitionen für den Gazastreifen gehen weit über die derzeitige Belagerung durch Israel hinaus.
Trumps Fantasie, Gaza in die „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln, zielte darauf ab, den Streifen in ein Re-Exportzentrum der USA zu verwandeln. Vor diesem Hintergrund ist der Gaza-Krieg ebenso sehr eine Frage der Korridorpolitik wie der Widerstandsachse.
Die Verlagerung indischer Waren von Gaza nach Larnaca und damit die Fortsetzung des Warenverkehrs nach Europa über den Seeweg ist keine sehr praktikable Option, aber sie ist auch eine politische Entscheidung des Westens. Folglich wird das, was in Zypern geschieht, entscheidend. Die Möglichkeit, dass Zypern zum „neuen Libanon“ wird, wird immer größer.

Realitätsprüfung: Die Zahlen lügen nicht
Auf dem Papier mag der IMEC beeindrucken. Doch die realen Handelsdaten erzählen eine andere Geschichte. Nach Angaben des chinesischen Ministeriums für Zollverwaltung und Handel und des französischen Observatoriums für die neuen Seidenstraßen (OFNRS) ist Chinas Handel mit den Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) seit 2016 sprunghaft angestiegen.
Saudi-Arabien liegt mit 125 Milliarden Dollar an der Spitze, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 95,2 Milliarden Dollar. Dabei handelt es sich nicht nur um Energieexporte – gemeinsame Industriezonen, Hafeninfrastrukturen und Ko-Investitionen vertiefen die chinesische Marktpräsenz.
Energie und petrochemische Produkte machen einen großen Teil dieser Exporte aus, der je nach Staat am Persischen Golf zwischen 40 und 75 Prozent liegt. Chinas Joint Ventures mit Saudi Aramco und der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) sind dabei, die Energieinfrastruktur der Region neu zu gestalten. Dabei handelt es sich nicht um spekulative Partnerschaften, sondern um eine eingebettete Infrastruktur und eine langfristige Ausrichtung.
Vergleichen Sie dies mit dem Handelsvolumen zwischen zwei wichtigen IMEC-Akteuren, Indien und Israel: Im Januar 2025 betrug das bilaterale Volumen gerade einmal 359 Millionen Dollar. Schlimmer noch, der bilaterale Handel ist in den letzten fünf Jahren um 8,41 Prozent zurückgegangen. Dies entlarvt die dünne Fassade des IMEC.
Auch wenn diese geringen Handelsvolumina allein nicht ausreichen, um das Potenzial neuer Korridorprojekte zu bestimmen, so sind sie doch ein wichtiger Indikator, um die Präferenzen der Transitländer bei der Umsetzung von Handelskorridoren zu ermitteln.
Der Politikwissenschaftler Dr. Mehmet Perincek erklärt gegenüber The Cradle: „Der IMEC ist nur ein politisches Schaufenster … und nicht in der Lage, einen echten Infrastrukturwandel zu bewirken.“
Er erinnert an das gescheiterte G7-Projekt „Build Back Better World“ (B3W), das an westlichen Machtkämpfen und Finanzlücken scheiterte. Dem IMEC droht das gleiche Schicksal, argumentiert er:
„Das liegt nicht nur an der mangelnden physischen Infrastruktur, sondern auch an der fehlenden politischen und finanziellen Kohäsion. Was Angela Merkel über das B3W-Projekt sagte, ‚Sie haben nicht genügend finanzielle Mittel, um dieses Projekt zu realisieren‘, zeigt deutlich die Schwäche solcher westlich geführten Alternativprojekte. Dem IMEC droht ein ähnliches Schicksal. Der jüngste Ausbau der strategischen Beziehungen Saudi-Arabiens zu China, die Attraktivität der VAE für chinesische Investitionen im Rahmen der Belt and Road-Initiative und ihr Beitritt zu den BRICS-Staaten deuten darauf hin, dass diese Länder auf die BRI ausgerichteten Zielen mehr Priorität einräumen als IMEC. Daher ist klar, dass der IMEC nur ein politisches Schaufenster ist und nicht in der Lage ist, einen echten Infrastrukturwandel zu bewirken.“
Unterdessen geht Chinas BRI weiter. Von der Wirtschaftszone Jazan bis zum Khalifa-Hafen verschanzt sich das chinesische Kapital an strategischen Knotenpunkten in Westasien. Dabei handelt es sich nicht um Versprechen, sondern um konkrete Investitionen.
Aber können BRI und IMEC komplementäre Projekte sein, wie einige Experten behaupten? Sibel Karabel, Direktorin des Asien-Pazifik-Zentrums und Dozentin an der Gedik-Universität, nennt ein Beispiel aus dem Hafen von Piräus:
„Griechenland wird Teil des IMEC sein, aber China hat seit 2008 erhebliche Investitionen in den Hafen von Piräus getätigt. Er wird bis 2026 in Betrieb genommen werden. Viele Chinesen sind in der Region tätig. China bemüht sich auch um eine kulturelle Integration, wo immer es tätig ist. Es könnte eine solche Verflechtung geben“.
Jüngsten griechischen Medienberichten zufolge gehören die Häfen von Thessaloniki, Piräus und Alexandroupoli zu den vorrangigen Zielen der USA.
Karabel weist auch darauf hin, dass die Finanzen eine große Rolle bei der Bestimmung des Erfolgs der konkurrierenden Handelskorridore spielen werden, wobei die BRI einige entscheidende Vorteile besitzt: „China hat eine sehr seriöse Finanzierungsquelle und wird von einem einzigen Zentrum aus verwaltet. Es gibt Finanzierungsquellen wie die Neue Entwicklungsbank und den Seidenstraßenfonds. Die Finanzierungsquellen des IMEC sind nicht vollständig geklärt und werden nicht von einem einzigen Zentrum aus verwaltet. Die EU-Länder geben an, dass sie Finanzmittel bereitstellen werden, aber es ist nicht klar. Auch die von Indien und Saudi-Arabien zu tätigenden Investitionen sind nicht vollständig geklärt.

Das türkisch-iranische Rätsel: Umgangen, aber nicht besiegt
Der absichtliche Ausschluss des Irans und der Türkei vom IMEC zeigt, dass der Westen verzweifelt versucht, unabhängige regionale Mächte zu isolieren. Die beiden westasiatischen Hegemone sind jedoch keineswegs untätig.
Der Iran, der bei öffentlichen Diskussionen über den Korridor oft außen vor gelassen wird, ist für jede langfristig tragfähige Route unverzichtbar und neben Indien und Russland einer der Hauptpartner des Internationalen Nord-Süd-Verkehrskorridors (INSTC).
Die Türkei treibt unterdessen das Entwicklungsstraßenprojekt voran, einen massiven Infrastrukturplan, der sich über 3.000 Kilometer Eisenbahn-, Autobahn- und Energieleitungen vom irakischen Hafen Al-Faw am Persischen Golf bis nach Europa erstreckt. Es könnte mit dem Mittleren Korridor durch das Kaspische und Schwarze Meer verbunden werden.
Doch er ist von Instabilität bedroht. Ein umfassender Angriff auf den Iran oder die Auflösung der Volksmobilisierungseinheiten (PMU) im Irak würde einen Bürgerkrieg auslösen und den Korridor zum Scheitern bringen. Der ungelöste Syrien-Konflikt sorgt für weitere Unsicherheit.
Dennoch argumentiert Dr. Perincek, dass das Entwicklungsstraßenprojekt strukturell auf Multipolarität und regionale Integration ausgerichtet ist. Die Eisenbahnverbindungen der Türkei zur EU und der Zugang zu Zentralasien über Aserbaidschan machen das Projekt zu einem ernsthaften eurasischen Konkurrenten.
Nord durch Nordost: Der arktische Joker
Weit entfernt von den warmen Gewässern Westasiens spielt sich ein ruhigerer Kampf über schmelzende Eiskappen ab. Die Nördliche Seeroute (NSR), die durch die Klimakrise schiffbar geworden ist, verkürzt die Transitzeit zwischen Ostasien und Europa um ein Drittel im Vergleich zur Durchquerung des Suezkanals.
Dies könnte die geopolitische Bedeutung von Projekten wie dem IMEC schwächen, während China seine Exportgüter über die Arktis schneller nach Europa liefern könnte.
Russland und China investieren bereits kräftig. Eisbrecherflotten, arktische Häfen und die Schifffahrtsinfrastruktur werden ausgebaut. Die USA, die einst am Steuer schliefen, haben nun Kanada und Grönland im Visier, um wieder an Bedeutung zu gewinnen.

Russland, die skandinavischen Länder und Kanada sind die Hauptakteure an der Grenze zum Nordpol. Russland und China scheinen auf dieser Route derzeit deutlich im Vorteil zu sein. Russland verfügt über eine große Flotte von Eisbrechern, und es ist nicht möglich, ohne diese Flotte in kurzer Zeit eine Schifffahrtslinie auf dieser Route einzurichten, da sie noch voller Gletscher ist. Kanada hat exklusive Rechte in diesem Gebiet, und Grönland ist als Knotenpunkt im Atlantik von großer Bedeutung.
Aus diesem Grund hat sich Trump in seiner zweiten Amtszeit auf den Kauf Grönlands festgelegt. Die NSR droht die Route Indischer Ozean-Suez-Rotes Meer völlig in den Schatten zu stellen. In einem solchen Szenario verliert der IMEC jeden strategischen Zweck.
Korridore der Macht: Westasiens Dilemma mit hohen Einsätzen
Da BRI, IMEC, die Entwicklungsstraße und die arktischen Routen miteinander konkurrieren, könnte für West- und Zentralasien nicht mehr auf dem Spiel stehen. Die Türkei, der Iran und die Staaten des Persischen Golfs können alles gewinnen – oder verlieren.
Diese Korridore bieten Wege zu regionaler Macht und Integration. Aber sie bergen auch die Gefahr, dass diese Staaten zu Spielbällen externer Imperien werden. Die Fragmentierung der Handelsnetze bedeutet, dass kein einzelner Korridor dominieren wird. Stattdessen werden sich wahrscheinlich hybride Modelle herausbilden.
Die Zukunft wird davon abhängen, wie die regionalen Staaten mit diesen Rivalitäten umgehen, indem sie wirtschaftliche Interessen, politische Souveränität und militärische Stabilität in einem sich verschärfenden Wettbewerb ausgleichen.
Nur die Staaten, die sich für eine multipolare Zusammenarbeit statt für eine atlantische Abhängigkeit entscheiden, werden Erfolg haben. Alle anderen werden sich möglicherweise auf dem Altar des letzten Spiels eines schwindenden Imperiums geopfert sehen.
Der versteckte Krieg: Mächte streiten um globale Handelskorridore