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Was tun Sie, wenn jemand eine gut gemeinte, aber fehlgeleitete Bemerkung über die Hungernden macht? Man kann frustriert schweigen, oder man kann ihm zeigen, dass Hunger nichts mit Faulheit, Natur oder „zu vielen Mäulern“ zu tun hat. Hunger ist politisch. Hunger wird produziert. Hunger geht um Macht und darum, wer die Ressourcen kontrolliert.
Hier sind drei der größten Mythen über den Welthunger – und warum sie falsch sind.
Mythos eins: Überbevölkerung
Wir haben es alle schon gehört: „Es gibt einfach zu viele Menschen auf der Welt. Deshalb gibt es Hunger.“ Oberflächlich betrachtet klingt das logisch – aber es ist schlichtweg falsch.
Die Welt produziert bereits mehr als genug Lebensmittel, um alle Menschen zu ernähren. Tatsächlich liefert die weltweite Nahrungsmittelproduktion weit über 2.800 Kalorien pro Person und Tag – und dabei sind Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und Vieh aus der Graslandwirtschaft noch nicht einmal mitgerechnet. Das Problem ist nicht die Knappheit, sondern die Verteilung.
Es geht darum, wer isst und wer nicht. Die reichsten Länder verbrauchen weit mehr, als sie brauchen. Die USA, die nur etwa 4 % der Weltbevölkerung stellen, verschlingen etwa 25 % ihrer Ressourcen. Währenddessen kämpfen ganze Regionen im globalen Süden ums Überleben.
Die westlichen Länder haben genug Geld, um ihre Bevölkerungen zu ernähren. Es gibt kaum einen Zusammenhang zwischen Hunger und Landverfügbarkeit: In den Niederlanden leben 1.350 Menschen pro Quadratmeile, in Bolivien nur 26–31. Und doch gehören die Niederländer zu den am besten ernährten Menschen der Welt, während die Armen in Bolivien zu den am meisten unterernährten zählen. Auch in Afrika liegt das größte Nahrungsmittelproblem nicht am fehlenden Land – derzeit wird nur ein Viertel der potenziellen Anbaufläche genutzt.
Das Bevölkerungswachstum wird besonders in Afrika oft ins Feld geführt. Doch arme Familien bekommen nicht aus Unwissenheit, sondern aus Notwendigkeit mehr Kinder. Wenn jedes vierte Kind stirbt, bevor es das Erwachsenenalter erreicht, und mehr Hände auf den Feldern gebraucht werden, sind große Familien eine Überlebensstrategie. Historisch verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum in Europa und Nordamerika erst, nachdem sich der Lebensstandard verbessert hatte. Armutsbekämpfung führt zu kleineren Familien – nicht umgekehrt.
Die eigentliche Frage lautet also nicht „zu viele Menschen“, sondern: zu viel Reichtum in den Händen weniger.
Mythos zwei: Das Wetter
Wenn eine Hungersnot ausbricht, verweisen die Schlagzeilen auf „Dürre“, „Überschwemmung“ oder „ausbleibende Regenfälle“. Aber das Wetter ist selten die Ursache des Hungers. Armut und Ungleichheit sind es.
Naturkatastrophen gibt es überall: Wirbelstürme in den USA, Erdbeben in Japan, Dürren in Australien. Doch dort sterben kaum Menschen – weil diese Länder über Sicherheitsnetze, Infrastruktur und Ressourcen verfügen.
In armen Ländern dagegen sind es die Armen, die gezwungen werden, in gefährlichen Gebieten zu leben – Überschwemmungsgebiete, Küsten, die von Zyklonen bedroht sind, oder empfindliche Böden. Wenn die Katastrophe kommt, zahlen sie den Preis. In Bangladesch etwa töten Zyklone oft die Ärmsten, die sich auf instabilen Inseln im Golf von Bengalen niederlassen mussten. Wohlhabendere Bürger mit solideren Häusern und Zugang zu Hilfe überleben.
In den USA verhungerten Bauern im 19. Jahrhundert während Dürren, doch heute verhindern Ernteversicherungen, staatliche Hilfen und Infrastruktur das. In Saudi-Arabien wird sogar in der Wüste Weizen angebaut – solange genug Geld und Technologie vorhanden sind. Hunger in Afrika liegt also nicht am Klima, sondern am Fehlen von Geld, Infrastruktur und politischem Willen.
Der Klimawandel verschärft zwar alles, aber ob Menschen hungern oder überleben, hängt von Armut, Ungleichheit und Zugang zu Ressourcen ab – nicht nur vom Regen.
Wenn wir sagen: „Die Hungersnot wurde durch die Dürre verursacht“, entlasten wir Regierungen und Konzerne. Die Wahrheit: Katastrophen zeigen, wer an den Rand gedrängt wurde – und wer dem Tod überlassen wird.
Mythos drei: Wissenschaft
Der dritte Mythos ist verführerisch: dass Technologie und Wissenschaft den Hunger endgültig beenden werden.
Die „Grüne Revolution“ des 20. Jahrhunderts – ertragreiche Saaten, Dünger, Pestizide – wurde als Königsweg verkauft. In Wahrheit hat sie wenig gelöst, oft sogar verschlimmert.
Ertragreiche Pflanzen klingen gut, benötigen aber teure Inputs. Wohlhabende Bauern können sie kaufen, arme nicht. Ergebnis: Reiche gedeihen, Arme verschulden sich – und Land konzentriert sich in immer weniger Händen.
Ja, Indien wurde vom Hungerland zum Nettoexporteur. Doch Millionen Inder sind weiter unterernährt. Warum? Weil produziert wird für den Markt, nicht für die Menschen. Getreide wird exportiert, während arme Familien es sich nicht leisten können.
Die „Grüne Revolution“ brachte auch versteckte Kosten: ausgelaugte Böden, vergiftete Wassersysteme, Bauern in Schuldenfallen. In Indien nahmen sich Tausende Bauern wegen Überschuldung durch Saatgut- und Chemikalienabhängigkeit das Leben. Die Konzerne profitierten – die Kleinbauern verloren.
Wissenschaft ist nicht grundsätzlich schlecht: Agrarökologie, Vielfalt und lokales Wissen bieten echte Lösungen. Doch sie bringen den Konzernen keinen Profit und werden deshalb verdrängt.
Hunger wartet nicht auf einen Durchbruch. Lösungen gibt es längst: Landreform, Schuldenerlass, Ernährungssouveränität und ein Ende der Behandlung von Lebensmitteln als bloße Ware.
Die harte Wahrheit
Beim Welthunger geht es nicht um Natur, Wissenschaft oder „zu viele Münder“. Es geht um Politik, Gier und Macht. Es gibt genug Nahrung. Es gibt genug Ressourcen. Aber in einem System, in dem die Wohlhabenden mehr konsumieren und kontrollieren, als sie brauchen, hungern Millionen.
Das nächste Mal, wenn jemand sagt: „Nun, so ist es eben“, denken Sie daran: Hunger ist nicht unvermeidlich. Er ist von Menschen gemacht – und er kann rückgängig gemacht werden.
Hunger wird durch Faulheit und Korruption verursacht?
Manche schieben die Schuld den Hungernden selbst zu – Faulheit oder Korruption. Das ist nicht nur falsch, sondern gefährlich und entmenschlichend.
Die meisten Hungernden arbeiten unermüdlich: Bauern in Afrika, Asien und Lateinamerika oft 12–16 Stunden täglich – und können ihre Familien trotzdem kaum ernähren, weil Preise niedrig, Märkte ausbeuterisch oder Klimaschocks zerstörerisch sind. Straßenverkäufer oder Tagelöhner schuften endlos – bedroht von Räumungen, Schulden oder fehlendem Zugang zu Grunddiensten.
Korruption gibt es – aber sie ist nicht die Ursache. Es sind globale Strukturen wie Auslandsverschuldung, unfaire Handelsabkommen, Landraub durch Konzerne und ausbeuterische Hilfsprogramme, die den Hunger antreiben.
Den Armen die Schuld zu geben, ist ein Ablenkungsmanöver der Mächtigen. Hunger ist keine Faulheit. Hunger ist eine verweigerte Chance.
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