4. November 2025

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Die zweistufige Verschlüsselungsvision der EU ist digitaler Feudalismus

 

Sam Altman, CEO von OpenAI, zeigte kürzlich einen Moment der Menschlichkeit in einer Technologiewelt, die oft zu viel und zu schnell verspricht. Er forderte die Nutzer auf, nichts mit ChatGPT zu teilen, was sie nicht auch einem Menschen zeigen würden. Das US-Heimatschutzministerium hat bereits begonnen, darauf aufmerksam zu werden.

Seine Warnung trifft einen tieferen Kern, der unserer gesamten digitalen Welt zugrunde liegt. In einer Sphäre, in der wir nicht mehr sicher sein können, ob wir es mit einem Menschen zu tun haben, wird klar: Oft ist es Software, die kommuniziert – nicht Menschen. Diese wachsende Unsicherheit ist mehr als nur eine technische Herausforderung. Sie trifft den Grundpfeiler des Vertrauens, der die Gesellschaft zusammenhält.

Das sollte uns nicht nur über KI nachdenken lassen, sondern über etwas noch Fundamentaleres, viel Älteres, Leiseres und im digitalen Raum Entscheidenderes: Verschlüsselung.

In einer Welt, die zunehmend von Algorithmen und autonomen Systemen geprägt ist, ist Vertrauen wichtiger denn je.

Verschlüsselung ist unser Fundament.

Verschlüsselung ist nicht nur eine technische Schicht; sie ist das Fundament unseres digitalen Lebens. Sie schützt alles – von privaten Gesprächen bis hin zu globalen Finanzsystemen, authentifiziert Identität und ermöglicht, dass Vertrauen über Grenzen und Institutionen hinweg skaliert.

Entscheidend ist: Sie ist nichts, was durch Regulierung neu erschaffen oder durch Politik ersetzt werden kann. Wenn Vertrauen zerbricht, Institutionen versagen oder Macht missbraucht wird, bleibt die Verschlüsselung bestehen. Sie ist das Sicherheitsnetz, das sicherstellt, dass unsere privatesten Informationen geschützt bleiben – selbst in Abwesenheit von Vertrauen.

Ein kryptografisches System ist nicht wie ein Haus mit Türen und Fenstern. Es ist ein mathematischer Vertrag: präzise, strikt und dazu bestimmt, unzerbrechlich zu sein. Eine „Hintertür“ ist hier nicht nur ein geheimer Zugang, sondern ein in die Logik des Vertrags eingebetteter Fehler – und ein einziger Fehler genügt, um die gesamte Vereinbarung zu zerstören. Jede Schwachstelle, die zu einem bestimmten Zweck eingeführt wird, kann zu einer Öffnung für alle werden – von Cyberkriminellen bis hin zu autoritären Regimen.

Ein System, das vollständig auf Vertrauen durch starke, unbrechbare Codes aufgebaut ist, beginnt zu kollabieren, sobald dieses Vertrauen gebrochen wird. Und genau jetzt steht dieses Vertrauen unter Bedrohung.

Ein Bauplan für digitalen Feudalismus

Die ProtectEU-Initiative der Europäischen Kommission schlägt einen Mechanismus vor, der Dienstanbieter verpflichtet, private Kommunikation direkt auf den Geräten der Nutzer zu scannen – bevor die Verschlüsselung angewendet wird. Das verwandelt persönliche Geräte effektiv in Überwachungswerkzeuge und zerstört die Integrität der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.

Während staatliche Akteure niemals eine solche Schwachstelle in ihren eigenen sicheren Systemen zulassen würden, schafft dieses Mandat einen getrennten, schwächeren Sicherheitsstandard für die Öffentlichkeit.

Auf den ersten Blick klingt das nach einem vernünftigen Kompromiss: stärkere Verschlüsselung für Regierungen, mit sogenanntem „gesetzlichem Zugriff“ auf die Daten der Bürger. Doch in Wirklichkeit schlägt es ein fest codiertes Ungleichgewicht vor – eines, in dem der Staat verschlüsselt, und die Öffentlichkeit entschlüsselt wird.

Das ist keine Sicherheitspolitik. Es ist ein Bauplan für digitalen Feudalismus – eine Zukunft, in der Privatsphäre ein Privileg der Mächtigen wird, nicht ein Recht, das allen garantiert ist. Zwei-Klassen-Verschlüsselung verschiebt das Gleichgewicht des Vertrauens weg von demokratischer Rechenschaftspflicht und zementiert eine Struktur der Kontrolle, die keine freie Gesellschaft akzeptieren sollte.

Machen wir uns nichts vor: Diese Debatte geht nicht um Sicherheit. Sie geht um Kontrolle.

Wir sollten nicht in einer Welt leben, in der nur die Mächtigen privat sein dürfen.

In einem Zeitalter allgegenwärtiger KI, staatlich geförderter Hackerangriffe und massenhafter digitaler Überwachung ist die Schwächung der Verschlüsselung nicht nur kurzsichtig, sondern systemisch verantwortungslos. Für diejenigen von uns in der dezentralisierten Welt ist das keine abstrakte Debatte – es ist eine praktische Notwendigkeit.

Starke, unbrechbare Verschlüsselung ist weit mehr als ein technisches Feature; sie ist das Fundament, auf dem alles andere ruht.

Wahrheit durch Verifikation

Deshalb muss die Mission von Web3 in ihrem zentralen Versprechen verwurzelt bleiben: Wahrheit.
Nicht Wahrheit durch Autorität, sondern Wahrheit durch Verifikation.

Dieses Prinzip eines sich selbst durchsetzenden Vertrags ist der Grund, warum echte dezentrale Systeme ohne Schlüsselmeister oder Institution gebaut werden, die die Schlüssel besitzen. Eine Hintertür einzuführen, ist ein Widerspruch in sich – sie schafft erneut einen zentralen Schwachpunkt und verletzt das Grundprinzip eines vertrauenslosen Systems.

Sicherheit ist ein binärer Zustand: Sie ist entweder für alle vorhanden – oder für niemanden garantiert.

Zum Glück sind diese Prinzipien nicht nur theoretisch. Die kryptografischen Grundbausteine, die aus diesem Bereich hervorgehen – Zero-Knowledge-Beweise, die Fakten bestätigen, ohne Daten offenzulegen, und Proof-of-Personhood-Systeme, die Sybil-Angriffe abwehren, ohne die Privatsphäre zu gefährden – bieten eine echte, funktionierende Alternative. Sie zeigen, dass wir uns nicht zwischen Sicherheit und Freiheit entscheiden müssen.

Die Ironie ist offensichtlich: Dasselbe Feld, das jetzt bedroht ist, enthält die Werkzeuge, die wir brauchen, um eine sicherere, offenere digitale Zukunft zu gestalten. Eine Zukunft, die nicht auf Überwachung oder Gatekeeping basiert, sondern auf permissionless Innovation, kryptografischem Vertrauen und individueller Würde.

Wenn wir eine digitale Welt wollen, die sicher, inklusiv und widerstandsfähig ist, dann muss Verschlüsselung stark und universell standardisiert bleiben – für alle.

Nicht, weil wir etwas zu verbergen haben, sondern weil wir alle etwas zu schützen haben.

 

Die zweistufige Verschlüsselungsvision der EU ist digitaler Feudalismus