12. Juni 2025

ddbnews.org

Neuigkeiten / Berichte / Informationen

30 Tage Deutschland unter Merz: Keine Kettensäge, keine Reform

 

Thomas Kolbe

Nach dreißig Tagen unter Bundeskanzler Friedrich Merz zeichnen sich die Konturen seiner Regierung immer deutlicher ab. Aus wirtschaftspolitischer Sicht lautet die Diagnose: zutreffend – aber die Therapie verschlimmert die Krankheit.

Wer sich an die Bundestagsschlachten zwischen dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und seinem erbitterten Gegenspieler Friedrich Merz erinnert, kennt einen Mann, der seine Rhetorik einst in klassisch-liberale Gewänder kleidete. Damals warb Merz für unternehmerische Freiheit, wo der Staat übergriffig wurde; forderte Steuersenkungen, wo die Mittelschicht belastet war; und verlangte nach Deregulierung zur Ankurbelung des Wachstums. Hätte es damals bereits die „Milei-Kettensäge“ gegeben – Merz hätte sie stolz geschwungen.

Doch diese süßen Oppositionszeiten sind lange vorbei. Heute ist der Geist der alten GroKo zurück – und Merz klingt mehr nach Kassenwart als nach Reformer.

Große Versprechen, schwache Umsetzung

Merz begann seine Amtszeit mit dem Versprechen, die „Kraft der Sozialen Marktwirtschaft“ neu zu entfachen. Doch in Berlin weiß kaum jemand, wie man diesen Anspruch umsetzen soll. Er sprach davon, die Wirtschaft zu befreien, Bürokratie abzubauen, sich wieder zur Schuldenbremse zu bekennen und der grün-sozialistischen Planwirtschaft, die das Wachstum erstickt, ein Ende zu setzen.

Doch Skepsis ist angebracht. Bereits jetzt liegen seine Wahlversprechen in Trümmern – nicht zuletzt beim Thema Migration. Die Grenzkrise geht weiter, kaschiert durch Bundespolizeipräsenz – ein bekanntes Theaterstück. Die CDU unter Merz trägt die alleinige Verantwortung für die Blockade echter Reformen, indem sie trotzig jede politische Koordination mit der AfD verweigert. Diese Weigerung hat eine mögliche politische Wende sabotiert. Der „Reisekanzler“, der bislang mehr im Ausland als im Inland war, wird früher oder später frontal mit der Realität der Migration kollidieren.

Optik statt Substanz

Merz’ Zickzackkurs bei der Schuldenbremse illustriert seinen Hang zur Inszenierung. Anstatt die verfassungsmäßige Obergrenze für Schulden – ein Grundpfeiler konservativen Denkens – zu verteidigen, knickte er gegenüber seinen neuen linksliberalen Partnern ein. Sondervermögen zur Umgehung der Schuldenbremse sind fiskalischer Etikettenschwindel. Was einst eine Brandmauer gegen ausufernde Staatsausgaben war, ist heute ein Papiertiger.

Merz scheint Konflikten lieber aus dem Weg zu gehen, als für die Zukunft zu kämpfen. Er tauscht den Wohlstand von morgen gegen den Konsens von heute. Doch echte Politik braucht Auseinandersetzung – gerade mit jenen Partnern, die die sogenannte Brandmauer gegen die AfD aufrechterhalten. In der moralisierenden Echokammer des Mainstreams hat fiskalische Streitkultur keinen Platz mehr.

Steigende Sozialkosten infolge von Rezession, Arbeitsmarktverfall und unkontrollierter Migration werden durch höhere Lohnnebenkosten und Bundeszuschüsse kaschiert. Und so absurd es klingt: Die Lösung der Regierung lautet ein „Investitionspaket“ über eine Billion Euro – zur Illusion von Vorwärtsbewegung. Echte Reformen – etwa bei Rente oder Gesundheit – bleiben tabu. Die Staatsverschuldung soll von 63 % auf 95 % des BIP steigen. Deutschland reiht sich ein in die Mittelklasse der Schuldnerstaaten Europas. Doch solange der soziale Friede (bzw. Koalitionsfrieden) gewahrt bleibt, gilt der Preis als akzeptabel.

Fantasiewerkzeuge für eine echte Krise

Berlin setzt auf Trippelschritte: eine kleine Senkung der Körperschaftsteuer, die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung. Diese Mikromaßnahmen werden unter dem Marketingslogan „Investitions-Booster“ zusammengefasst. Die altbekannten Parolen kehren zurück – Bürokratieabbau, Genehmigungen beschleunigen, Verwaltung digitalisieren. Merz spricht von „unternehmensfreundlichem Klima“, liefert aber nur alte Slogans in neuer Verpackung.

Selbst seine Vorzeigeidee – „Wachstumsateliers“ – zur Entbürokratisierung kleiner Betriebe ist eher Sprachakrobatik als ernsthafte Reform. Kein Ministerium wurde aufgelöst. Der Beamtenapparat wächst weiter ungebremst – der letzte echte Wachstumssektor in Deutschland. Unternehmer tragen mittlerweile 146 Milliarden Euro pro Jahr an Verwaltungskosten. In der deutschen Realität sind Unternehmer fiskalisches Freiwild.

Hätte Merz es ernst gemeint mit der Wiederbelebung der Wirtschaft, hätte er schnell für sinkende Lebens- und Produktionskosten gesorgt. Die Abschaffung der CO₂-Steuer, der Soli oder die Rückkehr zur Kernenergie wären starke Signale gewesen. Doch nichts davon wird geschehen. Die Liste vernünftiger Reformen wächst, je tiefer man sich in den Berliner Politikdschungel begibt. Merz hätte eine Kettensäge gebraucht. Er greift nicht einmal zum Sparschäler.

Leere Worte, schwere Folgen

Angesichts der Krise in Schlüsselbranchen – allen voran der Automobilindustrie – hätte man einen mutigeren Kurs erwarten können. Der Ausstieg aus dem Krieg gegen den Verbrennungsmotor wäre ein Anfang. Die Bauwirtschaft liegt am Boden. Doch an eine Rücknahme der Überregulierung oder der selbstzerstörerischen Klimagesetze denkt niemand. ESG-Vorgaben werden nicht zurückgenommen. Das „Heizungsgesetz“ – das grüne Prestigeprojekt der Vorgängerregierung – bleibt bestehen, lediglich „reformiert“. Übersetzt: bewahren statt verändern.

Bislang folgt die neue Regierung exakt der Linie der alten. Merz beschwört häufig Ludwig Erhard, den Vater der Sozialen Marktwirtschaft – aber seine Politik verrät kein echtes Bekenntnis zu dessen Prinzipien. Wenn die USA im Handelskrieg den Druck erhöhen, wird Merz entscheiden müssen: Baut er mit Brüssel die Festung Europa – oder beginnt er, das Würgejoch der Regulierung zu lockern?

So oder so: Er wird es mit ernster Miene tun. Denn wie seine Vorgänger will auch Merz als „Klimakanzler“ in die Geschichte eingehen.

Über den Autor:
Thomas Kolbe, geboren 1978 in Neuss, ist Diplom-Volkswirt. Seit über 25 Jahren arbeitet er als Journalist und Medienproduzent für Kunden aus Wirtschaft und Verbänden. Als Publizist konzentriert er sich auf wirtschaftliche Zusammenhänge und beobachtet geopolitische Entwicklungen aus Sicht der Kapitalmärkte. Seine Texte folgen einer Philosophie, die das Individuum und sein Recht auf Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt.

 

 

30 Tage Deutschland unter Merz: Keine Kettensäge, keine Reform