Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen plädiert der Soziologe Klaus Hurrelmann für ein radikales Umdenken beim Thema Pflichtdienst: Nicht nur junge Leute sollten zu Landesverteidigung und sozialen Diensten herangezogen werden – auch fitte Rentner.
Die Idee, dass Menschen nach Jahrzehnten der Arbeit nur noch reisen oder sich ins Private zurückziehen, greife angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen zu kurz, meint der Soziologe, der selbst 81 Jahre alt ist: „Es ist nicht gerecht, wenn wir allein von jungen Menschen erwarten, das Land im Ernstfall zu verteidigen“, sagte der Generationenforscher im Gespräch mit dem Spiegel. Stattdessen fordert Hurrelmann einen generationenübergreifenden sozialen Pflichtdienst – ausdrücklich auch für Seniorinnen und Senioren nach dem Erwerbsleben.
Der langjährige Leiter der Shell-Jugendstudie und Professor für Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin schlägt vor, den Renteneintritt flexibler zu gestalten. „Wer körperlich und geistig fit ist, sollte nicht automatisch mit 63 oder 65 in die reine Freizeit übergehen“, so Hurrelmann.
Hurrelmann sieht in seiner Forderung auch eine Antwort auf die zunehmende Überforderung junger Leute: „Viele fühlen sich von der Weltlage und den gesellschaftlichen Entwicklungen überwältigt.“ Studien belegten eine Zunahme psychischer Belastungen, Ängsten und Erschöpfung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Eltern hätten in vielen Fällen mit überbehütender Erziehung zwar gut gemeint, aber die Resilienz ihrer Kinder geschwächt. Gleichzeitig seien auch viele Eltern selbst durch die Vielzahl an Krisen ausgelaugt – etwa ein Drittel sei „am Rande ihrer Belastbarkeit“, schätzt der Soziologe.
Die Diskussion um Wehrpflicht und gesellschaftlichen Pflichtdienst wird aktuell wieder emotionaler geführt. Seit 2011 ist die Wehrpflicht ausgesetzt – eine einfache Parlamentsmehrheit könnte sie jedoch wieder aktivieren. Für eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen wäre allerdings eine Grundgesetzänderung nötig.
Wehrpflicht soll wieder kommen
Auch politische Stimmen unterstützen eine neue Debatte: Zuletzt regte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einen Bürgerrat zur Frage der Wehrpflicht an. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ist ebenfalls klar für die Wiedereinführung der Wehrpflicht: „Die Bundeswehr muss zurück in die Mitte unserer Gesellschaft. Es war ein Fehler – wie wir spätestens heute wissen – die Wehrpflicht auszusetzen.“
Hurrelmanns Vorstoß verleiht der Diskussion nun eine neue Wendung: Die Verantwortung für Staat und Gesellschaft soll nicht mehr primär bei den Jüngeren liegen, sondern generationenübergreifend geteilt werden: „Wir brauchen ein neues Konzept von Engagement im Alter.“ Seine Forderung: eine Debatte über sinnvolle Aufgaben für gesunde ältere Menschen. Nicht nur im sozialen Bereich, sondern auch zur Stärkung der zivilen Verteidigungsfähigkeit.
Stärkung der Verteidigungsfähigkeit: Pflichtdienst für fitte Senioren?