Von Rose Horowitch, The Atlantic,
Könnte ein Abschluss in den Geisteswissenschaften bald wertvoller sein als ein Informatikstudium? Auf dem heutigen Arbeitsmarkt zeichnet sich zunehmend ab, dass es für Programmieranfänger kaum noch Einstiegsmöglichkeiten gibt – weil Künstliche Intelligenz die unterste Sprosse der Karriereleiter schlichtweg entfernt hat. Das betrifft auch viele andere klassische Berufseinstiege. Berufsschulen, die praktische Qualifikationen für Elektriker, Klempner oder Mechaniker vermitteln, könnten bald zu den großen Gewinnern zählen.
⁃ Patrick Wood, Herausgeber
Der „Job der Zukunft“ hat seinen Zenit möglicherweise schon überschritten. Jahrelang wurden junge Menschen auf einen vielversprechenden Weg gelockt: Wer eine sichere Karriere wolle, solle Informatik studieren. Zwischen 2005 und 2023 vervierfachte sich die Zahl der Informatikstudierenden in den USA.
Genau deshalb wirken die aktuellen Zahlen so erschütternd: Im Jahr 2025 ist die Zahl der Studienanfänger im Bereich Informatik landesweit nur noch um 0,2 Prozent gestiegen – in vielen Programmen ist sie sogar rückläufig. Professoren und Fachbereichsleiter berichten übereinstimmend von einem spürbaren Abschwung. An der Stanford University, einer der renommiertesten Informatikfakultäten des Landes, stagniert die Entwicklung. In Princeton, so Szymon Rusinkiewicz, Vorsitzender des Fachbereichs Informatik, wird es in zwei Jahren 25 % weniger Absolventen geben, wenn der Trend anhält. In Duke sank die Zahl der Teilnehmer an Einführungskursen im letzten Jahr um 20 %.
Der Grund ist offensichtlich: Junge Menschen reagieren auf die düsteren Jobaussichten. Entlassungen und Einstellungsstopps haben die Tech-Branche erschüttert – und die Schuld liegt bei der Technologie selbst. KI hat sich als besonders effizient beim Schreiben von Code erwiesen – und ersetzt damit ausgerechnet jene Einsteiger, die sie selbst ausgebildet hat. Laut einer aktuellen Pew-Studie glauben die Amerikaner, dass Softwareentwickler am stärksten von generativer KI betroffen sein werden. Viele junge Menschen warten gar nicht erst ab, ob das wirklich stimmt – sie orientieren sich um.
„Es ist völlig kontraintuitiv“, sagt Molly Kinder, Forscherin am Brookings-Institut, die den Einfluss von KI auf den Arbeitsmarkt untersucht. „Das sollte der Job der Zukunft sein. Der Weg, um mit Technologie Schritt zu halten, führte über ein Studium der Informatik.“ Doch das Mantra „Lerne Programmieren“ scheint nicht mehr zu gelten. Vielleicht haben wir den Höhepunkt der Informatik bereits hinter uns.
Chris Gropp, Doktorand an der University of Tennessee, suchte acht Monate lang vergeblich nach einem Job. Er hat ein Dreifachstudium in Informatik, Mathematik und Computerwissenschaften vom Rose-Hulman Institute of Technology abgeschlossen und alle Voraussetzungen für eine Promotion erfüllt. Trotzdem kennt er nur zwei Personen, die kürzlich eine Anstellung fanden – der eine schrieb 40 personalisierte Bewerbungen, der andere verschickte 600. „Wir befinden uns mitten in einer KI-Revolution“, sagt Gropp, „und ich bin spezialisiert auf genau die Art von KI, die diese Revolution möglich macht – und finde trotzdem keinen Job.“ Kürzlich fragte er sich, ob er nicht vielleicht eine Pause einlegen und eine Ausbildung zum Elektriker beginnen solle.
Gropp sieht sich einem schwachen Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen gegenüber – besonders im Technologiesektor. Während die Beschäftigung von 22- bis 27-Jährigen in anderen Bereichen leicht zunahm, sank sie in IT- und Mathematikberufen in dieser Altersgruppe um 8 %. Noch vor wenigen Jahren wurden Absolventen von Eliteuniversitäten wie Stanford, Berkeley oder Carnegie Mellon von Tech-Konzernen umworben – heute, so berichten deren Professoren, ist Jobsuche für viele zum Kampf geworden. Selbst William Gropp, Leiter des National Center for Supercomputing Applications und Vater von Chris, bestätigt: „Als Vater eines bestens qualifizierten Informatikers, der noch keinen Job hat, kann ich sagen: Die Branche ist nicht mehr, was sie mal war.“
Ironischerweise finden Kandidaten wie Gropp gerade deshalb keine Anstellung im KI-Bereich, weil KI selbst diese Stellen übernimmt. „Wir wissen, dass KI Jobs verändert“, erklärt Rusinkiewicz. „Sie macht Menschen effizienter – und Unternehmen denken dann vielleicht, dass sie mit weniger Neueinstellungen auskommen.“
Der wohl deutlichste Hinweis darauf, dass KI Jobs ersetzt, ist die Tatsache, dass die Branche, die KI am schnellsten einsetzt, selbst die höchsten Arbeitslosenzahlen unter jungen Fachkräften aufweist. Bei Alphabet und Microsoft schreiben KI-Systeme inzwischen mehr als 25 % des Codes oder unterstützen diesen Prozess. Microsoft hat kürzlich 6.000 Stellen gestrichen. Der Chief Product Officer von Anthropic erklärte gegenüber der New York Times, dass heute eher Chatbots als Junior Engineers beauftragt werden. Der CEO des Unternehmens sagte sogar, dass KI innerhalb von fünf Jahren die Hälfte aller Berufseinsteiger ersetzen könnte. Kinder von Brookings warnt: Die Unternehmen könnten die Einstiegsebene in vielen Berufen vollständig abschaffen. Die Notlage junger Tech-Absolventen sei eine Vorwarnung für alle Angestellten im unteren Karrieresegment.
Allerdings sehen nicht alle in der KI die Hauptursache. Booms und Einbrüche sind in der Tech-Branche nichts Neues. Als die Konjunktur gut lief, expandierten die Tech-Giganten stark – heute, mit hohen Zinsen und der Gefahr neuer Handelszölle, zögern viele Führungskräfte. Zack Mabel vom Georgetown University Center on Education and the Workforce sagt, es sei oft einfacher, Kündigungen mit KI zu begründen als mit konjunkturellen Faktoren. Und Harvard-Ökonom David Deming meint: „Bevor KI den Arbeitsmarkt wirklich umwälzt, müssen Unternehmen ihre internen Prozesse und Anforderungen erst anpassen – das sehe ich bisher kaum.“ Es könnte also an der KI liegen – aber es muss nicht.
Die Informatik war schon immer konjunkturabhängig: In schlechten Zeiten sinkt das Interesse, dann steigen die Gehälter, und die Zahl der Studierenden zieht wieder an. An manchen Universitäten, etwa der University of Chicago, ist derzeit noch kein Rückgang der Einschreibungen zu erkennen. Sam Madden vom MIT glaubt sogar, dass der verstärkte Einsatz von generativer KI letztlich mehr statt weniger Softwareingenieure erfordert.
Unabhängig davon, ob wir gerade einen temporären Einbruch oder einen strukturellen Wandel erleben – Wirtschaftswissenschaftler empfehlen Studierenden: Wählt ein Fach mit dauerhaft übertragbaren Fähigkeiten. Und das könnten – kaum zu glauben – gerade die Geisteswissenschaften sein. Studien von Deming zeigen: Langfristig verdienen männliche Absolventen in Geschichte oder Sozialwissenschaften mehr als viele Informatiker – weil sie jene Soft Skills mitbringen, die Arbeitgeber immer wieder fordern. „Es ist eigentlich riskant, zur Schule zu gehen, um nur einen bestimmten Job oder eine konkrete Fähigkeit zu lernen“, sagt Deming. „Man braucht etwas, das zukunftsfähig ist – das 45 Jahre Berufskarriere überdauert.“
Natürlich wählen viele junge Menschen trotzdem den entgegengesetzten Weg: Sie suchen nach einer Ausbildung, die sofortige Jobaussichten verspricht. Die Frage ist nur: Wie viele dieser Wege wird die Künstliche Intelligenz schon bald blockieren?