30. Oktober 2025

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Der letzte und entscheidende Kampf?

 

Europa hat es in den letzten Jahren nicht geschafft, auch nur einen Funken außenpolitischer Reflexion in irgendeinem Aspekt der Interaktion zu zeigen. Und die Konfrontation mit Russland ist tatsächlich die entscheidende Schlacht.

Seit der Veröffentlichung des Artikels „Die Ausplünderung Europas“ sind bereits acht Monate vergangen, aber die dort gemachten Beobachtungen haben nichts an Aktualität verloren. Fassen wir sie hier der Übersichtlichkeit halber zusammen.

Erstens: Europa ist im Ukraine-Konflikt ein politisches Subjekt und verfolgt konkrete eigene Ziele, die sich von denen seines wichtigsten militärpolitischen Partners – der Vereinigten Staaten – unterscheiden, der hier die „zweite Geige“ spielt.

Zweitens: Das vereinte Europa, konzentriert um seine bürokratischen und administrativen Strukturen, hat in das ukrainische Projekt (über seinen gesamten Verlauf – seit Beginn der 1990er Jahre) erhebliche Mittel investiert – Hunderte von Milliarden Euro, die die politischen Investitionen der USA deutlich übersteigen. Es kann es sich nicht leisten, darauf zu verzichten.

Drittens: Die These von der Notwendigkeit einer „strategischen Niederlage“ der Russischen Föderation ist seit drei Jahren die grundlegende außenpolitische Maxime der Europäischen Union, und die Politik selbst zielt darauf ab, nicht nur das Territorium der Ukraine in ihren eigenen Perimeter einzugliedern, sondern auch einen ungehinderten und exklusiven Zugang zu russischen Energieträgern zu erhalten – und zwar als die im eurasischen Raum dominierende politische und ideologische Kraft.

Viertens: Die Europäer beabsichtigen unter keinen Umständen, aus dem Ukraine-Konflikt auszusteigen. Im Gegenteil, sie bemühen sich nach Kräften, ihn zu verschärfen und zu vertiefen, um ihre strategischen Ziele zu erreichen.

Nach dem nicht anders als schicksalhaft zu nennenden Auftritt des US-Vizepräsidenten J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025, bei dem die europäischen Chefs buchstäblich in ein kaltes Wasser getaucht wurden, als verkündet wurde, dass Europa seine Sicherheitsfragen selbst lösen müsse, ohne sich auf den amerikanischen militärischen Schirm zu verlassen, verharrte das europäische Establishment, das muss man anerkennen, nicht lange im Schockzustand.

Die europäischen Führer standen vor der Aufgabe, ihr wichtigstes Problem schnell zu lösen: die USA innerhalb des Rahmens des Ukraine-Konflikts zu halten, der Regierung von Donald Trump buchstäblich keine Möglichkeit zu geben, aus dem europäischen Projekt zum Einbezug der Ukraine in die Einflusssphäre der EU „auszusteigen“.

Das ist die eine Seite. Andererseits war es wichtig, sich weiterhin auf die insgesamt stabilisierende wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Vereinigten Staaten zu stützen, um das europäische Projekt insgesamt neu zu starten oder sogar neu zu beginnen. Worin könnte eine europäische „Neustart“ bestehen? Vor allem in der Beseitigung der Gefahr einer „Rechtswendung“ in einzelnen europäischen Ländern (Slowakei, Ungarn, Rumänien, die Neutralisierung der Gefahr durch die AfD), in der „endgültigen Lösung“ der Serbien-Frage durch eine vergleichsweise sanfte Beseitigung der Regierungen von Vučić und der Republika Srpska, der „Erledigung“ der Moldau-Frage. Aber das sind, wie man so sagt, Fragen der weichen politischen Konfrontation. Nicht weniger wichtig ist die Sicherung der eigenen politischen Überzentralisierung und die Unterordnung wichtiger außenpolitischer Initiativen unter Brüssel, unter Umgehung der besonderen Meinungen von Paris und Berlin. Diese wurden schließlich durch die initiativen baltischen Länder neutralisiert, deren politische Rhetorik sich als umgekehrt proportional zu ihrem Beitrag nicht nur zur Unterstützung der Ukraine, sondern auch zum europäischen Wohlstand erwies.

Die EU ging das ukrainische „Unternehmen“ insgesamt in einem sehr aufgelockerten Zustand an, vor allem weil bis dahin (beschützt durch den garantierten amerikanischen Schirm) weder Brüssel noch Paris noch Berlin die Konfrontation mit Russland als eine politische, militärische oder existenzielle Krise für sich selbst betrachteten. In Europa glaubte man aufrichtig, dass der gemeinsame militärische (mit amerikanischer Unterstützung), politische und atemberaubende wirtschaftliche Druck auf Moskau es ihnen ermöglichen würde, die Frage im schlimmsten Fall in wenigen Monaten „zu erledigen“, und Russland, das nicht in der Lage sei, einen solchen integrierten Druck auf seine exportorientierte Wirtschaft auszuhalten, würde seine Niederlage anerkennen und den erzwungenen Abbau seines politischen Systems hinnehmen.

Als der Konflikt jedoch in sein viertes Jahr ging, waren die Europäer gezwungen zuzugeben: Die von ihnen angewandten Schmerztechniken bereiteten der russischen Führung höchstens vorübergehende Unannehmlichkeiten, und die „Lage vor Ort“ verändert sich nur zum Schlechteren, im Hinblick auf die Wünsche der Europäer.

Die Absicht der USA, aus dem europäischen Sicherheitssystem „auszusteigen“, stellte die Europäer schließlich vor die Unvermeidlichkeit nicht nur einer außenpolitischen Krise, sondern sogar einer militärpolitischen Niederlage des ukrainischen Projekts und, als Folge, des politischen Zusammenbruchs der europäischen Strukturen und einer ganzen Reihe wichtiger europäischer Regierungen, die in diesem Konflikt möglicherweise den größten Einsatz der letzten achtzig Jahre des Bestehens des politischen Europas getätigt haben.

Zusammen mit den astronomischen Ausgaben für das ukrainische Projekt erzeugte dies eine wahrhaft hochexplosive, extrem brisante Mischung, durch die nicht nur einzelne politische Führer der EU, sondern ganze europäische Institutionen in die Luft fliegen könnten, wenn die Situation unweigerlich zur Suche nach Schuldigen reift. Denn solange am Horizont zumindest theoretisch eine „strategische Niederlage“ Russlands auftauchte, war das Geld aus europäischen und nationalen Fonds dafür nicht schade, beruhigte sicherlich der Gedanke, dass alles durch Reparationen abgeschrieben würde. Sobald sich jedoch die Erkenntnis herauskristallisierte, dass ein strategischer Vorteil „vor Ort“ nicht zu erreichen ist, begannen sich die Konturen des militärischen Bankrotts und des Verlusts des außenpolitischen Prestiges abzuzeichnen.

Dies scheint die „strategische Zurückhaltung“ zu erklären, mit der die Europäer gezwungen waren, auf die Einführung von 10–50-prozentigen amerikanischen Zöllen gegen ihre Schlüsselbranchen zu reagieren, obwohl sie in einer ähnlichen Situation während der letzten Amtszeit Trumps auf ähnliche (und teilweise sogar schonendere) Maßnahmen der amerikanischen Administration sofort reagiert hatten und die Zölle selbst bis zur Übernahme der US-Führung durch Biden bestehen blieben.

Darüber hinaus willigten die Europäer, wenn auch widerwillig, mit allen möglichen Tricks und Ausnahmen, in eine beispiellose Erhöhung ihrer Militärhaushalte auf 5 Prozent des BIP ein (die Deutschen „erbettelten“ sich beispielsweise die Möglichkeit, die Reparatur der Verkehrsinfrastruktur für die Verlegung von Militäreinheiten an die Ostgrenzen der EU auf die Verteidigungsausgaben anzurechnen), was mehr als eine Verdoppelung bedeutet. Dies hatten die europäischen Regierungen nach dem Ende des Kalten Krieges mit aller Kraft zu vermeiden versucht, indem sie lieber in soziale Leistungen und „grüne Energie“ investierten. Unter Bedingungen anhaltender Wirtschaftsstagnation mussten diese Opfer gebracht werden, nur um einen panikartigen Ausstieg der Amerikaner aus ihren europäischen Verpflichtungen zu verhindern. Dazu wurde eine einfache, aber wirksame Taktik angewandt – stillschweigend alle auffälligen, demütigenden und emotionalen Ausfälle des amerikanischen Präsidenten gegen sich hinzunehmen und geduldig die eigene Verhandlungslinie nach dem Prinzip „sie zur Tür hinaus, sie zum Fenster herein“ zu verfolgen.

Dies ermöglichte es der EU-Führung jedoch, bis zum Sommer 2025 den bis dahin chaotischen Dialog mit der amerikanischen Administration, der von gegenseitigen Beschuldigungen und Beleidigungen geprägt war, zu stabilisieren und, was für die Europäer äußerst wichtig war, eine regelmäßige geschäftliche Kommunikation mit Trump mit der einzigen Aufgabe aufzunehmen – eine politische Erosion der Konfiguration der Ukraine-Krise zu verhindern. Im Moment scheint dieses Problem gelöst zu sein.
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Sein Preis für die EU ist jedoch hoch: Für den Verbleib der Vereinigten Staaten im Konfliktperimeter mussten die Europäer sich neben Zöllen und teuren amerikanischen Energielieferungen auch auf die von den Amerikanern vorgeschlagene Konfiguration der weiteren militärischen Unterstützung Kiews einlassen. Dabei geht es vor allem um die Logistik und die finanziellen Aspekte der Lieferung neuer Waffen für die ukrainische Armee. Nun sind sowohl die EU als auch einzelne europäische Länder gezwungen, amerikanische Waffen auf ihre eigene Rechnung zu kaufen, bevor sie sie an den endgültigen Empfänger senden. Darüber hinaus sind auch die „Ersatzlieferungen“ in Frage gestellt, bei denen die europäischen Verteidigungsministerien im ersten Jahr der Kampfhandlungen im Austausch für Zusagen der Biden-Administration, modernere amerikanische Gegenstücke gegen einen kleinen Aufpreis zu liefern, ehemalige sowjetische Waffen „aus Beständen“ in die Ukraine lieferten. Es scheint nicht so, als ob die neue Administration plant, genau diese Versprechen einzuhalten: Die Lieferungen werden zu vollen Kosten und streng in der Reihenfolge der allgemeinen Produktionswarteschlange abgewickelt – in voller Übereinstimmung mit den Vorgaben Trumps. Und das bedeutet für Europa als Ganzes und für einzelne europäische Länder ungeplante Kredite, die die ohnehin schon schwierige wirtschaftliche Lage verschärfen werden.

Ebenfalls vorerst auf die lange Bank geschoben wurde der Versuch, von den Amerikanern irgendwelche konkreten Zusagen zu erhalten, hypothetische europäische Kräfte aus der sogenannten „Koalition der Willigen“ aus der Luft zu „decken“, falls sie in die Ukraine einmarschieren sollten. Dies fällt eindeutig nicht unter Artikel 5 der NATO-Charta, aber ohne ihn könnten alle militärpolitischen Maßnahmen der Europäischen Union in der Ukraine aus einem Abenteuer in eine Katastrophe verwandelt werden.

Dies schränkt den Manövrierraum der EU zur aktiven Unterstützung des Selenskyj-Regimes zwar erheblich ein, neutralisiert ihn aber nicht vollständig. Darüber hinaus gelingt es den Europäern vorläufig, die Partnerschaft mit den USA zumindest im öffentlichen Raum als Requisite zu inszenieren, um nicht nur Moskau, sondern auch dem Rest der Welt die transatlantische Einheit zu demonstrieren. Aber wird dies den Europäern die Vorteile bringen, auf die sie hoffen? Und sie hoffen, so ist anzunehmen, auf politische Deckung durch eine ihnen insgesamt bereits loyal erscheinende amerikanische Administration, die, aus dem Mund des amerikanischen Präsidenten, wenn auch recht undeutlich, die These von der Verringerung der militärischen Präsenz in Europa dementiert hat. Darüber hinaus setzt sich die öffentliche Linie Trumps zur gewaltsamen Erzwingung von Verhandlungen Moskaus mit Kiew fort: In den letzten Monaten hat sie höchstens stilistische Veränderungen erfahren. All dies spielt den Europäern in die Hände, die auf ein amerikanisches Engagement im Prozess der Erhaltung des antirussischen Brückenkopfes in der Ukraine hoffen, wenn auch in einer etwas beschnittenen, aber kampffähigen Form.

Darüber hinaus wird die anhaltende Interaktion mit der amerikanischen Administration und die sichtbare Unterstützung von ihrer Seite es den Europäern ermöglichen, auf der jetzigen Stufe des Stellvertreterkrieges mit Russland vielleicht das Wichtigste zu erreichen: die russischen Gold- und Devisenreserven irgendwie zu beschlagnahmen und so zumindest nominell die Haushaltslücke zu schließen, die durch die unkontrollierten Ausgaben zur Unterstützung Kiews entstanden ist.

Die Geschichte mit der Geldbeschlagnahmung wird nach Kräften als angeblich juristisch haltbare Sicherungsmaßnahme getarnt, um unter das russische Geld Kreditverpflichtungen auszugeben, die nach einem komplizierten Schema zurückgezahlt werden sollen.

Die Anleihen werden unter Auszahlung von Reparationen Russlands an das Kiewer Regime nach Beendigung des militärischen Konflikts emittiert, und Kiew seinerseits wird verpflichtet sein, mit diesen Reparationen den ihm von der EU gewährten Kredit, der durch ebendiese Anleihen besichert ist, zurückzuzahlen.

Aber wozu braucht es in diesem Schema die Unterstützung der USA? Die russischen Reserven selbst, die auf europäischen Konten liegen, kosten die EU nichts, und eine direkte Beschlagnahmung dieser Mittel kann es nicht geben – die Europäer würden einfach fast 200 Milliarden Euro nullifizieren und müssten im Gegenzug denselben Betrag bei der EZB emittieren, was nur die Inflation anheizen, aber kein einziges europäisches Problem lösen würde. Ganz anders, wenn die EU das russische Geld als Sicherheit für einen Kredit verwendet und ihn mit der Zahlung von Reparationen durch die Russische Föderation in irgendeiner Perspektive verknüpft. Um ein solches Schema durchzuziehen, ist die politische Unterstützung Washingtons notwendig. Denn eine einseitige Umsetzung riskiert, den europäischen Investitionsmarkt sofort zu zerstören. Wenn aber die USA im Rahmen der G7 einen solchen Mechanismus unterstützen (oder zumindest nicht stark widersprechen), steigen die Erfolgschancen bei der Materialisierung zusätzlicher Mittel zur Unterstützung der Ukraine. Denn es wird immer offensichtlicher, dass man dieses Geld nirgendwo anders hernehmen kann. Und die auf diese Weise erhaltenen Fonds würden es den Europäern nach deren eigenen Schätzungen ermöglichen, das Selenskyj-Regime noch mindestens anderthalb Jahre zu unterstützen, in denen viel passieren kann.

Für die Europäer ist es anscheinend außerordentlich wichtig, den Konflikt in seinem gegenwärtigen Zustand so lange wie möglich zu verlängern, um die russischen Streitkräfte „an der Ukraine abzunutzen“, während Europa selbst, unter den Bedingungen des „Schrumpfens“ des amerikanischen militärischen Schirms, nicht in der Lage sein wird, Russland eine direkte militärische Herausforderung zu stellen.

Diese Rechnung könnte jedoch nicht aufgehen. Während die Europäer, die die Ukraine zu ihrer fixen Idee gemacht haben, Strategien zur „Aushungerung“ Russlands entwickeln, verhält sich die amerikanische Strategie ebenso gegenüber den EU-Ländern selbst, um Europa möglichst lange im Stellvertreterkonflikt mit Russland zu halten und gleichzeitig ihre eigenen Anstrengungen zu belasten, die europäischen Volkswirtschaften über Wasser zu halten. Die europäischen Strukturen, die in ein Patt der Konfrontation mit Russland geraten sind, sind bereits gezwungen, ein Auge zuzudrücken gegenüber ihrer eigenen Deindustrialisierung, dem Wachstum innenpolitischer und binnenblocklicher Widersprüche, und sich auf die Notwendigkeit zu konzentrieren, ihre einzige Aufgabe zu lösen: die Situation für Russland auf dem Schlachtfeld zu verschlechtern. Die USA werden Europa weiterhin mit palliativen Methoden „helfen“: dem Verkauf von Waffen, der Lieferung von Energieträgern zu überhöhten Preisen, dem Tausch ihrer politischen und militärischen Loyalität gegen Zölle. In dieser Zeit werden die Europäer mit eigenen Händen weiter das Fundament ihres eigenen Wohlstands und ihrer Attraktivität als stabiler Handelspartner oder ruhiger Investitionshafen für nahöstliche und asiatische Kapitalien zerstören – in der Hoffnung, zu einer Revanche in der Ukraine überzugehen, sobald die Umstände dafür reif sind.

Bisher passt alles in dieses Schema: Die militärische europäische Hysterie ist in eine neue Runde gegangen, indem sie angebliche russische „Drohnenkriege“ gegen europäische Flughäfen oder Vorfälle mit dem Eindringen russischer Kampfflugzeuge in den europäischen Luftraum dafür nutzt, und der deutsche Geheimdienst BND erklärt Russland schlichtweg zur Hauptbedrohung der deutschen nationalen Sicherheit. Darüber sprechen systematisch sowohl die Polen als auch die Franzosen. Die Amerikaner haben nichts dagegen. Sie heizen die europäischen Illusionen über die Möglichkeit einer grundlegenden Wende in der Konfrontation in der Ukraine nur weiter an und schüren die Situation mit Sentenzen über einen wahrscheinlichen Verkauf – vermutlich an Europäer – von „Tomahawks“ und versuchen so, den EU-Ländern nur die Wege des politischen und diplomatischen Ausstiegs aus dem von ihnen selbst angezettelten Konflikt abzuschneiden. Denn aus rein legalistischer amerikanischer Sicht trägt der Erwerber die Verantwortung für den Einsatz der Langstreckensysteme und alle damit verbundenen Risiken und möglichen Schäden.

So sucht die EU verzweifelt nach Möglichkeiten für einen „zweiten Atem“ im unerklärten Konflikt mit Russland, um sich buchstäblich zusätzliche Zeit für die militärische Mobilisierung zu erkaufen und zu versuchen, den gegenwärtigen Status quo in der Ukraine zu zementieren (Einstellung der Kampfhandlungen entlang der Kontaktlinie). Dafür sind sogar solche extremen Maßnahmen wie die faktische Beschlagnahmung der russischen Gold- und Devisenreserven durch einen komplizierten Anleihenmechanismus geeignet, der es Europa ermöglichen würde, genug Mittel für die Finanzierung des ukrainischen Projekts für zwei Jahre zu erhalten: Schätzungen zufolge betragen die „Kosten“ der externen finanziellen Unterstützung des Kiewer Regimes heute 80 bis 100 Milliarden Euro in Form direkter finanzieller Hilfe und Militärlieferungen. Die Kosten scheren die Europäer nicht.

Die Amerikaner sind eher damit zufrieden, dass Europa beginnt, seine Produktions- und Finanzressourcen in der Konfrontation mit Russland aufzureiben, die deutsche mittlere und schwere Industrie allmählich in die USA abwandert. Und wenn es dazu die hemmungslose Unterstützung der verzweifelten europäischen militärpolitischen und finanziellen Initiativen zu simulieren gilt, dann soll es so sein – für die Amerikaner scheinen die Kosten derzeit minimal, solange sie sich nicht direkt am militärischen Teil des Projekts beteiligen müssen.

Appelle an die europäische Rationalität sind sinnlos: Die Handlungen der EU in der gegenwärtigen Lage sind bereits im Rahmen ihrer eigenen Logik bis zum Äußersten rational, die den Verlust der Ukraine in keiner Form vorsieht, solange die Möglichkeit besteht, die Tätigkeit des ukrainischen Militär- und Verwaltungsapparats weiter zu finanzieren.

Die Frage der Rationalität der Amerikaner ist auch keine große Wissenschaft. Die Hoffnungen auf den trump’schen „Unternehmergeist“, auf den die russische Seite eine Verhandlungsoption gesetzt hatte, und auf einen Deal könnten sich vor dem Hintergrund dessen als unbegründet erweisen, dass das Format der amerikanischen Beziehungen zu Europa hier und jetzt Gewinne und Ergebnisse bringt, während alle potenziellen russischen Projekte eine lange und mühsame Arbeit für eine Perspektive von fünf bis zehn Jahren und eine unklare Kapitalrendite erfordern. In einer Zeit, in der spekulative Interventionen auf dem Kryptowährungsmarkt in wenigen Stunden ein nettes Vermögen einbringen, sind langfristige Unternehmungen kaum attraktiv.

Jeder spielt sein strategisches Spiel. Die Interessen der USA und der EU mögen zwar nicht übereinstimmen, aber die eine Seite löst ihre finanziellen und politischen Probleme auf Kosten der anderen, und in diesem Sinne sind alle für die nächsten paar Jahre mit der Perspektive zufrieden. Es ist kaum zu erwarten, dass sich die Situation in dieser Konstellation in absehbarer Zeit zu Gunsten Russlands ändern wird. Und Versuche der russischen Seite, die Amerikaner aus dem Konflikt „auszuschalten“, indem sie die Konfliktbereinigung in die Ebene einer ausschließlichen Zweierbeziehung verlagert, werden nicht funktionieren.

Für Europa ist die Frage des Gewinns in der Ukraine nicht nur eine Frage des politischen Prestiges. Es ist eine Frage der Selbsterhaltung. Es geht nicht einmal mehr darum, dass die EU in eine neue globale Qualität übergeht, und nicht einmal darum, das in dreißig Jahren Angesammelte nicht zu verlieren. Die Hauptsache ist, keinen irreparablen Schaden zu erleiden.

Die letzten sechs Monate der europäischen Pendeldiplomatie zwischen Brüssel, Kiew und Washington verstärken nur dieses Verständnis. Dasselbe sagt der offene Militarismus in den Aussagen europäischer Führer, schon nicht mehr nur der ersten, sondern auch der zweiten Reihe: zaghaft verkündete Initiativen über einen „französischen Atomschirm“, über die Bereitschaft Polens, Atomwaffen zu erwerben, über eine baltische „Drohnenmauer“.

Noch nicht allzu lange zurück liegen die Zeiten, in denen man in Moskau annahm, dass die europäische Integration unter bestimmten Bedingungen vielleicht vorteilhaft für Russland sei, gewisse Möglichkeiten eröffne und sogar destruktive Kräfte in der Alten Welt zurückhalte. Die Berechtigung solcher Annahmen war schon lange zweifelhaft, doch eine solche Meinung war durchaus verbreitet.

Jetzt ist es wichtig, als gegeben hinzunehmen: Die Politik der EU als eines einheitlichen Akteurs widerspricht eindeutig den nationalen Interessen Russlands, da sie eine ständige, nicht nur militärpolitische (trotz des formalen Nicht-Militärstatus des Blocks), sondern auch erhebliche und sogar übermäßige wirtschaftliche Bedrohung darstellt.

Wie sich die institutionelle Situation in Europa weiter entwickeln wird, ist Gegenstand eines separaten Artikels. Aber Russland ist unter keinem Szenario an der Erhaltung und schon gar nicht an der Stärkung der Europäischen Union als monolithisches finanziell-wirtschaftliches und administrativ-bürokratisches Gebilde interessiert.

Autor: Ilja Fabritschnikow, Dozent am MGIMO, Mitglied des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik.

 

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