16. Oktober 2025

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Smarte Laternenmasten: Die Ohren und Augen der Regierung

 

Ein aktueller Bericht aus den Niederlanden. Wie sieht es bei uns aus?

Ido Dijkstra

Überall in den Niederlanden sind Gemeinden dabei, altmodische Laternenmasten durch sogenannte smarte Lichtmaste zu ersetzen. Lokale Regierungen erzählen, dass es Teil der Energiewende ist: Die neuen Leuchten mit LED-Lampen sorgen laut dem niederländischen Unternehmensamt (Rijksdienst voor Ondernemend Nederland) für 60 bis 80 Prozent weniger Stromverbrauch und besseres Licht. Was Gemeinden nicht dazu erzählen, ist, dass diese „smarten“ Lichtträger als die Ohren und Augen eines Massenüberwachungsstaates fungieren können.

Woerden, Hoek van Holland, Nissewaard, Nuenen, Baarn, Oude Pekela, Deurne, Breda, Hellendoorn, Rotterdam und Deventer. Es ist nur eine kleine Auswahl niederländischer Orte, in denen in den letzten zwei Jahren smarte Laternenmasten aufgestellt wurden. Auch das in Brabant gelegene Roosendaal sieht seit Beginn des Jahres 2025 das neue Licht. „Das Umrüsten von 12.500 Leuchten auf LED ist eine Aufgabe, aber eine mit hohem Ertrag. Die neue Beleuchtung sorgt für eine Win-Win-Situation. LED-Beleuchtung verbraucht nicht nur weniger Energie, sondern durch die smarten Anwendungen wird das Licht auch gedimmt, wann immer es möglich ist“, jubelt die GroenLinks-Nachhaltigkeitsstadträtin Klaar Koenraad auf der Website der Gemeinde. „Das spart also wiederum zusätzliche Energie. So setzen auch wir als Gemeinde einen Schritt in die Richtung, unsere Nachhaltigkeitsambitionen zu erreichen.“

Über die Schattenseite dieser Lichtmasten berichtet Roosendaal nichts. Smarte Laternenmasten können vollgehängt werden mit Sensoren wie GPS-Trackern, Temperatur-, Geschwindigkeits-, Gas- und Luftfeuchtigkeitsmessern, Geruchssensoren und -verbreitern, aber auch mit Minikameras mit Biometrie-Erkennung. FME, die Unternehmerorganisation für die Technologieindustrie, und Laternenmastenhersteller Sustainder nennen die smarte Laterne nicht ohne Grund „die Augen und Ohren“ der Gesellschaft der Zukunft. Moderne Gait-Erkennungssoftware kann Menschen bereits an ihrer Art zu laufen oder sogar an ihrer Knochenstruktur erkennen. Anbieter der Laternenmasten in Roosendaal, InfraMarks, erzählt, dass er über eine bedienbare Managementplattform und diverse Sensoren die Behörden „mit wertvollen Informationen über die Umgebung versorgt“.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf warnen Kritiker, dass, wenn wir das alles zulassen, der Laternenmast in der Zukunft als Kontrollinstrument des Massenüberwachungsstaates fungieren wird, der vor unseren Augen ausgerollt wird. Im ganzen Land fordern besorgte Bürger daher immer häufiger Transparenz über die smarten Masten. Die meisten Medien und Politiker nehmen diese Sorgen nicht ernst. Der Omroep Brabant schrieb sogar, dass Brabantische Gemeinden die Hände voll haben mit Woo-Anfragen von „Verschwörungstheoretikern“. „Mindestens neunzehn Gemeinden in Brabant haben in der letzten Periode Fragen erhalten von Verschwörungstheoretikern, die denken, dass sich geheime 5G-Sender in Laternenmasten befinden.“ Omroep Brabant begreift offenbar nicht, dass die Autoriteit Persoonsgegevens (AP), die unabhängige Aufsichtsbehörde in den Niederlanden, die sich für den Schutz personenbezogener Daten starkmacht, in einem Bericht aus 2021 schrieb, dass „die Gefahr besteht, dass wir zu einer Überwachungsgesellschaft gehen, in der man nicht mehr unbefangen auf der Straße laufen kann“.

Diese Warnung ist vollkommen angebracht, stellt eine Akademikerin fest, die Forschung zu smarten Laternenmasten betrieben und darüber letztes Jahr eine kritische Abschlussarbeit geschrieben hat. Sie möchte gerne anonym bleiben, weil offene Kritik am undemokratischen Aufbau von „Smart Cities“ mit „smarten Laternenmasten“ ihr in ihrem Arbeitsfeld bei weitem nicht immer gedankt wird. Von Behörden wird damit sicherlich schon seit mehr als zehn Jahren experimentiert, ohne die Bevölkerung zu informieren. Die Forscherin führt das Projekt Stratumseind in Eindhoven an. Die längste Kneipenstraße der Niederlande von 250 Metern Länge diente zwischen 2013 und 2018 – ohne das Wissen des Partyvolks – als lebendes Labor. Große Unternehmen wie Atos, IBM, Intel, Cisco und Philips sammelten in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Informationen über das Partyvolk. Über Kameras und Mikrofone, installiert in smarten Laternenmasten, wurde die Menge aus der Ferne überwacht. Die Betreiber experimentierten mit der Anpassung der Helligkeit des Lichts, um zu sehen, ob dies eskalierend oder deeskalierend wirken würde. Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass helles Licht Menschen selbstbewusster macht, sie sich weniger anonym fühlen lässt und bessere Selbstregulierung stimuliert. Verschiedene Arten von Sensoren wurden für die Verhaltensexperimente eingesetzt: Videokameras, Geräuschsensoren und Kameras, WLAN-Tracking, Technologie für „Sentimentanalyse“ in sozialen Medien, aber auch eine Wetterstation, um Luftfeuchtigkeit und Niederschlag zu messen. Die Forscher erfassten heimlich, wie viele Menschen das Stratumseind betraten und verließen und in welcher Dichte. Auch wurden Laufmuster von Personen, Stresslevel in den Stimmen, die Nationalität und der Wohnort von Besuchern auf Basis von Smartphone-Abonnementdaten, die über Vodafone bezogen wurden, und das durchschnittliche Geräuschniveau auf der Straße erfasst. Anhand dieser Art von Daten wurde auf Basis von Polizeidaten eine Verbindung hergestellt mit dem Einfluss auf die Kriminalität in dem Gebiet.

Die Daten wurden anonymisiert verwendet, wodurch die Forscher nicht mit der DSGVO-Gesetzgebung in Konflikt gerieten. Aber laut der Forscherin, die mit De Andere Krant sprach, lauert Function Creep – die Nutzung personenbezogener Daten, Software oder Mittel für andere Zwecke als ursprünglich beabsichtigt. „Es ist die Geschichte vom Frosch im heißen Wasser. Irgendwann hängt die Infrastruktur. Wenn sie dann doch hängt, fängt die Polizei damit an. Und ehe man sich versieht, auch Justiz und Verteidigung.“

Ihrer Meinung nach ist es eine große Aufgabe, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie aufmerksamer auf diese Art von Gemeindeplänen sein muss. „Die meisten gehen auf die PR-Geschichte ein, dass smarte Laternenmasten Energieeinsparung bringen. Energie sparen, da bin auch ich einverstanden. Das ist gut. Aber ist das der wahre Grund? Ist es wirklich sparend, Laternenmasten, die vielleicht noch fünfzehn Jahre hätten halten können, jetzt schon zu ersetzen? Die Energieeinsparung von 60 bis 80 Prozent kommt mir wie eine Wahrheitslüge vor: Es ist wahr, dass LED Energie spart, aber es ist ebenso wahr, dass ein smarter Laternenmast auf Kosten der Privatsphäre geht. Wenn der Mast einige Zeit nach der Installation vollgehängt wird mit Sensoren, verbraucht der smarte Mast außerdem gerade mehr Energie. Die Verarbeitung all dieser Daten kostet unheimlich viel Strom. In diesem Fall ist die versprochene Energieeinsparung verschwunden und es ist schon nicht mehr wahr, dass der Mast Energie spart. Menschen sollten sich also fragen: Geben wir unsere Privatsphäre auf für eine leere Versprechung? Eine ethische Debatte darüber ist dringend nötig, aber dann müssen die Menschen auch durchschauen, was passiert.“
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