Am Mittwoch und Donnerstag fanden in Kopenhagen zwei europäische Gipfeltreffen statt, zunächst der EU-Gipfel und danach das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Die Ergebnisse lassen sich mit den Worten „Piraterie, Raub, Krieg“ zusammenfassen.
Am Mittwoch und Donnerstag fanden in Kopenhagen hochrangige Treffen europäischer Politiker statt. Am Mittwoch trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zum EU-Gipfel und am Donnerstag gab es ein Treffen der 2022 gegründeten Europäischen Politischen Gemeinschaft, der alle europäischen Staaten außer Russland und Weißrussland angehören.
Die Europäische Politische Gemeinschaft wurde vom französischen Präsidenten Macron initiiert und soll die EU-Beitrittskandidaten, die EFTA-Mitgliedstaaten sowie Großbritannien als ehemaliges EU-Mitglied politisch enger an die EU binden, ohne dass sie Vollmitglieder sein müssen. Daher sind neben europäischen Staaten beispielsweise auch die Türkei, Aserbaidschan, Armenien, Georgien und natürlich auch die Ukraine Mitglieder des Clubs.
Die beiden Treffen in Kopenhagen haben einige wichtige Ergebnisse oder zumindest Erklärungen und Ankündigungen hervorgebracht.
Piraterie
Das internationale Seerecht verbietet natürlich Piraterie, also das gewaltsame Aufbringen von Schiffen im internationalen Seegebiet. Ausnahmen müssten vom UN-Sicherheitsrat genehmigt werden, der als einzige Plattform das Recht hat, international gültige und verpflichtende Sanktionen gegen Staaten zu verhängen, was auch eine Seeblockade, also das gewaltsame Aufbringen von Schiffen in internationalen Gewässern, beinhalten kann.
Abgesehen von dieser Ausnahme ist die Freiheit der Schifffahrt im Völkerrecht ein heiliges Gut, auf das sich ja auch der Westen immer beruft, wenn er beispielsweise seine Kriegsschiffe durch die Taiwanstraße schickt oder im Roten Meer oder anderen Seegebieten gegen Piraten vorgeht.
Europäische Politiker und Medien haben schon 2024 eine gut vorbereitete (Des-)Informationskampagne gestartet, mit der die europäische Öffentlichkeit von der angeblichen Gefährlichkeit der sogenannten „russischen Schattenflotte“ überzeugt werden sollte, damit die europäische Öffentlichkeit auf Akte der Piraterie nicht überrascht oder ablehnend reagiert, die europäische Staaten ab Anfang 2025 in der Ostsee durchgeführt haben, indem sie (auch in internationalen Gewässern) Handelsschiffe gekapert und beschlagnahmt oder das zumindest versucht haben. Darüber habe ich Ende Mai in einem sehr ausführlichen Artikel berichtet, den Sie hier finden.
Der „Schattenflotte“ wird vom Westen vorgeworfen, sie transportiere auf unsicheren und nicht versicherten Schiffen russisches Öl. Versichert sind die Schiffe allerdings, wenn auch aufgrund der westlichen Sanktionen nicht bei westlichen Versicherungsgesellschaften. Und auch unsicher sind die Schiffe nicht, denn diese Schiffe waren ja auch vorher auf den Weltmeeren unterwegs, ohne dass der Westen ihre Sicherheit bemängelt oder ihnen das Anlaufen westlicher Häfen verweigert oder sie gar in internationalen Gewässern gekapert hätte.
All die Vorwürfe sind also konstruiert, weil die europäischen Staaten versuchen, ihren Akten der Piraterie vor ihrer Bevölkerung einen legalen Anstrich zu verpassen. Dazu gehören auch die Formulierungen der Medien, die russischen Ölexporte würden gegen die Sanktionen verstoßen, denn was die europäischen Medien und Politiker dabei nie erwähnen, ist, dass die westlichen Sanktionen ohne Bestätigung durch den UN-Sicherheitsrat keinerlei völkerrechtliche Grundlage haben.
Nach einer Pause von einigen Wochen gab nun wieder so einen Fall, bei dem die französische Marine einen Tanker wegen des angeblichen Verdachts auf Verstoß gegen das Seerecht in internationalen Gewässern gekapert hat. AFP nannte die beiden Namen der Tanker, Pushpa und Boracay, die unter der Flagge Benins fahren. Frankreich warf den aus Russland kommenden Tankern einen möglichen „Mangel an Rechtfertigung für die Nationalität oder Flagge des Schiffes“ und „Weigerung, Anweisungen Folge zu leisten“, vor.
Der Kapitän eines der Schiffe, ein chinesischer Staatsbürger, wurde verhaftet, nachdem französische Soldaten eines der Schiffe gekapert hatten. Ihm drohen demnach ein Jahr Gefängnis und eine Geldstrafe von 150.000 Euro.
Nach dem Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft am Donnerstag kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron gegenüber Reportern an, die Generalstabschefs der europäischen Länder, die der sogenannten „Koalition der Willigen“ in der Ukraine-Frage angehören, würden in Abstimmung mit der NATO neue Maßnahmen erörtern, um den Betrieb der „Schattenflotte“ zu behindern:
„Wir haben beschlossen, einen Schritt nach vorne zu gehen und eine Politik der Behinderung zu verfolgen, wenn verdächtige, an diesem Schmuggel beteiligte Schiffe in unseren Gewässern auftauchen, um Russlands Fähigkeit zur Finanzierung und seiner militärischen Bemühungen einzuschränken. In den kommenden Tagen werden sich unsere Generalstabschefs in Abstimmung mit der NATO im Rahmen der ‚Koalition der Willigen‘ treffen, um gemeinsame Maßnahmen für die kommenden Wochen zur Umsetzung dieser Politik der Behinderung der ‚Schattenflotte‘ zu entwickeln.“
Dass Macron den Export von russischem Öl als „Schmuggel“ bezeichnet, ist natürlich eine für die Medien bestimmte Formulierung, denn von Schmuggel kann keine Rede sein, wenn ein Land seine Waren an ein anderes verkauft. Aber in der westlichen Propaganda wirkt das Wort natürlich.
In dem Gespräch mit Journalisten, das der Élysée-Palast auf YouTube übertragen hat, räumte Macron ein, dass die Festsetzung eines Tankers vor der französischen Küste eine „Demonstration dieser Politik“ gewesen sei. Gleichzeitig begründete er den Einsatz des französischen Militärs mit einem angeblichen „unangemessenen und äußerst aggressiven Verhalten“ der Tankerbesatzung gegenüber einer französischen Fregatte und ihren Hubschraubern.
Wie sich ein Tanker gegenüber einer schwer bewaffneten Fregatte „aggressiv“ verhalten kann, erklärte Macron nicht, was zeigt, dass das nur ein Vorwand ist, zumal er zuvor ja selbst eingeräumt hatte, dass die Kaperung des Tankers Teil der Strategie gegen Russland war. Auch der einigen westlichen Medien gemeldete Zusammenhang des Tankers mit den Drohnenvorfällen in Dänemark wurde nicht offiziell bestätigt und hatte offensichtlich nur den Zweck, die europäische Öffentlichkeit davon abzulenken, dass Frankreich einen Akt der Piraterie begangen hat.
Zu Beginn des Gipfels der Europäischen Politischen Gemeinschaft forderte der französische Staatschef am Donnerstag andere Länder auf, dem Beispiel Frankreichs zu folgen und weitere Schiffe festzusetzen, die im Verdacht stehen, Teil der „Schattenflotte“ zu sein und russisches Öl zu transportieren. Er sagte, die Schiffe sollten für Dokumentenkontrollen „mehrere Tage oder Wochen“ festgesetzt werden, um „das Geschäftsmodell zu stören“ und die Effizienz der Öllieferungen aus Russland zu verringern.
Raub
Ein weiteres Thema der Treffen war es, endlich einen Weg zu finden, wie die Europäer die eingefrorenen russischen Vermögenswerte konfiszieren können. Legal geht das nicht, daran arbeitet die EU-Kommission schon seit 2022 vergeblich, also werden dazu immer abenteuerliche Konstruktionen ins Spiel gebracht. Die letzte kam von Bundeskanzler Merz, der in einem Artikel für die Financial Times vorgeschlagen hat, die EU solle der Ukraine einen mit den russischen Geldern besicherten zinslosen Kredit über 140 Milliarden Euro gewähren, der dann später, wenn Russland bereit ist, der Ukraine Reparationen zu bezahlen, von Russland oder aus den russischen Vermögenswerten zurückgezahlt werden soll.
Das Problem dabei ist, dass die russischen Gelder auf der Clearing-Plattform Euroclear liegen, die ihren Sitz in Belgien hat. Das bedeutet formaljuristisch, dass nicht die EU, sondern Belgien die russischen Gelder illegal einziehen würde. Und darauf würde Russland reagieren, indem es gerichtlich weltweit belgische Vermögenswerte als Entschädigung einziehen würde. Belgien würde also für die vollen 200 Milliarden Euro haften.
Das weiß die belgische Regierung natürlich, weshalb der belgische Ministerpräsident De Wever den Vorschlag von Merz kritisiert und zurückgewiesen und gefordert hat, dass alle EU-Staaten sich schriftlich verpflichten müssten, Belgien für den Schaden zu entschädigen, wie er vor Journalisten erklärte:
„Ich habe ihnen gesagt, dass wir die Unterschriften der Staats- und Regierungschefs aller EU-Länder für eine Verpflichtung zur gemeinsamen Übernahme aller finanziellen Risiken benötigen.“
De Wever bekräftigte, dass er von den EU-Ländern noch keine finanziellen Garantien erhalten habe. Daher forderte er die anderen EU-Länder außerdem zu „vollständiger Transparenz“ in Bezug auf russische Vermögenswerte in ihren Ländern auf. Seiner Meinung nach gebe es davon in anderen westlichen Ländern „nicht weniger als in Belgien“.
Außerdem sagte er, dass Belgien die Enteignung der Vermögenswerte bei Euroclear ablehne, weil sie „Einkommen und Steuern generieren“, schließlich hat die EU aus deren Zinseinnahmen bereits Gelder an die Ukraine überwiesen. De Wever verglich die blockierten russischen Gelder mit einem dicken Huhn und die abfallenden Zinsen mit goldenen Eiern. Die Frage sei, wann esse man das Huhn, sagte er.
Auch einen Seitenhieb auf Macrons „Koalition der Willigen“ konnte er sich nicht verkneifen und forderte:
„Die Koalition der Willigen muss zu einer Koalition der Zahlenden werden.“
Wie immer war es interessant, sich anzuschauen, was Spiegel-Leser über all das, und vor allem die Worte des belgischen Regierungschefs, erfahren. Aber in dem Spiegel-Artikel darüber mit der Überschrift „Schlüsselfigur gegen Initiative – Belgiens Premierminister kritisiert Merz-Pläne für russisches Vermögen scharf“ wurde nur das Zitat mit dem Huhn erwähnt, mehr müssen Spiegel-Leser darüber nicht wissen.
Bundeskanzler Merz hingegen blieb auch nach den Treffen in Kopenhagen bei seiner Meinung und erklärte:
„Wir haben sehr intensiv über die Nutzung der russischen Mittel diskutiert. Wir werden diese Frage nun gründlich prüfen und in drei Wochen, beim nächsten EU-Gipfel, höchstwahrscheinlich eine konkrete Entscheidung treffen. Ich werde jeden Weg unterstützen, der den Einsatz der russischen Mittel zur weiteren Unterstützung der Ukraine ermöglicht und ein möglichst schnelles Ende dieses Krieges sicherstellt.“
Krieg
Bei dem Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) am Donnerstag war auch NATO-Generalsekretär Rutte dabei, der vor Journalisten erklärte, was wichtigste Thema des Gipfels war:
„Unsere wichtigste Aufgabe heute ist es, die Sicherheit unseres Luftraums zu gewährleisten und alles zu tun, um sicherzustellen, dass die Ukraine auf dem Schlachtfeld bleibt, damit sie für den Tag, an dem hoffentlich die Friedensverhandlungen beginnen, in der bestmöglichen Position ist. Das ist die Stärke der EPG-Gipfel: Zusätzlich zu den NATO-Gipfeln treffen wir uns mit unseren Partnern auf EU-Gipfeln, um den weiteren Kurs zu planen.“
Der ungarische Ministerpräsident Orban widersprach dem und erklärte:
„Immer mehr Länder, wie auch Ungarn, haben das Gefühl, dass wir auf einen Krieg zusteuern und dass früher oder später Särge mit unseren jungen Männern nach Hause zurückkehren werden. Diese Gefahr wächst.“
EU-Beitritt der Ukraine
Orban sagte auch, er sei gegen die Aufnahme der Ukraine in die EU, da ein solcher Schritt „Krieg für die Europäische Union“ bedeuten würde. Schon am 30. August hatte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó erklärt, dass sein Land, um einen übereilten EU-Beitritt der Ukraine zu verhindern, der EU nicht erlauben werde, wichtige Kapitel ihrer Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu öffnen.
Beim EU-Gipfel am Mittwoch hat der Präsident des Europäischen Rates António Costa vorgeschlagen, für die Aufnahme der Ukraine in die EU das Vetorecht der Mitgliedsstaaten abzuschaffen, weil vor allem Ungarn die Verhandlungen mit Veto blockiert, solange Kiew nicht den ungarischen Forderungen nachkommt, zu denen unter anderem der Schutz der ungarischen Minderheit in der Ukraine vor zwangsweiser Ukrainisierung und die Respektierung der ungarischen Energiesicherheit, also die Lieferung von russischem Öl und Gas durch ukrainische Pipelines, gehören.
Nach geltendem EU-Recht erfordert die Eröffnung der Gespräche über weitere, sogenannte Kapitel der Beitrittsverhandlungen die einstimmige Zustimmung aller EU-Mitglieder. Das wollen Costa und von der Leyen ändern und das Vetorecht abschaffen. Costa möchte erreichen, dass eine qualifizierte Mehrheit für die Entscheidung über den ukrainischen EU-Beitritt ausreicht.
Allerdings wird das nur schwer durchzusetzen sein, weil auch einer Aufhebung des Vetorechts alle EU-Staaten zustimmen müssen. Dass Ungarn der Aufhebung seines Vetorechts zustimmt, damit die EU anschließend mit Mehrheit gegen den Willen Ungarns für die Aufnahme der Ukraine stimmen kann, ist kaum zu erwarten.
Mit seiner Ablehnung ist Ungarn übrigens nicht alleine. Auch das niederländische Parlament will an der Einstimmigkeitsregel bei der Aufnahme neuer EU-Mitglieder festhalten und auch Frankreich und Griechenland lehnen den Vorschlag des Ratspräsidenten ab und wollen das Vetorecht nicht aufgeben. Dabei habe der französische Präsident die Position von Viktor Orbán unterstützt.
„Drohnenmauer“
Auch der Aufbau der sogenannten „Drohnenmauer“ an der Grenze zu Russland war ein Thema der Gipfel, wobei hier der wichtigste Streitpunkt die Finanzierung ist. Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo hatte vorgeschlagen, die „Drohnenmauer“ aus dem EU-Haushalt zu finanzieren und alle EU-Länder an der Initiative zu beteiligen, was bei den EU-Staaten nicht auf Gegenliebe gestoßen ist, wie der Finne vor Journalisten erklärte:
„Ich sagte, die EU-Kommission müsse den gesamten aktuellen Haushalt analysieren und entscheiden, welche Posten gestrichen werden können. Es gab keine direkte Antwort auf diese Frage, aber die Notwendigkeit, in naher Zukunft Mittel zu finden, wurde in mehreren Reden angesprochen.“
Die „Drohnenmauer“ soll entlang der Grenze zu Russland aufgebaut werden, sie betrifft also vor allem Finnland, die baltischen Staaten und Polen. Daher lehnen es viele andere EU-Staaten ab, zugunsten der „Drohnenmauer“ auf ihnen aus Brüssel zugesagte Gelder zu verzichten. Laut finnischen Medien unterstützten daher nicht alle EU-Länder die Initiative des finnischen Ministerpräsidenten und die Frage der Finanzierung der „Drohnenmauer“ solle auf dem für den 23. Oktober in Brüssel geplanten EU-Gipfel erörtert werden.