23. Oktober 2025

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Der nächste Pakt soll verabschiedet werden: Hanoi-Pakt gegen Cyberkriminalität – Sicherheit oder globaler Überwachungsvertrag?

 

Ein UN-Abkommen verspricht, digitale Kriminalität einzudämmen – Kritiker warnen vor einem Angriff auf Privatsphäre, Meinungsfreiheit und Souveränität.

Am 25. und 26. Oktober 2025 soll in Hanoi (Vietnam) die neue UN-Konvention gegen Cyberkriminalität unterzeichnet werden. Offiziell handelt es sich um den ersten globalen Vertrag, der die Zusammenarbeit gegen grenzüberschreitende Online-Delikte – von Ransomware bis Identitätsdiebstahl – regeln soll.

Doch schon vor der Unterzeichnung ist klar: Dieses Abkommen ist weit mehr als ein technischer Schritt zur digitalen Sicherheit. Es ist ein politisches Dokument, das über die Zukunft von Internetfreiheit, staatlicher Überwachung und internationaler Machtverteilung entscheiden könnte.

Was der Pakt regelt – und was nicht

Der sogenannte „UN Cybercrime Treaty“, von der UNO bereits 2024 beschlossen und vom UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) entworfen, soll Staaten in die Lage versetzen,

  • Cyberstraftaten weltweit einheitlich zu definieren,
  • digitale Beweise schneller auszutauschen,
  • Auslieferungen und Ermittlungen über Grenzen hinweg zu vereinfachen,
  • und Behörden direkten Zugriff auf gespeicherte Daten im Ausland zu ermöglichen.

Klingt nach Effizienz und globaler Sicherheit – doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Zentraler Bestandteil des Abkommens sind weitreichende Ermittlungsbefugnisse, die in den Händen von Regierungen ohne starke Rechtsstaatstradition gefährlich werden könnten.

„Cyberkriminalität“ oder Kontrolle?

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, Electronic Frontier Foundation (EFF) und Access Now warnen seit Monaten, dass der Vertrag vage Definitionen enthält. Der Begriff „Cybercrime“ könne so weit ausgelegt werden, dass nicht nur Hacker oder Betrüger erfasst werden, sondern auch Journalisten, Aktivisten, Whistleblower oder IT-Sicherheitsforscher.

Ein Beispiel:

Artikel zu „unautorisiertem Zugriff“ oder „Datenmissbrauch“ könnten in manchen Staaten bereits dann greifen, wenn Journalisten geleakte Regierungsdaten veröffentlichen oder wenn Sicherheitsforscher Schwachstellen aufdecken.

Zudem ermöglicht das Abkommen den grenzüberschreitenden Austausch von Nutzerdaten – ohne klare richterliche Kontrolle, teilweise sogar ohne Information des betroffenen Staates. Kritiker sprechen deshalb von einer „digitalen Extraterritorialität“, die nationale Datenschutzgesetze untergraben könnte.

Das Gastgeberland: Symbolträchtig und problematisch

Dass die Unterzeichnung ausgerechnet in Vietnam stattfindet, ist mehr als symbolisch. Das Land steht regelmäßig wegen Online-Zensur, Überwachung und der Verfolgung von Bloggern in der Kritik. Die vietnamesische Regierung hat in den letzten Jahren Dutzende Aktivisten nach Posts in sozialen Medien verhaften lassen – häufig unter dem Vorwurf der „Verbreitung von Falschinformationen“.

Ausgerechnet dort also will die UNO den globalen Standard für digitale Ermittlungsbefugnisse setzen. Menschenrechtsgruppen sehen darin ein doppeltes Signal: ein Fest der Diplomatie – aber auch ein Menetekel für digitale Grundrechte.

Wer unterzeichnet – und wer zögert

Nach Angaben der UNODC werden über 100 Mitgliedsstaaten Delegationen nach Hanoi entsenden.
Unterzeichnen wollen unter anderem:

  • Vietnam, Russland, China, Brasilien, Südafrika, Indien, Ägypten, Saudi-Arabien und mehrere Staaten des globalen Südens.
  • Auch zahlreiche afrikanische und lateinamerikanische Länder haben ihre Zustimmung signalisiert, da sie sich Unterstützung bei der Strafverfolgung versprechen.
  • In Europa wird erwartet, dass Frankreich, Spanien, Italien und Griechenland unterschreiben, während Deutschland und Österreich zunächst auf eine juristische Prüfung drängen.
  • Die Schweiz prüft derzeit eine Unterzeichnung, möchte aber laut Außenministerium „verbindliche Menschenrechtsgarantien“ nachverhandeln.

Unklar bleibt die Haltung der USA, Kanadas und mehrerer EU-Mitgliedstaaten, die bereits die Budapester Konvention von 2001 als ausreichenden Rahmen ansehen.
Washington hat signalisiert, dass es den Hanoi-Pakt „begrüßt“, eine Ratifizierung im Kongress aber „nicht kurzfristig realistisch“ sei. Auch Japan und Australien zeigen sich zurückhaltend – vor allem wegen Bedenken zur Datenhoheit und Einflussnahme autoritärer Staaten auf die Vertragsauslegung.

Wie soll der Vertrag umgesetzt werden?

Nach der Unterzeichnung tritt der Pakt in Kraft, sobald 40 Staaten ratifiziert haben.
Dann beginnt ein tiefgreifender Prozess:

  1. Anpassung nationaler Gesetze – Staaten müssen ihre Strafgesetze auf die neuen Normen abstimmen. Dabei werden Datenschutz und Pressefreiheit oft zu Verhandlungsmasse.
  2. Einrichtung neuer Datenkanäle – Polizei und Geheimdienste sollen künftig direkt Informationen austauschen können, ohne auf diplomatische Rechtshilfeverfahren angewiesen zu sein.
  3. Ausbildungs- und Technologiefonds – Die UNO plant Programme, um Entwicklungsländer technisch aufzurüsten. Kritiker warnen: Damit könnten autoritäre Regierungen Zugriff auf Überwachungstechnologien erhalten, die sie gegen die eigene Bevölkerung einsetzen.
  4. Überprüfungsgremium – Die UNO will ein „Cybercrime Committee“ einrichten, das Beschwerden und Missbrauchsfälle prüfen soll. Doch das Gremium wäre politisch besetzt – seine Unabhängigkeit gilt als fraglich.

Kritische Stimmen und offene Fragen

Während Regierungen in Hanoi den Vertrag als „Meilenstein“ feiern, bleibt die Frage offen, wer die Grenzen der Überwachung zieht.

Digitale Rechteorganisationen betonen, dass ohne klare Schutzmechanismen gegen politische Verfolgung und ohne Transparenzpflichten für Datenanfragen der Vertrag zur rechtlichen Grauzone mit globaler Wirkung wird.

Die Sorge ist real: Schon jetzt nutzen manche Staaten bestehende Cybergesetze, um Dissidenten, Journalisten oder NGOs zu verfolgen. Wird der Hanoi-Pakt ratifiziert, könnte diese Praxis künftig völkerrechtlich legitimiert werden.

Fazit: Zwischen Schutz und Macht

Der UN-Pakt gegen Cyberkriminalität könnte zweifellos helfen, echte Cyberbedrohungen schneller und effizienter zu bekämpfen.
Doch in seiner derzeitigen Form droht er, das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit zugunsten staatlicher Kontrolle zu verschieben.

Wenn Datenschutz, Pressefreiheit und digitale Selbstbestimmung geopfert werden, um „Cyberkriminalität“ zu bekämpfen, dann wird aus einem Schutzinstrument ein globales Überwachungsmandat.
Die Unterzeichnung in Hanoi markiert damit nicht nur den Beginn eines neuen Rechtsrahmens – sondern den Start eines Wettlaufs um die Definition von digitaler Freiheit.


Quellen

  • UNODC – Draft Convention on Countering the Use of ICTs for Criminal Purposes (2024–2025)
  • Reuters: “UN Cybercrime Treaty to be Signed in Hanoi Amid Human Rights Concerns” (Okt. 2025)
  • Associated Press: “Countries Prepare to Sign UN Cybercrime Convention Despite Criticism”
  • Human Rights Watch, EFF, Access Now – Stellungnahmen zu Menschenrechtsrisiken
  • Deutsche Welle: “Deutschland prüft UN-Pakt zu Cybercrime – Kritik an vagen Formulierungen” (Okt. 2025)
  • Nikkei Asia / VNExpress: “Vietnam Hosts UN Signing of Global Cybercrime Pact” (Okt. 2025)

 

Der nächste Pakt soll verabschiedet werden: Hanoi-Pakt gegen Cyberkriminalität – Sicherheit oder globaler Überwachungsvertrag?