EU-Chefin von der Leyen saß bei den Ukraine-Gesprächen in Washington mit am Tisch. Einfluss hatte sie im Gegensatz zu Kanzler Merz aber nicht. Das liegt an fünf Problemen der Europäischen Union.
Die höflichste Form der Lüge ist das Lob. Ursula von der Leyen weiß, was hier gemeint ist.
Die Kommissionspräsidentin der EU besitzt drei Ehrendoktortitel, bekam von der Bill & Melinda Gates Foundation den Global Goalkeeper Award überreicht, ließ sich von der BBC mit dem 100-Women-Preis dekorieren und bekam bei der Verleihung des Karlspreises eine Lobeshymne als Laudatio von Friedrich Merz.
Ohne Anflug von Ironie rief der Kanzler in den festlich geschmückten Saal: „Liebe Ursula, du gibst Europa in der Welt eine Stimme.“
Merz weiß es besser. Und sie weiß es jetzt auch besser. Der gemeinsame Ausflug mit den wichtigsten europäischen Regierungschefs und dem Nato-Generalsekretär zu Donald Trump illuminierte vor den Augen der Welt ihre Bedeutungslosigkeit. Sie war da, aber sie war nicht wichtig. Sie besitzt eine Stimme, aber die klingt brüchig. Europa ist auf der Weltbühne eine Nummer, aber keine große. Das liegt an ihr, aber nicht nur.
#1 Ursula von der Leyen hat einen Posten, aber kein Geld
Traditionell verfügt die Europäische Union über nur limitierte Haushaltsmittel, die ihr von den Mitgliedstaaten bewilligt werden. Der Staatshaushalt von Frankreich ist zweieinhalbfach höher als das Budget der EU-Kommission.
Der Grund: Europa ist ein Staatenbund, aber kein eigener Staat. Dieses Gebilde lebt ohne Finanzminister und ohne eigene Steuerbasis. Die Rückzahlung der neuerdings von der EU-Kommission aufgenommenen Schulden wird zwar aus dem EU-Haushalt bedient. Aber die Investoren am Kapitalmarkt wissen, dass dieser Tiger in Wahrheit ein Bettvorleger ist. Die Schulden müssen durch die Mitgliedstaaten garantiert werden.
#2 Die europäische Armee ist eine Vision, aber keine Wirklichkeit
Die Befugnisse für den Einsatz von Heer, Marine und Luftwaffe besitzen die Mitgliedstaaten. Auch nach allen großen Vertragsänderungen in Maastricht, Amsterdam und Lissabon, in denen die EU ihre Kompetenzen bei Handel, Währung und Bürgerrechten ausweiten konnte, blieb die Sicherheitspolitik national.
Das heißt: Für alle außenpolitischen Entscheidungen braucht die EU eine einstimmige Entscheidung im Europäischen Rat, das Organ, in dem die Regierungschefs und nicht die Kommissare das Sagen haben. Wenn es um „Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ geht, so der Wortlaut in Artikel 31 des EU-Vertrags, gibt es keinerlei Raum für Ausnahmen.
Die Folge: Von der Leyen ist eine Präsidentin ohne Pistolen und ohne Schießpulver, weshalb sie im Weißen Haus bei Tische ganz außen sitzt und im Gruppenfoto am Rand steht.
#3 Ursula von der Leyen fehlt die demokratische Legitimation
Sie ist die Frau, die im politischen Hinterzimmer geboren wurde. Sie stand auf keinem Wahlzettel. Sie hat auf keinem Marktplatz für sich geworben. Ohne Emmanuel Macron, der sie als Gegengeschäft zur Besetzung der EZB-Spitze mit Christine Lagarde durchgesetzt hat, gäbe es sie nicht auf diesem Posten.
Ihr Vorrücken an die Spitze der Kommission war zudem von einem höchst fragwürdigen Vorgang begleitet, der sich nach der Europawahl ereignete. Der eigentliche Spitzenkandidat der siegreichen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber von der CSU, wurde zurückgezogen und beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am 2. Juli 2019 zog Macron sie aus dem Hut. Er wollte Weber verhindern. Sie war Merkel-Loyalistin und spricht gut französisch, weil sie in Belgien geboren wurde. Das war ihr Coming-out.
#4 Sie verfügt über kein eigenes Volk
Wie auch? In der EU leben insgesamt 450 Millionen Deutsche, Franzosen, Niederländer, Italiener und viele andere. Aber ein europäisches Staatsvolk gibt es noch nicht. Nach der Drei-Elemente-Staatslehre von Georg Jellinek (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt) eine Grundvoraussetzung für die Konstitution eines Staates.
Alleine deswegen wird die Kommissionspräsidentin in den USA nicht als Leaderin gesehen. Und so musste von der Leyen, ebenso wie Nato-Chef Rutte bei den Gesprächen im Oval Office, den Raum verlassen, als es hieß „Leaders only“.
Ihre Aufgabe ist es nicht, Schaden vom europäischen Volk abzuwenden, sondern die EU-Verträge zu hüten. Das begründet eine administrative Rolle, aber keine demokratische Legitimation.
#5 In ihrer Kernkompetenz, der Handelspolitik, hat sie versagt
Ihre Chance, sich bei Donald Trump als Vertreterin der Europäischen Union einen Namen zu machen, hat sie verpasst. In den Verhandlungen zu den Zolltarifen trumpfte sie nicht mit der Wirtschaftsstärke eines 18 Billionen Euro Binnenmarktes auf, sondern reiste kleinlaut zu Trumps Golfhotel nach Schottland.
Ihr exklusives Mandat, als geeinte europäische Stimme für die Handelspolitik der EU zu sprechen und zu verhandeln, hat ihr international keinen Ruhm, sondern Spott eingebracht. Putin bekam in Alaska den roten Teppich und Applaus. Sie wurde nach Schottland zur Entgegennahme der neuen Zolltarife einbestellt, wie eine Sekretärin zum Diktat.
Fazit: Der Aufstieg des Außenpolitikers Friedrich Merz ist vom Abstieg der EU-Kommissionspräsidentin begleitet. Wenn es in der Politik mit rechten Dingen zuginge, müsste sie den diesjährigen Karlspreis an ihren Laudator weiterreichen. Die Stimme Europas hat den Besitzer gewechselt.
https://www.focus.de/politik/ausland/mehr-schein-als-sein-der-frappierende-bedeutungsverlust-der-ursula-von-der-leyen_405ac3aa-0cc2-4a3b-9c18-5ed8558fcf49.html