Niall McCrae
„Die Vergangenheit ist ein fremdes Land“, lautet der erste Satz in L.P. Hartleys The Go-Between. Heute könnten wir dasselbe über die Gegenwart sagen, denn das Tempo des technologischen und demografischen Wandels beschleunigt sich rasant.
Und was ist mit der Zukunft? Welche Zuversicht und Gewissheiten können wir noch für unsere Kinder und Enkelkinder haben?
Staaten könnten bald in keiner erkennbaren Form mehr existieren, wenn eine neue Weltordnung zementiert wird. Doch nicht nur Grenzen werden ausgelöscht. Als Francis Fukuyama den „Ende der Geschichte“ mit dem Fall des Kommunismus verkündete, bereitete er – wohl unbeabsichtigt – den Boden für den vielleicht dramatischsten Eingriff der Globalisten in die Menschheit: die Auslöschung der Zeit. Wie David Fleming bereits warnte, dessen Philosophie des „Continuismus“ ein einigendes Prinzip zur Bewahrung der Menschlichkeit gegen den technokratischen Ansturm bietet, ist Chronozid eine Strategie.
Als soziale Wesen schaffen Menschen Gesellschaft. Über Generationen hinweg etablieren und pflegen Gemeinschaften ihre Bräuche, Überzeugungen, Rollen und Beziehungen. Fortschrittlich gesinnte Humanisten betonen zwar, dass uns mehr verbindet als Unterschiede in Ethnie, Religion oder Herkunft, doch kann niemand einfach in eine völlig andere Kultur umziehen und erwarten, dass das Leben normal weiterläuft.
Die entscheidende Komponente jeder Gesellschaft ist die Zeit, gemessen in Lebenszeit und Erfahrung. Tatsächlich: Mensch + Zeit = Kultur. In dieser Gleichung lassen sich Terrain, Ressourcen, Klima, Handel, Konflikt und Technologie als Umwelt- und Erziehungsfaktoren im menschlich-zeitlichen Komplex begreifen. Jede Gesellschaft schreibt und pflegt ihre eigene Geschichte.
In klassischen dystopischen Romanen wie 1984 oder Schöne neue Welt wird die Vergangenheit gezielt ausgelöscht. Winstons Aufgabe besteht darin, Aufzeichnungen so zu verändern, dass sie mit der jeweils aktuellen Parteilinie übereinstimmen. In Huxleys Zukunftsvision hingegen werden Babys maschinell erzeugt – der Gedanke, dass eine Frau gebären könnte, wirkt dort verstörend.
Wie die Marxisten der Frankfurter Schule bereits in den 1920er Jahren erkannten – und wie jeder Unternehmensberater heute weiß –, ändert sich nichts dauerhaft, wenn sich die Kultur nicht ändert. Soziale Bindungen und Traditionen sind Bollwerke gegen radikale, zentral gesteuerte Pläne. Schrittweise Veränderungen sind anfällig für Rückfälle in alte Muster, aber Schocks – radikale Umstrukturierungen – durchbrechen Bindungen und destabilisieren. Je abrupter der Wandel, desto schwächer der Widerstand.
Das „Jahr Null“ wischt die Tafel unserer Geschichte leer. Für kompromisslose Totalitaristen wie Pol Pot in Kambodscha war dies notwendig, um die Menschen aus einer traditionellen Agrarkultur in eine kommunistische Ordnung zu zwingen. Wer vergangene Relikte oder Haltungen verkörperte, wurde ausgelöscht. Während Schulkinder über den Holocaust unterrichtet werden, erfahren sie in der Regel nichts über das Trauma gewaltsamer Kollektivierung.
Chronozid ist das bewusste Abschneiden und Abbrennen unserer kulturellen Wurzeln – sichtbar über der Erde und verborgen darunter. Wir werden unserer Kontinuität als Familien, Clans und Bruderschaften beraubt, weil solche Verbindungen der technokratischen Agenda im Weg stehen. Eine atomisierte Gesellschaft „nimmt sich aus der Zeit“ – in folgenden sieben Formen:
1. Orwellscher Informationskrieg gegen das Volk
Erfahrungsbasierte Fakten, gesunder Menschenverstand und kritisches Denken werden zu „Fehlinformation“ oder „Hass“ erklärt. Überliefertes Wissen wird als „Aberglaube“ oder „Vorurteil“ diskreditiert. Junge Menschen, am stärksten der Propaganda ausgesetzt, werden systematisch dazu angestiftet, überlieferte Wahrheiten abzulehnen.
2. Staatlich gesteuerte psychologische Operationen
Verhaltens-PsyOps verwirren und verängstigen die Bevölkerung – und lösen sie aus ihrem Verstand. Wie bei der inszenierten Pseudo-Pandemie Covid-19 werden die Menschen in unbekanntes Terrain geworfen und der Kontrolle überlassen. Niemand kann sich mehr an die Spanische Grippe erinnern – also übernehmen im Ausnahmezustand die Behörden, und das Leben wird nie mehr wie zuvor.
3. Sicherheitspolitik ersetzt Kultur
Traditionelle Feste weichen kontrollierten Events. Lagerfeuer werden wegen Wind abgesagt, Dorffeste wegen allergischer Reaktionen auf Marmelade gestrichen, Kinderspiele wie „British Bulldog“ auf Schulhöfen verboten. Die Versicherungsbranche wirkt als Erfüllungsgehilfe, indem sie durch hohe Prämien unerwünschte Aktivitäten wirtschaftlich unterbindet.
4. Entmenschlichende Architektur
In großem Stil entstehen gesichtslose Betonstädte, ähnlich den Fehlplanungen der 1960er, nur extremer. Kirchen, Banken und Pubs schließen, Hauptstraßen veröden. Die Probleme von Hochhäusern wurden vergessen. „Smart Cities“ entstehen – Wälder aus Glas und Stahl, kalt und unnahbar.
5. Enteignung und Vermögensraub
Das Weltwirtschaftsforum verkündet: „Sie werden nichts besitzen und glücklich sein.“ Doch jemand wird alles besitzen. Erbschaften verschwinden, wie am Beispiel der drückenden Erbschaftssteuer auf alte Familienhöfe. Generationenübergreifender Besitz wird ausgelöscht – und mit ihm unsere Verbindung zur Vergangenheit.
6. Massenmigration zerstört sozialen Zusammenhalt
Trotz aller Multikulti-Rhetorik fühlen sich viele Einheimische entfremdet. Neuankömmlinge bleiben familiär gebunden – nicht staatlich eingebunden. Gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl löst sich auf. Genau das wollen die Eliten: Eine wurzellose Masse, leicht lenkbar. David Goodhart nannte sie die „Anywheres“, die alles Fremde dem Vertrauten vorziehen. Die „Somewheres“ – die Verwurzelten – finden sich plötzlich in einem zeitlosen Nirgendwo wieder.
7. Technologische Verdrängung des Realen
Während der sichtbare Wandel durch Demografie erfolgt, ist die nahe Zukunft – dominiert von virtueller Realität, KI und Bioengineering – die wahre Bedrohung. Der Mensch wird in eine transhumane Existenz gedrängt. Im Vergleich dazu erscheinen heutige kulturelle Konflikte wie ein Picknick.
Die UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords von 1948 definiert Genozid als die Tötung nationaler, ethnischer, rassischer oder religiöser Gruppen. Doch Raphael Lemkin entwickelte auch das Konzept des kulturellen Genozids: die „systematische und organisierte Zerstörung des kulturellen Erbes“.
Eine Kultur kann ausgelöscht werden, ohne dass ein einziger Schuss fällt. Technokraten spielen auf Zeit – und planen längst für eine postkulturelle, postzeitliche Zukunft.
Chronozid ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Chronozid: Wie die Technokratie die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auslöscht