18. Juli 2025

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Finanznot der BW-Kommunen: Landkreise warnen vor „Niedergang ohnegleichen“

 

Eigentlich gehört BW zu den reichen Bundesländern. Doch bei den hiesigen Kommunen schlägt die Krise jetzt so richtig durch. Kann die Landesregierung ihnen unter die Arme greifen?

Die Finanznot erfasst immer mehr Kommunen in Baden-Württemberg. 31 der 35 Landkreise schreiben rote Zahlen. Das geht aus dem Jahresbericht des Landkreistags zur finanziellen Lage hervor, der dem SWR vorliegt.

25 von den angeschlagenen Landkreisen können demnach noch auf ihre Rücklagen zurückgreifen, um das Minus auszugleichen. Doch bei sechs Landkreisen sei nichts mehr übrig, sie müssten neue Schulden aufnehmen oder Investitionen zurückfahren. Der Kommunalverband geht davon aus, dass sich die Situation bis Jahresende noch verschärft und ein Minus von über 110 Millionen Euro zusätzlich aufläuft.

Landkreistags-Chef sieht Kommunen am „Kipppunkt“

Landkreistagspräsident Joachim Walter sieht die Kommunen an einem „Kipppunkt“. Der CDU-Politiker sagte dem SWR: „Für uns in Baden-Württemberg ist eine solch desaströse Finanzlage etwas noch nie Dagewesenes.“ Land und Bund müssten nun dringend dafür sorgen, dass Kreise, Städte und Gemeinden genügend Geld hätten, um ihren Aufgaben nachzukommen. „Oder die kommunale Selbstverwaltung, wie sie Deutschland über Jahrzehnte hinweg erfolgreich geprägt hat, wird einen Niedergang ohnegleichen erleben.“

Krisentreffen mit Landesregierung am Freitag

Walter hält Kürzungen für nicht mehr ausgeschlossen: „Wenn den Landkreisen in ihrer massiven Finanznot nicht geholfen wird, dürfte es dramatische Einschnitte im Öffentlichen Personennahverkehr geben. Denn die Landkreise haben nur wenige freiwillige Aufgaben und der Nahverkehr ist die einzige Freiwilligkeitsleistung mit substanziellem Einsparpotenzial.“ Darüber hinaus müssten alle verbliebenen Freiwilligkeitsleistungen im sozialen und kulturellen Bereich „radikal hinterfragt“ werden, wie zum Beispiel die Unterstützung der Jugendarbeit oder die Sportförderung.

Zwei Monate nach dem ersten Krisentreffen der Kommunen mit der grün-schwarzen Landesregierung gibt es nach SWR-Informationen am kommenden Freitag das nächste Gespräch. Dabei soll auch geklärt werden, welchen Anteil Kreise, Städte und Gemeinden am Sondervermögen des Bundes für Investitionen erhalten. Baden-Württemberg bekommt aus diesem Topf gut eine Milliarde Euro im Jahr. Womöglich orientiert man sich an Schleswig-Holstein, das als erstes Bundesland einen Verteilschlüssel festgelegt hatte, nämlich 62,5 Prozent für die Kommunen und 37,5 Prozent für das Land.

Kostensteigerungen im Sozialbereich, bei Kliniken und Nahverkehr

Neben der Wirtschaftskrise und dem Einbruch der Steuereinnahmen beklagt der Landkreistag vor allem Kostensteigerungen im Sozialbereich, die Bund und Land nicht genügend abfederten. Walter nannte insbesondere die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung und die Versorgung und Integration von Geflüchteten. Hinzu komme die dramatische Lage der Krankenhäuser und der hohe Zuschussbedarf für den öffentlichen Nahverkehr mit Bussen und Bahnen. Am stärksten betroffen sind folgende sechs Kreise: Main-Tauber-Kreis, Rems-Murr-Kreis, Calw, Freudenstadt, Rhein-Neckar-Kreis und Lörrach.

Kommunen wollen höheren Anteil von Mehrwertsteuer

Walter forderte die schwarz-rote Bundesregierung auf, den Kommunen mehr Geld von den Steuereinnahmen zukommen zu lassen. „Was es jetzt dringend braucht, ist eine Umverteilung von Umsatzsteuerpunkten zugunsten der Kommunen. Die Verdreifachung des kommunalen Umsatzsteueranteils ist dringend geboten.“ Nach den jüngsten veröffentlichten Zahlen des Landesfinanzministerium lag der Anteil der BW-Kommunen an der Umsatzsteuer im Jahr 2023 bei rund 1,1 Milliarden Euro. Eine Verdreifachung wäre also ein Plus von etwa 2,2 Milliarden Euro pro Jahr.

Walter pocht auf Finanzhilfen des Landes

Ob die schwarz-rote Bundesregierung jedoch eine solche Erhöhung beschließt, wird in der Koalition BW stark angezweifelt. Der Chef des Landkreistags fordert auch kurzfristige Finanzhilfen des Landes. Der Tübinger CDU-Landrat hat schon mehrfach an das Land appelliert, über einen Nachtragshaushalt neue Schulden zugunsten der Kommunen aufzunehmen.

Mitte Mai hatte die grün-schwarze Landesregierung den Kommunen eine erste Hilfe zugesagt. Es wurden Zahlungen aus dem Kommunalen Finanzausgleich in Höhe von etwa drei Milliarden Euro vorgezogen, um Städten, Gemeinden und Kreisen Luft zu verschaffen. Die Regierung zahlte das Geld schon im Juni aus und nicht erst im September. Die Kommunen nannten das eine „Überbrückungshilfe“.

Gemeindetag: Beweis für einen akuten Systemfehler

Der Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, Steffen Jäger, teilte mit, dass die Kommunalfinanzen weiterhin „in einer beängstigenden Talfahrt“ seien. „Nach einem Defizit der baden-württembergischen Städte, Gemeinden und Landkreise von 3,1 Milliarden Euro im Jahr 2024 verzeichnen die Kommunen allein im ersten Quartal 2025 ein neues Minus von 2,4 Milliarden Euro.“ Das sei nicht mehr nur ein Warnsignal, sondern der Beweis für einen akuten Systemfehler, so Jäger.

 

 

 

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/finanznot-bei-kommunen-100.html