9. Oktober 2025

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Net Zero bröckelt – erst langsam, dann plötzlich

 

David Turver

Vor einem Jahrzehnt unterzeichneten die Führer der drei großen Parteien – David Cameron, Nick Clegg und Ed Miliband – ihr Versprechen, das Klima- und Energiepolitik de facto aus dem demokratischen Prozess herausholte.

Obwohl es damals noch nicht gesetzlich verankert war, ebnete dieses Abkommen den Weg für Theresa May, 2019 das Ziel der Netto-Null-Emissionen („Net Zero“) festzulegen. Bis 2021 sprengte unser COP26-Gesandter Alok Sharma mit sichtbarer Freude Kohlekraftwerke in die Luft, während Rishi Sunak stolz verkündete, 130 Billionen Pfund des weltweiten Finanzvermögens an die Klimaziele des Pariser Abkommens angepasst zu haben – oder, wie wir es heute nennen könnten, den Beginn des westlichen wirtschaftlichen Selbstmords.

Die einzige Opposition gegen diesen Net-Zero-Dampfer kam von der kleinen Denkfabrik GWPF/NZW und einigen wenigen abweichenden Bloggern und Journalisten wie Ben Pile, Andrew Orlowski und Ross Clark. Später schlossen sich ihnen auch Autor David Turver selbst und Kathryn Porter an. Die Festung Net Zero schien nahezu uneinnehmbar.

Spulen wir einige Jahre vor: Im letzten Jahr trat die Partei Reform mit dem Programm an, „Net Stupid Zero“ abzuschaffen, und Anfang dieses Jahres signalisierte Kemi Badenoch, dass die Konservativen nicht mehr glaubten, das Ziel der Netto-Null bis 2050 erreichen zu können. Auch die Zahl der Journalisten, die über die Irrwege von Net Zero und der britischen Energiepolitik schrieben, war gewachsen. Net Zero wirkte nicht mehr unantastbar – erste Risse zeigten sich, aber der Wandel verlief schleppend.

Doch am Donnerstag kündigte Kemi Badenoch an, dass die Konservative Partei plant, das Climate Change Act – das Fundament des gesamten Net-Zero-Konstrukts – aufzuheben. Zudem solle auch das Climate Change Committee (CCC) abgeschafft werden. Die vollständige Ankündigung findet sich hier: 2025 10 01 Climate Change Act [special brief].

Diese neue Politik markiert die Phase des plötzlichen Zusammenbruchs des Net-Zero-Wahns. Der Wandel zeigt sich bereits in der Denkfabrik-Szene und bei politischen Beratern. Im Vorfeld der Tory-Ankündigung reihten sich die einstigen Priester des Net-Zero-Glaubens bereits in die Schlange der „Reformer“ ein.

Zuerst meldete sich „Vorsitzender“ Michael Liebreich, der zu einem „pragmatischen Klima-Reset“ aufrief – historische Übertreibungen sollten rückgängig gemacht und die legitimen Sorgen der Wähler berücksichtigt werden. Sam Richards, CEO von Britain Remade, veröffentlichte ein erstaunliches Schuldeingeständnis: Er hatte Boris Johnson einst geraten, Offshore-Windkraft massiv auszubauen, fordert nun aber, den Ausbau der Erneuerbaren zu stoppen und den Clean Power 2030 Plan zu streichen. Selbst Octopus Energy denkt laut darüber nach, sich auf Elektrifizierung statt auf Erneuerbare zu konzentrieren.

Diese Kehrtwende des Establishments fällt zusammen mit einer Reihe von Gewinnwarnungen aus der Branche der erneuerbaren Energien, Investitionsfondsverlusten und der gigantischen Kapitalerhöhung von Ørsted. Die Net-Zero-Agenda kollabiert.

Bemerkenswert ist, dass diese plötzliche Einsicht von Menschen kommt, die nie darüber nachdenken mussten, welche ingenieurtechnischen Meisterleistungen im Hintergrund nötig waren, um die Lichter brennen zu lassen, wenn sie ihren Herd einschalteten. Vielleicht hat der Blackout in Spanien und Portugal Anfang dieses Jahres die Gemüter wachgerüttelt – und gezeigt, welche Gefahr zu viele unstete Erneuerbare im Stromnetz darstellen.

Heute sehen wir klar: Die leeren Parolen von der „Saudi-Arabien des Windes“ oder der „grünen Supermacht“ waren nichts als der Triumph von Erzählung über Zahlen und von Optik über Substanz. Diese Leute in der Politik- und Beratungsblase mussten nie entscheiden, ob sie heizen oder essen, sorgten sich nicht um steigende Energieschulden und blieben gleichgültig beim Zusammenbruch der Schwerindustrie. Sie sind ahnungslos in Mathematik – der einzige Kontakt zu „imaginären Zahlen“ waren die immer unrealistischeren Kostenprognosen des CCC. Und sie sind ignorant in Ökonomie, während sie artig Beifall klatschten zum Mantra von „neunmal billiger als Gas“.

Wir sollten ihre Damaskus-Erleuchtung begrüßen, aber vorsichtig sein – ihre neuen Überzeugungen könnten genauso wankelmütig sein wie ihre alten.

Kemis Ankündigung erfolgte einen Tag nach der Rede von Ed Miliband auf der Labour-Konferenz, in der er Nigel Farage und Reform UK als eine „investitionszerstörende, arbeitsplatzvernichtende, rechnungserhöhende, armutstreibende, wissenschaftsverleugnende, Putin-beschwichtigende, junge Menschen verratende Bande ideologischer Extremisten“ bezeichnete.

Das, so Turver, sei wohl das, was Psychologen „Projektion“ nennen. Miliband beschuldige seine Gegner, genau das zu tun, was er selbst längst betreibe. Jim Ratcliffe’s INEOS habe alle Investitionen im Vereinigten Königreich eingestellt, weil Net-Zero-Politik höhere Steuern auf Nordseeöl und -gas und hohe Energiepreise verursache – was natürlich Arbeitsplätze vernichtet. Miliband treibe die Rechnungen weiter nach oben, indem er mit Allocation Round 7 Verträge auf 20 Jahre ausdehne und Preise anbiete, die deutlich über denen der Gasverstromung liegen – hohe Rechnungen erzeugen Armut.

Miliband leugne die Physik intermittierender Erneuerbarer und ignoriere die Gesetze der Thermodynamik. Wenn Miliband (und die EU) Putin wirklich schaden wollten, so Turver, müssten sie „drill, baby, drill“ unterstützen – mehr Förderung fossiler Brennstoffe senkt die Preise und damit Russlands Einnahmen. Der ideologisch getriebene Kurs auf teure, unstete Energiequellen richte weit mehr Schaden an – vor allem für die jüngere Generation.

Net Zero bröckelt also seit über einem Jahr – und hat nun die Phase des plötzlichen Zusammenbruchs erreicht. Heute wird Net Zero nur noch von den Realitätsverweigerern im DESNZ und im CCC verteidigt. Man kann sich Ed Miliband, seinen „Leiter der Missionskontrolle“ Chris Stark und den neuen CCC-Vorsitzenden Nigel Topping vorstellen, wie sie sich in ihrem Elfenbeinturm verschanzen, die Finger in den Ohren, „la-la-la“ singend, während Emma Pinchbeck in der Ecke kauert und leise Kumbaya summt.

Wenn Keir Starmer überleben und das Land wieder auf Wachstumskurs bringen will, muss er Miliband entlassen – und Farage und Badenoch folgen, indem er Net Zero aufgibt. Dann wäre der Zusammenbruch vollständig.

David Turver schreibt die Substack-Seite „Eigen Values“, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

Nachtrag:
Laut Sunday Times sind britische Gastronomie-Betreiber empört über die Aussicht, für Preisnachlässe aufkommen zu müssen, die großen energieintensiven Herstellern – etwa Stahlproduzenten – gewährt werden.

 

Net Zero bröckelt – erst langsam, dann plötzlich