18. Juli 2025

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Computer-Panne und die Folgen: 1.440 Lehrerjobs in BW jahrelang unbesetzt – Gewerkschaften sprechen von „Skandal“

 

Ist das ein Schildbürgerstreich? Über 20 Jahre fällt niemandem auf, dass in Baden-Württemberg hunderte Lehrerstellen unbesetzt sind. So reagiert das Kultusministerium.

1.440 freie Lehrerstellen in BW jahrelang unbesetzt – aus Versehen

Es ist kaum zu glauben: Über 20 Jahre lang hat das Kultusministerium in Baden-Württemberg unwissentlich hunderte Lehrerstellen nicht besetzt, obwohl das Geld dafür im Haushalt eingeplant war. Der Grund sollen Programmierfehler im Personal- und Stellenprogramm der Kultusverwaltung im Jahr 2005 gewesen sein, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung des Kultus- und Finanzministeriums. „Diese Fehler blieben seither unbemerkt.“ Erst durch ein Update des Programms Dipsy vor gut einer Woche sei aufgefallen, dass derzeit 1.440 Lehrerstellen nicht besetzt sind – das sind immerhin 1,5 Prozent aller Stellen. Sowohl im Finanz- als auch im Kultusministerium kann man sich nicht erklären, warum das über die Jahre nicht auffiel.

Über 1.400 Lehrerstellen nicht besetzt: Kultusministerin will schnelle Aufarbeitung

BW-Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) zeigte sich „schockiert und erschrocken“ über die Nachricht. Zum SWR sagte sie: „Jetzt gehen wir mit Volldampf ran.“ Man müsse aufarbeiten, wie die IT-Panne so lange unbemerkt bleiben konnte. Ein „Schuldiger“ lasse sich nicht so einfach finden, so Schopper.

Das große Anliegen des Kultusministeriums sei jetzt, drei Wochen vor den Sommerferien, der „Hochzeit der Stellenbesetzung“, die freien Lehrerstellen zu besetzen. „Wir haben die Bewerber, wir müssen das mit Hochdruck angehen, damit im Regierungspräsidium die Verträge fertiggemacht werden“, sagte Schopper.

Blitzaktion: Übersehene Lehrerstellen sollen im nächsten Jahr besetzt werden

Durch eine schnelle Nachbesetzung der fehlenden Stellen soll die Unterrichtsversorgung im nächsten Schuljahr deutlich verbessert werden. Laut Kultusministerium sollen vor allem die Schulen für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf (SBBZ) profitieren. Die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren sollen vor allem auch andere Fachkräfte einstellen können, da studierte Lehrerinnen und Lehrer in diesem Bereich Mangelware sind. Darüber hinaus soll die Krankheitsreserve über alle Schulen hinweg aufgestockt werden.

Viele fragen sich nun, was das für die vielen Jung-Lehrkräfte heißt, die keine Stelle am Gymnasium bekommen haben – was einen Aufschrei bei den Betroffenen ausgelöst hatte. Das Ministerium will ihnen vermehrt Stellen an Gemeinschafts- und Realschulen anbieten. Dadurch könne man die Lehrkräfte im Schulsystem halten und sie Anfang der 2030er Jahre – wenn am vollständig eingeführten G9 wieder größerer Bedarf herrscht – an die Gymnasien überführen.

Opposition will sich Bildungsministerin vorknöpfen

Die Landtagsfraktionen SPD und FDP haben laut eigenen Angaben eine Sondersitzung für die kommende Woche des Bildungsausschusses beantragt. „Die grün-geführte Landesregierung steht in der Pflicht, dem Parlament unverzüglich Rede und Antwort zu stehen“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Eine Einsetzung eines Untersuchungsausschusses würde die Fraktion nicht ausschließen.

Schopper müsse die bisherigen Erkenntnisse zur Datenpanne offenlegen, sagte der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei. Man wolle etwa wissen, wie es über 20 Jahre hinweg nicht habe auffallen können, dass sich keine real existierenden Lehrkräfte auf den Stellen befunden hätten.

Computer-Panne Grund für unbesetzte Leherstellen? Arbeitsgruppe soll auf Fehlersuche gehen

Die Ministerien wollen nun untersuchen, wie es zu der Fehlerkette kommen konnte. Die Vermutung: Bei der Übertragung der Daten zehntausender Lehrerinnen und Lehrer im Landesamt für Besoldung und Versorgung in ein neues Computersystem habe es einen Programmierfehler gegeben.

In Dipsy – eine Abkürzung für Dialogisiertes, personalisiertes Personalverwaltungssystem – würden zehntausende Daten über die gut 95.000 Lehrkräfte in BW bearbeitet, zum Beispiel Teilzeitanträge oder Beurlaubungen. Die Ministerien haben nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die auf Fehlersuche gehen will. Dafür wollen die Ressorts auch den Landesrechnungshof einschalten.

Regierung versichert: Kein finanzieller Schaden entstanden

Das Finanzministerium versicherte, durch die Panne sei kein finanzieller Schaden entstanden. Da die Stellen nicht besetzt wurden, sei auch kein Geld abgeflossen. In der Regierung sei man sich nun einig, dass die 1.440 Stellen vollständig nachbesetzt werden sollen. Der finanzielle Gegenwert wird auf etwa 120 Millionen Euro geschätzt.

Wie groß war die Ersparnis über 20 Jahre?

Wie groß die unfreiwillige Ersparnis über die vergangenen 20 Jahre nun war, kann die Regierung derzeit noch nicht beantworten. Es wird vermutet, dass sich die Zahl der fehlenden Lehrerstellen nach und nach aufgebaut und nicht gleich bei 1.440 Stellen gelegen hat. Insofern ist die Regierung derzeit noch nicht in der Lage, die Ersparnis zu beziffern.

Wie konnten so viele unbesetzte Lehrerstellen nicht auffallen? Ex-Kultusminister Stoch zeigt sich erstaunt

Der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch war von 2013 bis 2016 selbst drei Jahre Kultusminister in Baden-Württemberg – in der grün-roten Koalition unter Winfried Kretschmann. Dass auch in seiner Amtszeit hunderte von Lehrerstellen im Verborgenen schlummerten, von denen er bis heute nichts gewusst hat, sorgt bei dem SPD-Politiker für ungläubiges Staunen: „Im ersten Moment ist man schockiert, weil man sich fragt, wie konnte ein Fehler so lange unentdeckt bleiben“, so Stoch. Man erhalte als Kultusminister ja keine Liste von allen 115.000 Lehrkräften und kontrolliere, ob auf jeder Stelle ein Mensch sitze, sagte Stoch. Aber: „Warum merkt man nicht, dass in jedem Jahr etwa 120 Millionen Euro übrig bleiben?“ In Baden-Württemberg gibt es an öffentlichen Schulen etwa 95.000 Lehrkräfte, dazu kommen etwa 20.000 an Privatschulen.

Der FDP-Landeschef Hans-Ulrich Rülke sagte dem SWR am Mittwoch, es sei ein „unglaublicher Skandal, dass so etwas möglich ist und das offensichtlich weder im Kultus- noch im Finanzministerium jemand das merkt“. Das bedeute, dass die Lehrerstellen jetzt so schnell wie möglich besetzt werden müssen.

„Zu einer bundesweiten Lachnummer geworden“: Henning Otte aus der SWR Redaktion Landespolitik mit seiner Meinung zur Computer-Panne im Kultusministerium:

Blitzaktion: Übersehene Lehrerstellen sollen im nächsten Jahr besetzt werden

Durch eine schnelle Nachbesetzung der fehlenden Stellen soll die Unterrichtsversorgung im nächsten Schuljahr deutlich verbessert werden. Laut Kultusministerium sollen vor allem die Schulen für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf (SBBZ) profitieren. Die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren sollen vor allem auch andere Fachkräfte einstellen können, da studierte Lehrerinnen und Lehrer in diesem Bereich Mangelware sind. Darüber hinaus soll die Krankheitsreserve über alle Schulen hinweg aufgestockt werden.

Viele fragen sich nun, was das für die vielen Jung-Lehrkräfte heißt, die keine Stelle am Gymnasium bekommen haben – was einen Aufschrei bei den Betroffenen ausgelöst hatte. Das Ministerium will ihnen vermehrt Stellen an Gemeinschafts- und Realschulen anbieten. Dadurch könne man die Lehrkräfte im Schulsystem halten und sie Anfang der 2030er Jahre – wenn am vollständig eingeführten G9 wieder größerer Bedarf herrscht – an die Gymnasien überführen.

Opposition will sich Bildungsministerin vorknöpfen

Die Landtagsfraktionen SPD und FDP haben laut eigenen Angaben eine Sondersitzung für die kommende Woche des Bildungsausschusses beantragt. „Die grün-geführte Landesregierung steht in der Pflicht, dem Parlament unverzüglich Rede und Antwort zu stehen“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Eine Einsetzung eines Untersuchungsausschusses würde die Fraktion nicht ausschließen.

Schopper müsse die bisherigen Erkenntnisse zur Datenpanne offenlegen, sagte der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei. Man wolle etwa wissen, wie es über 20 Jahre hinweg nicht habe auffallen können, dass sich keine real existierenden Lehrkräfte auf den Stellen befunden hätten.

Computer-Panne Grund für unbesetzte Leherstellen? Arbeitsgruppe soll auf Fehlersuche gehen

Die Ministerien wollen nun untersuchen, wie es zu der Fehlerkette kommen konnte. Die Vermutung: Bei der Übertragung der Daten zehntausender Lehrerinnen und Lehrer im Landesamt für Besoldung und Versorgung in ein neues Computersystem habe es einen Programmierfehler gegeben.

In Dipsy – eine Abkürzung für Dialogisiertes, personalisiertes Personalverwaltungssystem – würden zehntausende Daten über die gut 95.000 Lehrkräfte in BW bearbeitet, zum Beispiel Teilzeitanträge oder Beurlaubungen. Die Ministerien haben nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die auf Fehlersuche gehen will. Dafür wollen die Ressorts auch den Landesrechnungshof einschalten.

Regierung versichert: Kein finanzieller Schaden entstanden

Das Finanzministerium versicherte, durch die Panne sei kein finanzieller Schaden entstanden. Da die Stellen nicht besetzt wurden, sei auch kein Geld abgeflossen. In der Regierung sei man sich nun einig, dass die 1.440 Stellen vollständig nachbesetzt werden sollen. Der finanzielle Gegenwert wird auf etwa 120 Millionen Euro geschätzt.

Wie groß war die Ersparnis über 20 Jahre?

Wie groß die unfreiwillige Ersparnis über die vergangenen 20 Jahre nun war, kann die Regierung derzeit noch nicht beantworten. Es wird vermutet, dass sich die Zahl der fehlenden Lehrerstellen nach und nach aufgebaut und nicht gleich bei 1.440 Stellen gelegen hat. Insofern ist die Regierung derzeit noch nicht in der Lage, die Ersparnis zu beziffern.

Wie konnten so viele unbesetzte Lehrerstellen nicht auffallen? Ex-Kultusminister Stoch zeigt sich erstaunt

Der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch war von 2013 bis 2016 selbst drei Jahre Kultusminister in Baden-Württemberg – in der grün-roten Koalition unter Winfried Kretschmann. Dass auch in seiner Amtszeit hunderte von Lehrerstellen im Verborgenen schlummerten, von denen er bis heute nichts gewusst hat, sorgt bei dem SPD-Politiker für ungläubiges Staunen: „Im ersten Moment ist man schockiert, weil man sich fragt, wie konnte ein Fehler so lange unentdeckt bleiben“, so Stoch. Man erhalte als Kultusminister ja keine Liste von allen 115.000 Lehrkräften und kontrolliere, ob auf jeder Stelle ein Mensch sitze, sagte Stoch. Aber: „Warum merkt man nicht, dass in jedem Jahr etwa 120 Millionen Euro übrig bleiben?“ In Baden-Württemberg gibt es an öffentlichen Schulen etwa 95.000 Lehrkräfte, dazu kommen etwa 20.000 an Privatschulen.

Der FDP-Landeschef Hans-Ulrich Rülke sagte dem SWR am Mittwoch, es sei ein „unglaublicher Skandal, dass so etwas möglich ist und das offensichtlich weder im Kultus- noch im Finanzministerium jemand das merkt“. Das bedeute, dass die Lehrerstellen jetzt so schnell wie möglich besetzt werden müssen.

„Zu einer bundesweiten Lachnummer geworden“: Henning Otte aus der SWR Redaktion Landespolitik mit seiner Meinung zur Computer-Panne im Kultusministerium:

IT-Panne und die Folgen: Lehrergewerkschaft GEW spricht von „Skandal“

Die Gewerkschaften sind empört über die Panne und erwarten, dass die Schulen nun schnell besser versorgt werden. „Seit Jahren mussten Lehrkräfte jonglieren, um den Pflichtunterricht einigermaßen sicherzustellen, seit Jahren werden Kinder und Jugendliche früher nach Hause geschickt, weil Unterricht ausfällt und nicht vertreten werden kann“, sagte Monika Stein, Landeschefin der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die GEW-Chefin erwartet eine transparente Aufarbeitung und Entschuldigung der Landesregierung bei den Schülern, Eltern und Lehrkräften. „Aus diesem Skandal muss sofort das Beste gemacht werden und die gute Nachricht für die Schulen muss sofort spürbar werden.“ Man wolle, dass die SBBZ, die Grundschulen und die ständige Vertretungsreserve vorrangig versorgt werden. Allein im sonderpädagogischen Bereich fehlten landesweit 1.300 Stellen.

Auf dem Instagram-Kanal von SWR Aktuell wird über die wieder aufgetauchten Lehrerstellen rege diskutiert: „Es ist bitter, dass man uns 2003 gesagt hat, wir sollen unser Lehramtsstudium lieber abbrechen und etwas anderes studieren, da es nicht genug Arbeitsplätze für uns gäbe“, schreibt eine Userin. „Ohne Worte. Warum wird das nicht bemerkt, wenn sogar die Haushaltsmittel bereitstehen“, meint ein anderer User.

VBE beklagt ein Trauerspiel für das Hightech-Land „The Länd“

Gerhard Brand, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), erinnerte daran, dass die Gewerkschaft seit über 20 Jahren auf den Mangel von Lehrkräften hinweise. „Es ist bitter für die Kolleginnen und Kollegen nun zu erfahren, dass unzählige Überstunden und Krankheitsvertretungen hätten vermieden werden können, wenn das Land seine Aufgaben sorgfältig ausgeführt hätte.“ Er frage sich, „warum bei der Programmierung keine Kontroll- und Plausibilitätsroutinen hinterlegt“ seien? Es sei ein „Trauerspiel für das Hightech Land The Länd“. Brand ergänzte: „Das Land erwartet von uns, dass wir einen guten Job machen, das erwarten wir auch vom Land.“

Forderung: Nicht genutztes Geld muss an Schulen fließen

Er erwartet, dass die Landesregierung das gesparte Geld nun komplett in Bildung investiert. Nötig sei „eine vollumfängliche Zuführung der nicht abgeflossenen Mittel an die Schulen.“ Auch GEW-Chefin Stein sagte: „Jeder Euro, der in den vergangenen Jahren auf Kosten der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Lehrkräfte nicht an die Schulen geflossen ist, muss für die dringend nötigen Investitionen wie Ganztagesausbau, Inklusion und bessere Förderung zurückgezahlt werden.“

Der Philologenverband Baden-Württemberg sprach in einer Stellungnahme davon, dass jetzt aus Leerstellen schnell Lehrstellen werden müssten. „Im kommenden Schuljahr darf keine dieser Stellen weiterhin unbesetzt bleiben“, so die Landesvorsitzende Martina Scherer. Der Verband bezeichnete es als „Skandal“, dass nicht bemerkt wurde, dass die Anzahl der besoldeten Lehrkräfte und die Anzahl der Stellen im Verwaltungsprogramm in einem solchen Maße nicht übereingestimmt hätten. Die Fragen, ob das keiner bemerkt habe oder ob die Gelder anderweitig verwendet worden seien, müsste die Landesregierung in nächster Zeit beantworten, forderte Scherer weiter.

Die Nachricht über die fehlenden Stellen hätte sie nicht überrascht, so der Verband weiter. „Wir haben uns schon immer über den Gegensatz zwischen gefühlter Unterversorgung in der Realität auf der einen und der angeblichen Überversorgung auf dem Papier auf der anderen Seite gewundert“, so Scherer.

 

 

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/lehrerstellen-unbesetzt-wegen-computer-problemen-100.html