„Mein Bauch gehört mir!“ Ein Slogan, den sich die Frauenbewegung seit nunmehr über fünfzig Jahren auf die Fahnen geschrieben hat. Abtreibung soll aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden und – zumindest für die Schwangeren selbst – komplett straffrei bleiben.
Diese Forderung unterstützt auch die als Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagene Frauke Brosius-Gersdorf. Straffreiheit bis zum Einsetzen der Wehen. Aber – würde das Frauen wirklich nutzen? Nein, die Streichung des § 218 wäre ein massiver Rückschritt nicht nur für die Rechte ungeborener Kinder, sondern auch für Frauenrechte.
England hat es vorgemacht: Dort dürfen Frauen nun bis zum Einsetzen der Wehen straffrei abtreiben. Und das ganz unbürokratisch. Stellt die Frau eine Schwangerschaft fest, so kann sie beim Nationalen Gesundheitsdienst eins, zwei, drei per Post eine Abtreibungspille bestellen. Ein Arztbesuch oder eine Beratung ist weder nötig noch vorgesehen. Am besten soll sie so planen, dass sie am Freitagabend das Bett mit stark saugfähigen Wickelauflagen abdeckt und ordentlich Schmerzmittel einschmeißt bevor die Krämpfe und Blutungen einsetzen, dann kann frau am Montag schon wieder an ihrer Karriere basteln und zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Jedenfalls bis zur zehnten Woche. Danach sollte man die Pille nicht mehr schlucken, weil das eine massive gesundheitliche Gefährdung für die Frauen nach sich zieht. Aber hey, wenn man halt in der fünfunddreißigsten Woche feststellt, dass man selbst oder der Partner jetzt doch kein Kind mehr will – Pille einschmeißen und vor dem Verbluten ins Krankenhaus. Die helfen einem dann weiter. Oder doch die klassische Ausschabung – wenn es sein muss auch bei einem Baby, das schon in der Lage ist, die Stimme der Mutter zu erkennen, am Daumen zu lutschen und zu träumen. Legal. Auf Kosten des Gesundheitsdienstes. Die allerdings nicht hoch sind – Abtreibungspillen gibt es für einen Appel und ein Ei.
Und nun also auch in Deutschland. Die Kandidatin für die Vizepräsidentschaft des Verfassungsgerichtes Brosius-Gersdorf hat sich die Forderungen der Frauenbewegung zu eigen gemacht und möchte Abtreibung für Frauen straffrei stellen. Ohne Wenn und Aber. Die Ärzte sollen belangt werden, wenn sie nach der zwölften Woche ohne Indikation abtreiben (1), die Frauen nicht. Das klingt ja erstmal so, als wäre damit die Fristenlösung gewahrt. Ist sie aber nicht. Denn an Abtreibungspillen kommt man auch in Deutschland recht leicht ran. Spätestens per Post aus England. Schluckt eine Frau sie und geht dann ins Krankenhaus, so ist sie es, die abtreibt, nicht der Arzt, der sie dann vor dem Verbluten rettet. Und beide bleiben straffrei.
In England hatten Feministinnen argumentiert, Abtreibung sei ein Menschenrecht. Es sei unzumutbar für Frauen, einen Arzt aufzusuchen, um sich eine Abschreibungspille verschreiben zu lassen, das müsse per Post gehen. Und ihre Forderung: Der englische Abtreibungsparagraf – analog zu unserem §218 – müsse raus aus dem Strafgesetzbuch. Denn das würde Frauen kriminalisieren. Schaut man sich diese vermeintliche „Kriminalisierung“ in der Realität an, so wurden in England während der letzten fünf Jahre nur sieben Personen wegen illegaler Abtreibungen verurteilt – allesamt Männer. Sie hatten ihre Ex-Partnerinnen entweder zur Abtreibung genötigt oder diese via Abtreibungspille ohne Wissen der Schwangeren eingeleitet. Das soll selbst unter dem Entwurf von Brosius-Gersdorf in Deutschland weiterhin strafbar bleiben. (2) Für Deutschland sind keine Zahlen bekannt, wie oft (und warum) Menschen nach dem §218 verurteilt wurden. Auch hier bleiben Frauen heute schon straffrei – solange die Abtreibung mindestens drei Tage nach einer Beratung und binnen einer Frist von zwölf Wochen stattfindet. Vermutlich ist auch in Deutschland die Zahl der verurteilten Frauen bei null oder doch sehr nahe daran.
Wer hat denn dann ein Interesse daran, Abtreibung aus dem Strafrecht zu streichen? Männerrechtler. Verhüten können beide, Männer und Frauen, und die Empfängnisverhütung kann auch schiefgehen, daher sind derzeit beide für eine ungewollte Schwangerschaft und deren Folgen verantwortlich. Männer zahlen Unterhalt, bis das Kind mit der Ausbildung fertig ist. Wenn aber der Schwangerschaftsabbruch völlig normalisiert und legalisiert wird, ein Rechtsanspruch, den jede Frau unkompliziert und kostenfrei in Anspruch nehmen kann, wenn sie – und nur sie – das so entscheidet, dann stellt sich schon irgendwann die Frage, warum der männliche Sexualpartner für die nächsten 25 Jahre Unterhalt zahlen soll. Er will kein Kind, sie will nicht abtreiben, tja, ihr Bauch gehört ihr und er ist damit fein raus. Doch dafür muss der Abtreibungsparagraf erstmal raus aus dem Strafrecht. Denn kein Mensch kann zu einer Straftat gezwungen werden. Solange der 218 steht, so lange bleibt eine ungewollte Schwangerschaft auch die Angelegenheit des Mannes.
Es ist erstaunlich, dass manche Feministinnen dieses Problem nicht zu sehen scheinen. Sie argumentieren fleißig weiter, ein Schwangerschaftsabbruch sei das gute Recht jeder Frau, da solle ihr keiner ein schlechtes Gewissen einreden. Bisschen betäuben, zehn Minuten Zellklumpen absaugen und fertig. Doch diese Sichtweise verwandelt die Fruchtbarkeit einer Frau in eine Sache, die man nach Belieben an- und ausschalten kann und die völlig steril ohne Beteiligung der Seele stattfindet. Mit der Lebenswirklichkeit von Frauen hat das eher wenig gemein. Eine Schwangerschaft ist ein unglaublich einschneidendes Erlebnis, das Frauen tief berührt. So zu tun, als sei das anders, ändert wenig an der Sache. Es macht nur alle unglücklicher, denn jetzt hat die Frau noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie ein schlechtes Gewissen hat.
Obwohl – möglicherweise gibt es das ja bei jungen Frauen, die so wenig Gefühl für ihren Körper haben, dass sie eine Abtreibung wie eine Zahnreinigung empfinden – unangenehm, aber langfristig einfach besser? Vielleicht spüren sie den Zauber, der dem entstehenden Leben innewohnt, nur dann, wenn es gerade in die Lebensplanung hineinpasst. Dann aber mit Instagram-Inszenierung der großen Gefühle, Weichzeichner, Schmalzmusik unterlegt und allem Drum und Dran. Sonst halt: Zellklumpen und weg damit. Gefühle – Fehlanzeige. Allein: Glauben kann und will ich das auch nicht.
Dem §218 gelingt ein schwieriger Balanceakt: Die Frau bleibt straffrei, aber es ist auch klar: hier liegt eine schwierige Gewissensentscheidung vor. Die Ansprüche des Babys und der Mutter müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Die Frau hat nicht nur die Pflicht – sie hat auch das Recht auf ein Beratungsgespräch. (3) Dort muss sie niemanden überzeugen, sie muss noch nicht mal etwas sagen, nur hingehen, das muss sie. Danach entscheidet sie selbst.
Abtreibung ist letztlich eine sehr moralische Frage. Die Frauenbewegung ist (oder sollte es zumindest sein) eine Bewegung, die sich auf moralischen Grundlagen wie Fairness und Menschenwürde gründet. Das unterscheidet sie von reinen Lobbyverbänden, die z.B. ausschließlich die Interessen der Rüstungsindustrie oder der Chemiebranche vertreten, egal welche Folgen das für andere hat. Ihnen geht es nur und ausschließlich um das Wohlergehen ihrer Klientel und zum Teufel mit dem Rest der Welt. Wenn Frauen ernsthaft argumentieren wollen, dass es für Mütter straffrei sein soll, ein Baby im neunten Monat abzutreiben, nur weil das allgemein mehr Freiheit für Frauen bedeutet, dann gerät viel ins Wanken. Denn mit dem Wort Moral oder Gerechtigkeit brauchen sie dann nicht mehr kommen.
Aber selbst, wenn man die Folgen für Kinder völlig ausblendet, so ist es auch für Frauen nicht gut, wenn Abtreibung so bagatellisiert wird. Wenn sie als die normale Reaktion angesehen wird auf eine ungewollte Schwangerschaft. Von den Sexualpartnern, von der Familie, vom Arbeitgeber. Das verschiebt Normen. Frauen, die in England zu tausenden allein wimmernd in ihren Betten liegen, krampfend, blutend, nie ganz sicher, ob das noch normal ist oder doch schon ein Zeichen, ins Krankenhaus zu müssen. Die dann so tun sollen, als wäre alles super, ein normaler Vorgang und weiter kein Problem, Girl-Boss, yeah. Um nach einem durchlittenen Wochenende wieder in der Arbeit zu erscheinen, als sei nichts gewesen. Ohne Beratungsmöglichkeiten, denn die Feministinnen haben so lange darüber geredet, dass das nur ein kleiner Zellklumpen sei, bis die Gesprächsangebote gestrichen wurden. Männer, die sehr offen eine Reform des Unterhaltsrechts fordern: „Your body your choice, yes. But my money, my choice.” (etwa: Dein Bauch gehört Dir und mein Einkommen gehört mir). Wenn sie halt nicht abtreiben will, dann soll sie ihre Suppe auch allein auslöffeln.
Schwangerschaftsabbrüche sind nicht nur ein Thema für die Frauenbewegung. Männer haben da durchaus auch Interessen. Das Geschichtsbild zum Thema Abtreibung ist in West-Deutschland sehr einheitlich: Alice Schwarzer hat das Recht erkämpft. Für die Frauen. Mit ihrer Stern-Geschichte. Und das war ja auch so. Es ist aber auch so, dass der Ablauf in allen Ländern einem ähnlichen Muster folgt: Erst wird die Pille eingeführt. Dadurch kommt es zu einer sexuellen Revolution und sehr viel mehr unehelichen Kindern (4), in Folge gibt es ein Gesetz, das unehelichen Kindern Unterhaltsrechte zuspricht, da der Staat nicht allein für sie aufkommen möchte. Dadurch betreffen ungewollte Schwangerschaften nicht mehr „nur“ Frauen, sondern auch Männer. Und das nicht nur finanziell: da die Unterhaltszahlungen auf dem Kontoauszug klar sichtbar sind, lassen sich ungewollte Kinder nicht mehr so leicht verheimlichen. Die Ehefrauen – bestehende oder zukünftige – erfahren unweigerlich von dem „Fehltritt“. Damit haben Männer plötzlich ein Interesse daran, ungewollte Schwangerschaften unterbrechen zu können. Und dann gibt es in den Parlamenten auf einmal Mehrheiten für ein Recht auf Abtreibung. In Deutschland kam die Pille für Unverheiratete ab 1964, die Unterhaltspflicht für uneheliche Kinder 1967 und das Recht auf Abtreibung 1970. (5) In anderen Ländern ist das Muster ähnlich, wenn auch mit anderen Jahreszahlen. Einzig Irland hat zwischen Pille (1989) und Schwangerschaftsabbruch (2013) eine lange Frist verstreichen lassen. Möglicherweise war dort die katholische Kirche zu stark. Oder sie hatten keine Alice Schwarzer.
Jetzt gibt es aber neue Interessen. Männer wollen nach Tinder-Sex nicht mehr geradestehen für das, was sie als unverbindliche Freizeitbeschäftigung angesehen haben. Transverbände wollen Fruchtbarkeit in ein Feature umdichten, das man an- und abschalten kann, aber gar nicht ursächlich zur Weiblichkeit gehört. Eine technische Geschichte halt. Leihmutterschaft wäre gesetzlich praktischer, wenn man zwischen der Seele einer Frau und ihrem gemieteten Uterus eine klare Trennlinie ziehen könnte. Und man der Frau auch gleich in den Vertrag schreiben könnte, dass sie das Baby bei Bedarf abzutreiben hat. Für all das wäre es viel angenehmer, den §218 aus dem Strafgesetzbuch draußen zu haben. Frauen wird dann erklärt, dass eine Missachtung ihrer Gefühle und ihres Körpers „Empowerment“ bringt. Dass es ihr Menschenrecht ist, allein wimmernd zu bluten, wenn das für alle Beteiligten doch so viel angenehmer ist.
Und das alles wofür? Weil man Frauen „kein Beratungsgespräch zumuten will“. Echt jetzt? Weil man „Frauen nicht kriminalisieren will“, ohne dass überhaupt irgendjemand eine Frau kennt, die in den letzten Jahren für eine Abtreibung verurteilt worden wäre? Frauen können heute de facto straffrei abtreiben. „Frauen nicht kriminalisieren“ ist eine Worthülse. Oder geht es darum, Spätabtreibungen möglich zu machen? Und wollen wir das wirklich? Oder vielleicht schnelle Entscheidungen aus der Panik heraus ohne Wartezeit zu ermöglichen? Selbst für Zahnersatz braucht man eine Bedenkfrist, aber für Abtreibung nicht mehr?
Für Frauen steht mit der Abschaffung des §218 viel auf dem Spiel. Sie haben in den letzten Jahren oft die Erfahrung machen müssen, dass die Erfüllung ihrer Forderungen durchaus auch negative Konsequenzen nach sich zieht. Es wäre jetzt so wichtig, dass sich Frauen ernsthaft fragen, ob es ihre Menschenwürde wirklich stärkt, Abtreibung komplett zu legalisieren. Oder ob es zu einer Verschiebung der Sexualnormen führt, hin dazu, dass Männer zwar jederzeit Sex haben können, Frauen das Nachspiel aber komplett allein überlassen. Die letzten Jahre sind nicht gut gelaufen für Frauen. Eine Streichung des §218 würde das sicher nicht besser machen. Mein Bauch gehört mir klingt gut. Viel besser, als wenn Männer sagen: Dein Bauch gehört Dir.
Es gibt viele Gründe, gegen die Kandidatur von Brosius-Gersdorff zu sein. Nicht nur hat sie vehement eine Impfpflicht für alle gefordert, ohne sich um die Freiheit des Individuums zu scheren, als das gerade schick war, fordert jetzt zusammen mit dem Mainstream ein Verbot der AfD, jenseits der Frage, was Wähler eigentlich wollen. In einem Punkt aber stellt sie die Rechte des Individuums über alles: wo es trendy wird, eine Straffreiheit für Abtreibung zu fordern, ist sie voll dafür. Female Empowerment! Ich hätte im Präsidium des Bundesverfassungsgerichtes gerne Menschen, die mal einen Schachzug vorausdenken. Und solche mit Prinzipien und Rückgrat.
Referenzen
- das wäre nach ihrer Vorstellung eine medizinische Komplikation, eine Behinderung des Fötus oder eine Schwangerschaft aus Vergewaltigung
- https://www.bundestag.de/resource/blob/1049772/Stellungnahme-Brosius-Gersdorf.pdf
- Man kann sich leicht vorstellen, was mit der Schwangerenberatung passieren wird, wenn sich die Raus-Aus-Dem-Strafgesetzbuch-Fraktion durchgesetzt hat: derzeit warten selbstmordgefährdete Kinder (Kinder! Selbstmordgefährdete!) sechs bis acht Monate auf einen Therapieplatz. Den Pro-Familia-Beratungsstellen würden wohl schneller die Mittel gestrichen werden als man „Zellklumpen“ sagen kann.
- Die Pille verhütet Schwangerschaft „nur“ zu 99% bei korrektem Gebrauch. Bei durchschnittlichem Gebrauch in England zu etwa 91% (Perry, The case against the sexual revolution). Da so viel mehr Sex außerhalb einer Ehe stattfindet, explodieren die Zahlen unehelicher Kinder.
- https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/210997/55-jahre-pille/; https://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1967/1967-11-a-652.pdf; https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/290795/kurze-geschichte-des-paragrafen-218-strafgesetzbuch/