Offenbar lieben Gymnasiasten in Schweden das praktische wirtschaftliche Denken wesentlich mehr als jene in Deutschland. Statt Scharen von Theoretikern auszubilden, wird in Schweden auf echte Erfahrungen im Unternehmertum gesetzt. Junges Unternehmertum heißt das „Zauberwort“. In Deutschland nahmen am äquivalenten Projekt auffallend weniger Schüler teil.
Nicht nur während der Corona-Pandemie ging das skandinavische Land Schweden im Vergleich zu Deutschland einen erfolgreichen Sonderweg mit moderaten Maßnahmen der Regierung.
Auch im Bereich des Schulwesens verfolgt das Königreich einen vielversprechenden Ansatz mit Bezug zum praktischen Unternehmertum. Die schwedische Initiative Ung Företagsamhet (Junges Unternehmertum) ist landesweit an vielen Gymnasien zu finden, je nach Ausrichtung der Programme als Pflicht- oder Wahlfach. Dabei handelt es sich um ein Jahresprojekt zur Gründung eines (UF-)Unternehmens, dessen Führung und gegebenenfalls dessen Auflösung am Ende des Schuljahres.
Die Schüler sollen dadurch klassisches Unternehmertum in der Praxis kennenlernen und Fähigkeiten wie Verantwortungsbewusstsein, Risikobereitschaft und Entscheidungsfindung, lösungsorientiertes Denken, Verhandlungsgeschick und Teamarbeit herausbilden. Es soll auch der Umgang mit Kritik geübt werden, mit Erfolg und Misserfolg.
UF (Ung Företagsamhet, dt.: Jungunternehmertum) ist der schwedische Ableger (Junior Achievement Sweden, JA) des globalen Netzwerkes JA Worldwide. Die 1919 in Springfield, USA, als Boys‘ and Girls‘ Bureau of the Eastern States gegründete Jugendorganisation ist eine politisch unabhängige, gemeinnützige und marktwirtschaftlich orientierte Bildungsorganisation.
Bei UF in Schweden heißt es: „Jeder dritte Schüler, der heute die gymnasiale Oberstufe abschließt, hat ein UF-Unternehmen geführt, und insgesamt haben seit unserer Gründung im Jahr 1980 über 640.000 Gymnasiasten UF-Unternehmen geführt.“ Darüber hinaus besteht ein UF-Alumni-Netzwerk, „das jungen Unternehmern und ehemaligen UF-Unternehmern persönliche Entwicklung, Wachstumsmotivation und ein einzigartiges Kontaktnetzwerk bietet“.
Doch auch an sechs von zehn schwedischen Grundschulen (bis Klasse 9) ist die UF schon präsent, „wo wir Schülern und Lehrern unsere Lehrmaterialien, Ausbildungskonzepte, Schulungen und inspirierende Begegnungen anbieten“.
Doch wie wirkt sich das letztlich aus?
„Untersuchungen zeigen, dass Schüler, die UF-Unternehmen geführt haben, nach der Schule bessere Chancen haben. Sie finden häufiger einen Job, sind seltener arbeitslos und gründen häufiger ein eigenes Unternehmen mit mehr Mitarbeitern.“ Ebenso fanden Untersuchungen heraus, dass UF-Unternehmertum „Ungleichheiten im Klassenzimmer reduziert und die unternehmerischen Fähigkeiten junger Menschen stärkt“.
In einem Facebook-Statement vom 5. Oktober schickte UF den über 20.000 am Projekt beteiligten Lehrern in Schweden anlässlich des Weltlehrertages „ein großes Herz“ mit „etwas Extra-Liebe“ und schrieb:
„Vielen Dank, dass Sie Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihren kreativen Ideen freien Lauf zu lassen, Fähigkeiten wie Teamfähigkeit, Verantwortungsübernahme, Problemlösung und gestärktes Selbstvertrauen zu entwickeln – und dass Sie ihnen bereits heute und für die Zukunft bessere Möglichkeiten eröffnen. Vielen Dank, dass Sie jeden Tag etwas bewegen – für eine positive gesellschaftliche Entwicklung und für eine Gesellschaft, in der alle jungen Menschen ihre Unternehmungslust (oder: ihren Unternehmergeist) entwickeln können.“
In Deutschland deutlich weniger Teilnehmer zu begeistern
In Deutschland ist das Netzwerk unter JA Germany oder auch IW JUNIOR gGmbH bekannt, einer Tochtergesellschaft des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V. (IW Köln). Deren Ziel ist es nach eigenen Angaben, junge Menschen „die Wirtschaftswelt von morgen mutig und aktiv mitgestalten (zu) lassen“.
Solche Projekte erreichen durch Schülerfirmen oder Arbeitsgemeinschaften (AGs) jedoch wesentlich weniger Schüler im Vergleich zu Schweden. Die Juniorprogramme des IW Köln wurden 1994 ins Leben gerufen. Seither wurden 12.000 Schülerfirmen gegründet.
Ein einfacher Vergleich mit Schweden: Im Schuljahr 2024/2025 besuchen rund 372.000 Schüler die gymnasiale Oberstufe. Laut UF nahmen in diesem Schuljahr 40.892 Gymnasiasten an dem Projekt teil und gründeten 12.861 UF-Unternehmen. Das bedeutet eine Teilnehmerquote von elf Prozent.
In Deutschland kämen für solche Programme knapp 2,3 Millionen Berufsschüler und 0,9 Millionen Schüler der Sekundarstufe II infrage – nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz. Von diesen 3,2 Millionen Schülern nahmen über 10.000 im aktuellen Schuljahr an Firmengründungen mit IW JUNIOR teil; eine Quote von rund 0,3 Prozent.
Der Vergleich zu Schweden ist auffallend. Allerdings gibt es relevante Konkurrenz in Deutschland: den Deutschen Gründerpreis für Schüler (DGPS), ein Theorieprojekt mit aktuell 3.200 Teilnehmern, Jugend gründet (Jg), ein Simulationsspiel mit 5.900 Teilnehmern, und Business@School (B@S), ein Analyse- und Planspiel mit mehr als 1.000 Teilnehmern.
Insgesamt kommen diese drei Theorieprojekte auf über 10.100 Teilnehmer oder 0,325 Prozent Teilnehmerquote. Es ist deutlich zu sehen, dass selbst alle vier Theorie- und Praxisprojekte zusammengenommen weit hinter dem schwedischen Engagement zurückliegen.
Symbolbild.
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Flächendeckende Ausbildung zum Theoretiker
Das Problem ist nicht neu. Im Mai 2021 stellte das Institut für Ökonomische Bildung (IÖB) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in einer Studie im Auftrag der Flossbach von Storch Stiftung ein „Schlechtes Zeugnis für die Ökonomische Bildung in Deutschland“ aus.
Die Erkenntnisse gingen in einen OE-Index ein. Der wissenschaftliche Leiter des IÖB, Dirk Loerwald, bestätigte, dass die Defizite an den Gymnasien am größten seien: „Verglichen mit anderen Nebenfächern wird die ökonomische Bildung in Deutschland stiefmütterlich behandelt.“ Die Erkenntnisse wurden im Index zur ökonomischen Bildung (OeBiX) festgehalten.
Zwei Jahre später, im November 2023, stellte Prof. Dr. Loerwald in einem Interview mit dem Campus Schulmanagement Magazin für Schulleitungen und Führungskräfte im Bildungsbereich fest: „Wir sind in Deutschland weit von einer flächendeckenden Lösung für wirtschaftliches Basiswissen entfernt.“
Wirtschaft werde in Deutschland als Integrationsfach behandelt und in zwei Varianten gelehrt: Wirtschaft mit Politik und Soziologie – die Makroperspektive – und auf berufliche Orientierung und Ausbildung fokussiert. Finanzielle Bildung, Verbraucherperspektiven sowie Entrepreneurship Education und Unternehmertum seien aber wenig zu finden.
Loerwald konstatiert: In Deutschland sei „Wirtschaft […] das Nebenfach unter den Nebenfächern“.
Trotz Wirtschaftsmacht: Deutsche im Schnitt „ärmer“ als Schweden
In Deutschland wird von Kritikern oft bemängelt, dass die Politik in den letzten Jahren zu wenig wirtschaftsorientiert agiert habe. Hohe Energiekosten, ausufernde Regulierung und Bürokratie machen das Land zunehmend unattraktiv, insbesondere für energieintensive Industrien. Folgen sind mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit und sinkende Investitionsbereitschaft in den Standort Deutschland.
Obwohl Deutschland Europas stärkste Wirtschaftsmacht und weltweit die viertgrößte Volkswirtschaft ist, ist der materielle Wohlstand der Bevölkerung – und dieser hängt vor allem von der Wirtschaftskraft ab – in Europa „lediglich“ auf Platz 13 (44.109 US-Dollar, nominales BIP pro Kopf) beziehungsweise was die tatsächliche Kaufkraft betrifft auf Platz 12 (62.830 US-Dollar pro Kopf, BIP KKP).
Zum Vergleich: Schweden liegt auf Platz 7 (54.916 US-Dollar) beziehungsweise auf Platz 10 (63.259 US-Dollar). Angesichts von Konjunkturtief und Investitionskrisefordert Wirtschaftsministerin Reiche (CDU): „Wir müssen kämpfen!“