30. Juni 2025

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FDA unter Beschuss: Hunderte Medikamente ohne Wirksamkeitsnachweis zugelassen – Patienten als Versuchskaninchen – auch Europa betroffen?

 

Auch wenn es sich bei der FDA (Food and Drug Administration) um die US-amerikanische Arzneimittelbehörde handelt, sind ihre Entscheidungen auch für Europa von großer Bedeutung. Viele Medikamente, die in Europa zugelassen werden, basieren auf denselben Studien oder erhalten durch eine FDA-Zulassung einen Vertrauensvorschuss. Zudem orientieren sich europäische Behörden wie die EMA (European Medicines Agency) häufig an den regulatorischen Standards der USA – insbesondere bei beschleunigten Zulassungsverfahren. Die folgenden Enthüllungen über systematische Mängel bei der FDA werfen daher auch für europäische Patienten, Ärzte und Behörden ernste Fragen auf.

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat in den letzten Jahren Hunderte Medikamente genehmigt, ohne ausreichend zu prüfen, ob sie tatsächlich wirken – und teilweise sogar entgegen Belegen für deren Schädlichkeit. Das geht aus einer zweijährigen, brisanten Untersuchung der Medizinjournalistinnen Jeanne Lenzer und Shannon Brownlee hervor, veröffentlicht vom Investigativportal The Lever.

Ein System im freien Fall

Zwischen 2013 und 2022 überprüften die Autorinnen mehr als 400 FDA-Zulassungen. Das Ergebnis ist alarmierend: 73 Prozent der Medikamente verfehlten die grundlegenden Wirksamkeitskriterien. Nur 28 Prozent erfüllten alle vier wissenschaftlichen Standards der FDA. 40 Medikamente erfüllten nicht ein einziges dieser Kriterien.

Dabei geht es nicht um bürokratische Details, sondern um essenzielle Grundlagen: Kontrollgruppen, Replikation, Verblindung und klinische Endpunkte sollen die Sicherheit der Patienten gewährleisten. Doch unter wachsendem Einfluss von Politik und Pharmaindustrie hat die FDA diese Standards zunehmend aufgegeben – zugunsten sogenannter „regulatorischer Flexibilität“.

Versprechen statt Beweise

Seit den 1990er-Jahren setzt die FDA verstärkt auf Schnellverfahren. Unternehmen dürfen Medikamente auf den Markt bringen, bevor ihre Wirksamkeit belegt ist – mit dem Versprechen, später Studien nachzureichen. Doch fast die Hälfte dieser Folgestudien wird nie abgeschlossen. Und viele der abgeschlossenen liefern keine Belege für Wirksamkeit – trotzdem bleiben die Medikamente zugelassen.

„Dies ist ein stiller Paradigmenwechsel“, so Lenzer und Brownlee. „Weder Ärzte noch Patienten wurden darüber informiert.“

Krebsmedizin: Der Sündenfall

Besonders eklatant ist die Situation in der Onkologie. Nur 3 von 123 Krebsmedikamenten zwischen 2013 und 2022 erfüllten alle vier FDA-Kriterien. 81 Prozent wurden auf Grundlage von Surrogatwerten wie Tumorverkleinerung zugelassen – ohne Beweis für verlängertes Leben oder bessere Lebensqualität.

Ein Beispiel: Copiktra. 2018 gegen Blutkrebs zugelassen, weil es das „progressionsfreie Überleben“ verbesserte. Doch spätere Analysen zeigten, dass Patienten mit Copiktra im Schnitt 11 Monate früher starben als mit der Vergleichstherapie. Eine Warnung durch die FDA kam erst sechs Jahre später.

Elmiron – ein Medikament ohne Nutzen, mit hohem Risiko

Elmiron wurde 1996 zur Behandlung von Blasenschmerzen zugelassen – auf Basis „nahezu null“ Daten. Die verpflichtende Folgestudie wurde 18 Jahre lang nicht durchgeführt. Als sie schließlich abgeschlossen wurde, zeigte sich: Elmiron wirkt nicht besser als ein Placebo.

In der Zwischenzeit erlitten Hunderte Patienten schwere Nebenwirkungen wie Sehverlust, Kolitis – einige starben. Dennoch ist das Medikament weiterhin auf dem Markt. Ärzte verschreiben es nach wie vor. Die American Urological Association listet es sogar als einzig zugelassenes Medikament für die Erkrankung.

„Dangling Approvals“ – schwebende Zulassungen

Die FDA kennt das Problem – sie hat einen eigenen Begriff dafür: „Dangling Approvals“. Ein prominentes Beispiel: Avastin. 2008 zugelassen für metastasierenden Brustkrebs auf Basis eines nicht validierten Surrogatendpunkts. Spätere Studien zeigten keinen Überlebensvorteil und schwerwiegende Nebenwirkungen. Die FDA zog die Zulassung zurück – doch die Gegenreaktion war massiv. Pharmafirmen und Patientenorganisationen organisierten Kampagnen, FDA-Mitarbeitende wurden bedroht, die Polizei musste das Gebäude schützen. Seitdem hat die FDA keine weitere ungewollte Rücknahme durchgesetzt.

Milliarden verschwendet – Leben aufs Spiel gesetzt

Allein zwischen 2018 und 2021 zahlten Medicare und Medicaid 18 Milliarden Dollar für Medikamente, die unter der Auflage einer Nachfolgestudie zugelassen wurden. Viele dieser Studien wurden nie abgeschlossen.

Doch der Schaden lässt sich nicht nur in Geld beziffern. Eine Studie von 2015 zeigte, dass 86 Prozent der onkologischen Medikamente, die auf Basis von Surrogatdaten zugelassen wurden, keinen Nachweis über einen Überlebensvorteil erbrachten. Schätzungen zufolge sterben in den USA jährlich rund 128.000 Menschen an Nebenwirkungen korrekt verschriebener Medikamente – mehr als an allen illegalen Drogen zusammen. Laut dem dänischen Arzt Peter Gøtzsche gehören Medikamentennebenwirkungen 2024 weltweit zu den drei häufigsten Todesursachen.

Ärzte tappen im Dunkeln

Die meisten Ärzte wissen nicht, wie das FDA-Zulassungsverfahren funktioniert. In einer JAMA-Umfrage aus dem Jahr 2016 konnten nur sechs Prozent der befragten Ärzte korrekt angeben, dass eine FDA-Zulassung keinen klinisch signifikanten Nutzen voraussetzt. Die Mehrheit glaubt, eine Zulassung bedeute automatisch Wirksamkeit und Sicherheit.

„Viele Ärzte verlassen sich auf Etiketten, Marketing oder Annahmen“, sagt der Harvard-Forscher Aaron Kesselheim. „Doch das ist ein gefährlicher Irrglaube – mit potenziell tödlichen Folgen.“

Für wen arbeitet die FDA?

In über 100 Interviews mit Experten, Patienten und ehemaligen FDA-Mitarbeitern wurde klar: Die FDA hat ihren ursprünglichen Auftrag aus den Augen verloren. Besonders kritisch: Zwei Drittel des Budgets für Arzneimittelzulassungen stammen aus Industriegebühren – eine strukturelle Abhängigkeit, die die Unabhängigkeit massiv untergräbt.

Die Yale-Ärztin Reshma Ramachandran bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen eine unabhängige Behörde, die Medikamente auf Basis hochwertiger wissenschaftlicher Erkenntnisse beurteilt. Sonst kehren wir zurück in eine Ära des Schlangenöls und der Wunderpillen.“

Fazit

Patienten in den USA – und auch weltweit – nehmen oft Medikamente ein, die nie ausreichend getestet wurden. Die FDA hat sich von einem Wächter der öffentlichen Gesundheit zu einem passiven Abnicker industrieller Interessen gewandelt. Ärzte und Patienten sind die Leidtragenden – oft ohne es zu wissen. Vertrauen in das System? Immer schwerer zu rechtfertigen.

 

 

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