Brandgefährlich für Patienten: Ein Arzt verliert in Norwegen seine Lizenz wegen schwerer Behandlungsfehler. Ein anderer darf in Großbritannien und den Niederlanden nicht mehr praktizieren – beide arbeiten einer Recherche zufolge später in Deutschland. Trotz Warnungen aus dem Ausland können solche Ärzte hier weiter Patienten behandeln: Das europäische Warnsystem versagt.
Eine gemeinsame Recherche, an der 50 Medien, darunter ZDF frontal, Der Spiegel, die britische Times und der norwegische Verdens Gang mitgewirkt haben, brachte ein erschreckendes Ergebnis: Mehr als 30 Ärzte, denen im Ausland ihre Approbation entzogen wurde, arbeiten in deutschen Praxen oder Krankenhäusern weiter. Sie wurden wegen Behandlungsfehlern, sexueller Übergriffe oder Abrechnungsbetrug sanktioniert – und trotzdem fanden sie in Deutschland Anstellungen. Das Rechercheprojekt „Bad Practice“ untersuchte weltweit Gerichtsdokumente, Datenbanken und Behördenunterlagen mit insgesamt 2,5 Millionen Einträgen.
Eigentlich soll das EU-weite Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) dafür sorgen, dass Lizenzentzüge in allen Mitgliedstaaten gemeldet werden. Daran angeschlossen sind die Approbationsbehörden der Bundesländer. Doch in der Praxis funktioniert das System nur unzureichend. Viele Behörden reagieren gar nicht oder erst nach Monaten.
Schwerste Behandlungsfehler – Ärzte arbeiten trotzdem in Deutschland
Besonders deutlich wird das Problem im Fall eines Arztes, der in Norwegen nach schweren Behandlungsfehlern seine Lizenz verlor. Einem Patienten musste nach zwei misslungenen Operationen der Unterschenkel amputiert werden. Und es gab weitere Opfer: Die norwegische Gesundheitsbehörde zahlte in 58 Fällen insgesamt 1,3 Millionen Euro Schmerzensgeld und entzog dem Arzt 2021 die Zulassung. Außerdem warnte sie die deutsche Botschaft eindringlich vor dem Mediziner. Trotzdem arbeitet er heute ganz legal in einer Praxis am Bodensee.
Ein weiterer Fall betrifft einen Mediziner, der 2017 eine schwer kranke Patientin in Großbritannien aus der Notaufnahme entließ. Noch in derselben Nacht starb die Frau an einer unerkannten Lungenentzündung -die mit rechtzeitiger Behandlung heilbar gewesen wäre. Nach weiteren Zwischenfällen in Großbritannien und den Niederlanden wurde dem Arzt schließlich in beiden Ländern die ärztliche Zulassung entzogen.
Heute praktiziert er wieder – als niedergelassener Arzt in Süddeutschland. Laut den Recherchen war das Regierungspräsidium Stuttgart über den Lizenzentzug beider Ärzte im Ausland informiert – Konsequenzen gab es nicht.
Sexualstraftäter mit Berufsverbot arbeitet unbehelligt in Deutschland
Auch der Informationsaustausch mit Nicht-EU-Staaten funktioniert nicht. So kann ein in der Schweiz als Sexualstraftäter verurteilter Arzt, der neben einer Bewährungsstrafe auch ein lebenslanges Berufsverbot bekommen hat, in Düsseldorf einfach weiterarbeiten. Die deutschen Behörden waren darüber nicht informiert, die Schweiz ist nicht Teil des IMI-Systems. Aufgrund der Medienrecherche hat die Bezirksregierung Düsseldorf ein Verfahren eingeleitet.
In allen Fällen zeigen sich dieselben Schwächen: fehlende Informationen, fehlende Konsequenzen und föderale Zuständigkeitsprobleme.
In Deutschland liegt die Zuständigkeit für Approbationen bei den Landesbehörden. Ob und wie eine Meldung aus dem Ausland geprüft wird, variiert von Land zu Land. Ein Lizenzentzug in einem EU-Mitgliedstaat führt nicht automatisch dazu, dass eine deutsche Approbation widerrufen wird.
Patienten in Deutschland haben nicht die Möglichkeit, sich unabhängig über Disziplinarmaßnahmen gegen Ärzte zu informieren, denn es gibt hier keine öffentlichen Register wie etwa in Großbritannien. Zudem verweigern Ärztekammern und Behörden häufig Auskünfte mit Hinweis auf den Datenschutz.
Wo ist der Patientenschutz?
Es ist ein Skandal mit System. Wenn Ärzte, denen im Ausland wegen schwerer Fehler die Zulassung entzogen wurde, in Deutschland weiter praktizieren dürfen, zeigt das ein eklatantes Versagen staatlicher Kontrolle. Das Versprechen, Patienten zu schützen, endet heute an den Grenzen bürokratischer Zuständigkeiten. Das EU-Meldesystem IMI sollte Transparenz schaffen, doch in der Praxis bleibt es ein zahnloser Papiertiger: Informationen versickern, werden verspätet eingetragen oder gar nicht beachtet. Der deutsche Föderalismus verschärft das Problem – siebzehn Approbationsbehörden bedeuten siebzehn unterschiedliche Standards, siebzehn Chancen für gefährliche Lücken.
Patientenschutz ist kein Verwaltungsakt, sondern eine moralische Verpflichtung. Wenn Behörden Personalien einfach durchwinken und sogar konkrete Warnungen aus dem Ausland ignorieren oder nicht weiterleiten, gefährden sie nicht nur einzelne Menschen, sondern das Vertrauen in das gesamte Gesundheitssystem.
Im Ausland Approbation verloren: Ärzte praktizieren in Deutschland einfach weiter