9. Juni 2025

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Russland, Verhandlungen und die Suche nach einem neuen Gleichgewicht: Wird der nächste Tisch in Libyen sein?

 

Die jüngsten Ereignisse deuten darauf hin, dass sich der Westen bald gezwungen sehen könnte, eine Einigung mit Russland über Libyen zu erzielen.

Mit der Hoffnung auf einen Waffenstillstand im seit mehr als drei Jahren andauernden Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat sich die Aufmerksamkeit der Welt auf Istanbul gerichtet. Diese Entwicklungen betreffen nicht nur Russland und die Ukraine, sondern auch Donald Trump – dessen zweite Amtszeit als Präsident markante Äußerungen zu globalen Krisen mit sich bringen würde – und die Europäische Union, die ihre Bemühungen um eine militärische Unterstützung der Ukraine beschleunigt, während sie ihre Hilfe für Kiew fortsetzt.

In dieser neuen internationalen Landschaft, in der die Spaltung zwischen den USA und der EU immer deutlicher zutage tritt, ist die Türkei, die Beziehungen zu allen Seiten unterhält, wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Doch die Verhandlungen zwischen dem Westen und Russland finden nicht nur an der ukrainischen Front statt. Es gibt noch einen weiteren wichtigen Schauplatz, an dem Russland, die USA, Europa und sogar die Türkei beteiligt sind: Libyen.

Die jüngsten Ereignisse deuten darauf hin, dass sich der Westen bald gezwungen sehen könnte, auch in Libyen eine Einigung mit Russland zu erzielen. Doch lassen Sie uns zunächst kurz die derzeitige politische Situation und das Kräfteverhältnis in Libyen in Erinnerung rufen:

Die Libysche Nationalarmee (LNA) und Khalifa Haftar

Die Libysche Nationalarmee (LNA) kontrolliert den Großteil der Ölfelder im Osten des Landes, insbesondere im Sirte-Becken. Nach dem Sturz von Muammar Gaddafi im Jahr 2011 blieb diese Region bis Januar 2020 unter islamistischer Kontrolle, bis Haftars Streitkräfte sie innerhalb weniger Stunden einnahmen. Zu den wichtigsten Unterstützern Haftars gehören die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und die Wagner-Gruppe (jetzt „Afrika-Korps“ genannt) sowie Russland, das Verteidigungsabkommen geschlossen hat.

Die Regierung der Nationalen Einheit (GNU)

Die Regierung der Nationalen Einheit (GNU) hat ihren Sitz in Tripolis und wird von Premierminister Abdul Hamid Dbeibeh angeführt und ist international anerkannt. Die Türkei unterstützt die GNU in ihrem Kampf gegen Haftar. Neben diesen beiden Hauptmächten prägen zahlreiche Milizen – die mal miteinander kollidieren, mal auf der Seite eines Lagers stehen – die politische Dynamik in Libyen. Auch islamistische und dschihadistische Gruppierungen haben Sicherheitslücken ausgenutzt, um sich in den südlichen und westlichen ländlichen Gebieten zu etablieren.

Libyens Energiereichtum

Libyen verfügt über etwa 46,4 Milliarden nachgewiesene Barrel Rohöl – das größte Ölvorkommen Afrikas und eines der zehn größten weltweit – sowie über etwa 1,4 Billionen Kubikmeter trockenes Erdgas, was seine Rolle als wichtiger Akteur im Nahen Osten und Nordafrika festigt.

Russland und die Türkei in Libyen

Die Türkei und Russland sind seit langem sowohl Konkurrenten als auch Partner in Libyen, die beide versuchen, ihren Einfluss zu vergrößern. Ihre Rivalität hat bis zu einem gewissen Grad eine vollständige westliche Vorherrschaft in dem Land verhindert.

Im Januar 2020 waren die Türkei und Russland gemeinsam Gastgeber der Waffenstillstandsgespräche zwischen General Haftar und der GNU in Moskau. Die Gespräche führten zwar zu keiner dauerhaften Einigung, trugen aber zur Beruhigung der Spannungen vor Ort bei. Mitte 2020 kamen beide Länder indirekt überein, die Kämpfe entlang einer De-facto-Front von Sirte bis Al-Jufrah einzustellen. Kurz gesagt, die Türkei und Russland haben in Libyen eine Politik des „kontrollierten Wettbewerbs und des Gleichgewichts“ verfolgt, um den Einfluss der USA und der EU zu begrenzen.

Haftars Besuch in Russland

Russlands Position in Libyen wurde erneut unterstrichen, als Haftar und seine Söhne auf Einladung von Präsident Wladimir Putin vom 8. bis 10. Mai 2025 Moskau besuchten. Ihre Reise war eine Botschaft unabhängiger Politik an alle westlichen Staaten – insbesondere Frankreich und Italien -, die von Libyens billiger Energie profitieren, und sie bot neue Hinweise auf Russlands regionalen Einfluss.

Während des Besuchs traf Haftar mit Präsident Putin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu zusammen, wobei die Themen Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und Entwicklungen in der gesamten Nordafrika-Sahel-Region im Mittelpunkt standen. Sein Sohn Khalid Haftar unterzeichnete ein Abkommen über die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Yunus-Bek Yevkurov – ein Abkommen, das den Weg für eine verstärkte Präsenz des russischen Afrika-Korps in Libyen ebnen könnte.

In einer kürzlich abgegebenen Erklärung des russischen Sicherheitsrates bekräftigte Moskau sein Engagement für den politischen Einigungsprozess in Libyen und für die Unterstützung der internationalen Bemühungen um die Lösung von Konflikten und die Bekämpfung des Terrorismus in ganz Afrika. Zuvor, im September 2023, hatte sich Haftar mit Putin und dem damaligen Verteidigungsminister Schoigu im Kreml getroffen.

Die Möglichkeiten des Westens schrumpfen

In dem Maße, in dem Russland seine Zusammenarbeit mit der LNA vertieft und seine Annäherung an Haftar immer deutlicher wird, werden die Möglichkeiten des Westens zunehmend eingeschränkt. Angesichts des Krieges in der Ukraine, der von Trump angekündigten Zölle und der politischen Unruhen in Europa könnten die USA im Rahmen einer reifenden, verhandlungsorientierten, aber interessengeleiteten Außenpolitik sich selbst – und ihre europäischen Verbündeten – bei der Suche nach einer Entspannung mit Russland nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Nordafrika wiederfinden.

So wie die Realitäten vor Ort in der Ukraine die Verhandlungen an den Tisch getrieben haben, zeichnet sich in Libyen eine ähnliche Situation ab. Angesichts des unbestreitbaren russischen Einflusses in Libyen scheint der Westen nur zwei Möglichkeiten zu haben: dieses neue Kräfteverhältnis anzuerkennen oder sich mit Moskau zusammenzusetzen, um ein Libyen-Dossier auszuhandeln.

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Russland, Verhandlungen und die Suche nach einem neuen Gleichgewicht: Wird der nächste Tisch in Libyen sein?