5. Juli 2025

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Niederländisches Utrecht auf dem Weg zur Smart City – Ein Spaziergang enthüllt Überwachungsalltag und was andere Städte erwarten könnte

 

Die folgende Artikel stützt sich auf den ausführlichen Artikel Een stadstour langs de schaduwzijden van Utrecht aus der unabhängigen Wochenzeitung De Andere Krant vom 1. Juli 2025. Beschrieben wird ein ungewöhnlicher Stadtrundgang – der sogenannte „10-Minuten-Spaziergang“ –, bei dem Initiatoren wie Robbert Recourt, Dirk Plat und Rens van den Bulck Besucher durch Utrechts Digitalisierung führen. An zentralen Punkten werden Themen wie Kamerabewachung, 5G‑Masten, ANPR-Systeme, städtische Überwachung und die Architektur des Bahnhofsplatzes kritisch reflektiert. Ziel des Projekts ist es, die Ambivalenz zwischen dem nachhaltigen Ideal einer Smart City und der schleichenden Einschränkung von Bewegungsfreiheit und Privatsphäre bewusst zu machen.

Utrecht: Spaziergang durch das smarte Gefängnis – Kritik an der technokratischen „Zehn-Minuten-Stadt“

Utrecht präsentiert sich als Vorreiterin der urbanen Zukunft – als „10-Minuten-Stadt“ und „Smart City“. Doch hinter dem vermeintlich nachhaltigen Ideal einer Stadt, in der alle Lebensnotwendigkeiten in Gehweite erreichbar sind, entdecken kritische Bürger ein anderes Gesicht: das einer schleichenden Überwachungs- und Kontrollstruktur. Eine ungewöhnliche Stadtführung durch Utrecht will genau das sichtbar machen – mit Humor, Kostümen und Handpuppen, aber auch mit klaren Worten und Daten.

Organisiert von Robbert Recourt, Dirk Plat und Rens van den Bulck, führte der sogenannte „10-Minuten-Spaziergang“ rund 40 Teilnehmer entlang zentraler Punkte digitaler Kontrolle – von Kameras mit QR-Codes über ANPR-Systeme (automatische Nummernschilderkennung) bis hin zu 5G-Sendemasten und einer unbemannten Polizeistation. Ziel sei es, das Bewusstsein für eine Entwicklung zu schärfen, die viele als „Freiluftgefängnis“ empfinden.

Der Spaziergang war dabei nicht nur analytisch, sondern auch kreativ: Recourt trat als fiktiver PTT-Postbote auf, die Forscherin Maartje van den Berg interagierte mit einer sprechenden Handpuppe – einer Krähe. Spielerisch und zugleich kritisch zeigten sie, wie aus der Stadt ein datenbasierter, gesteuerter Raum wird, in dem Bewegungsfreiheit zunehmend eingeschränkt und jede Handlung potenziell erfasst wird.

Besonders eindrucksvoll: die Hinweise auf die fast unsichtbare Strahlenbelastung durch 5G. Der Künstler Frank Zweers, Gründer von 5Gisnietoke.nl, präsentierte Messergebnisse, die laut ihm weit über gesundheitlich vertretbaren Werten liegen. Mitinitiatorin Lizzy Weeber warnte vor möglichen Risiken wie Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und sogar Krebs – unter Berufung auf eine Datenbank der Universität Aachen mit zehntausenden Studien, von denen angeblich zwei Drittel auf Gesundheitsrisiken hinweisen. Studien, die von der Industrie finanziert wurden, kämen laut Zweers zu deutlich harmloseren Ergebnissen.

Das Herzstück der Überwachung ist der Bahnhofsplatz: Kameras, Sensoren, Sendemasten – und eine neue digitale Polizeistation ohne echte Beamte. Eine Innovation, die direkt aus Dubai übernommen wurde. Die Architektur am Bahnhof selbst – kahl, abweisend, feindlich – wird zum Symbol der Entfremdung. Bänke fehlen oder sind unbenutzbar, das Grün verschwindet – soziale Wärme weicht der Logik technokratischer Effizienz.

Am Ende stößt die Gruppe auf eine sogenannte „Sperrzone“: eine Straße, für die nur noch bestimmte Fahrzeuge mit Genehmigung zugelassen sind. Der Rest wird durch Kameras erfasst und ausgeschlossen. Der Gedanke, in einer offenen Stadt zu leben, beginnt zu bröckeln. Teilnehmer berichten, wie sie zunehmend das Gefühl haben, „verfolgt“ zu werden – nicht von Menschen, sondern von Systemen.

Trotz des ernsten Themas endet der Spaziergang auf einer Terrasse, im Gespräch mit Gleichgesinnten. Es ist mehr als nur Kritik – es ist ein Versuch, Menschlichkeit und Kreativität in einer zunehmend entmenschlichten Umgebung zu bewahren. Robbert Recourt bringt es auf den Punkt: „Wir leben in einem Theater. Also machen wir etwas Kreatives daraus. Keine aufgezwungene Inklusivität, sondern echter Ausdruck. Das ist es, was uns Menschen ausmacht.“

Ob es eine Fortsetzung geben wird? Das hängt von der Resonanz ab – aber die Nachfrage scheint da zu sein. Was bleibt, ist das Gefühl: Diese Stadtführung war auch ein Blick in die Zukunft vieler europäischer Städte – und ein Weckruf.

 

 

Niederländisches Utrecht auf dem Weg zur Smart City – Ein Spaziergang enthüllt Überwachungsalltag und was andere Städte erwarten könnte