Wir kennen seit Jahren eine wachsende Flut von Studien aus immer abseitigeren Fachgebieten, die auf der Verrechnung und Simulation von unbrauchbaren Daten beruhen.
Vorreiter waren die Sozialwissenschaften, die von Beginn an außer Schwurbeleien bestenfalls Ergebnisse von Umfragen präsentierten. Inzwischen ist die manipulative Verrechnung subjektiver Befindlichkeiten, missgedeuteter oder virtueller Rohdaten auch in anderen Fächern akzeptierter Standard. Beispielhaft ist eine aktuelle Veröffentlichung, die gezeigt haben will, dass römische Besatzungstruppen hierzulande ein bleibendes psychologisches Erbe hinterlassen hätten.i
Zuerst hielten wir die Schlagzeile für einen Aprilscherz. Die in mehreren Mainstream-Medien verbreitete Mär führte allerdings auf die wissenschaftliche Veröffentlichung eines Instituts der Universität Jena zurück. In einer beim Wissenschaftsverlag Elsevier erschienenen Studie behaupten die Autoren einen kausalen Zusammenhang zwischen heutigem Wohlbefinden im „besten Deutschland aller Zeiten“ und der Präsenz von Römern vor knapp 2000 Jahren! Laut dem Studienteam wären Deutsche, die in ehemals römischen Kolonialgebieten leben, zufriedener als im einst unbesetzten Germanien.
Basis dieses verstörenden Zusammenhangs waren psychologische Daten zu Gesundheitszustand und Lebenserwartung sowie Fragebögen zu Persönlichkeitseinstufungen von über 70.000 Menschen über 12 Jahre. Südwestlich des behaupteten Limes seien die Menschen heute durchschnittlich zufriedener, gesünder und lebten länger als nördlich davon:
Kartierung von Neurotizismus (Emotionskontrolle) und Lebenserwartung in Relation zum „Limes“ (gestrichelte weiße Linie)
Die Studiengruppe will daraus einen „psychologischen Langzeiteffekt des römischen Erbes“ ableiten. Eine Römerpräsenz würde über viele Generationen den Wohlstand fördern. „Der Limeswall“ wäre die Grenze „zwischen einer der fortschrittlichsten und einflussreichsten Zivilisationen der Geschichte und den vergleichsweise unterentwickelten germanischen Stämmen“ gewesen. Darauf hätte die Bevölkerung aufbauen und wirtschaftliche Vorteile bis heute generieren können. Eine andere Studiengruppe hatte 2017 bereits behauptet, dass noch heute die nächtliche Helligkeit südwestlich des Limes Folge einer höheren Wirtschaftsaktivität durch die römische Besatzung wäre.ii So weit, so abwegig.
Um andere Einflussfaktoren aus knapp 2000 Jahren zwischen heutiger Befindlichkeit und den gemutmaßten Römern nicht ganz zu vernachlässigen, hat man auch noch die zeitweilige Besetzung deutscher Staaten durch Napoleon Bonaparte (1803-12), die französische Besetzung nach dem Zweiten Weltkrieg und die Grenzziehung zwischen BRD und DDR (1961-89) als „Kontrollgruppen“ getestet. Sonst hätte sich für die Autoren scheinbar in den letzten Jahrhunderten nichts Nennenswertes in Germanien ereignet. Die Eroberung durch skandinavische Ritter und katholische Mönchsorden, jahrhundertelange Aufspaltung der Bevölkerung in Katholiken und Protestanten, politische Grenzen vor Begründung des Deutschen Reiches, Industrialisierung und Eisenbahnbau, Weingegenden, Binnenmigration – alles kein Thema.
Dumm, dass der inzwischen bereits heftig wackelnde Limes selbst in der orthodoxen Geschichtswissenschaft nicht mehr als Eiserner Vorhang gilt, wo südwestlich die zivilisierten Römer und nordöstlich die primitiven Germanen gelebt hätten. Infolge steten Handels wird längst kein Zivilisationsgefälle mehr behauptet. Immer mehr „Römerkastelle“ lassen sich nicht von „Keltenschanzen“ unterscheiden. Über 90% der süddeutschen Keltenschanzen sind südlich des „Limes“ lokalisiert. Bodenfunde zeigen auf beiden Seiten des „Limes“ dieselben Keramiken und Metallfunde. Und unsere Recherchen belegen nun, dass die vermeintliche Grenzanlage „Limes“ die längste Zeit ein Handelsweg war. (vgl. Reuther G: Tatort Vergangenheit. Engelsdorfer Verlag 2025) Gar nicht davon zu reden, dass der Verlauf des „Limes“ in den letzten 300 Jahren unterschiedlich definiert wurde.
Wie hätte selbst eine zeitweilige Militärgrenze, die seit etwa 1700 Jahren nicht mehr besteht, überhaupt körperliche und geistige Gesundheit der Nachkommen beeinflussen können? Nicht einmal für die sechs bis sieben Generationen einer vermuteten römischen Besatzung hätte es eine strikte Bevölkerungstrennung gegeben. Sowohl südwestlich, als auch nördlich der Handelstrasse „Limes“ lebten immer Keltogermanen, auch wenn sie südwestlich zeitweilig eine kleine römische Oberschicht versorgt haben sollten. Kulturelle und technische Errungenschaften der Römer jenseits des Militärs hätte es ohnehin nicht gegeben. Keramik wurde vor Ort oder in Gallien produziert. Die besten Metallwaren stellten die Noriker her. Die Pferde entstammten keltogermanischen Beständen und die „Römerstraßen“ lassen sich längst auf keltogermanische Fernhandelsrouten zurückführen.
Die Studie ist ein Musterbeispiel für den Unfug, der durch die neugeschaffenen Fachbereiche entsteht, nachdem man die klassischen Kernfächer atomisiert hat. „Business Dynamics“ sucht gesellschaftliche Umbrüche unabhängig von deren Faktizität, um Korrelationen zu konstruieren. Unreflektiert wird jede schwache Korrelation nach Belieben zu einer Kausalität erklärt, wenn es passt.
Relevanter wäre eine Aufarbeitung der zeitweiligen Wiederholung der deutsch-deutschen Bevölkerungsteilung auf Inzidenzkarten für „Covid-19“. Im Jahr 2020 hätte man daraus eine erhöhte Krankheitsresistenz der ehemaligen DDR-Bürger ableiten können. Als 2021 wegen mangelnder Impfakzeptanz im Osten die PCR-Tests ausgeweitet und „Fälle“ herbeigetestet wurden, kehrte sich die Krankheitsinzidenz um. Die Lehren aus solchen Pseudokorrelationen wollen heutige Fake-Wissenschaftler an den Universitäten aber nicht ziehen.
Referenzen:
i Obschonka M et al.: Roma Eterna? Roman Rule Explains Regional Well-Being Divides in Germany. Current Research in Ecological and Social Psychology 2025; 8:1-15
ii Wahl F: Does European Development have Roman roots? Evidence from the German Limes. J. Econ. Growth 2017; 22(3):313–49
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