Das Pandemieabkommen der WHO ist eine gesundheitspolitische Zäsur: Die Mitgliedstaaten stimmen Bioüberwachungsmaßnahmen und Arzneimittelabgaben an Entwicklungsländer zu – auf Steuerzahlerkosten. Die Grundlagen dafür bleiben oft unklar.
Mehr Verpflichtungen, mehr Tests, mehr Überwachung: So lässt sich das auf der 78. Weltgesundheitsversammlung (WHA) angenommene Pandemieabkommen zusammenfassen. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, gratulierte am Dienstag allen WHO-Mitgliedstaaten „zu ihrem Engagement, ihre Bürger und die Welt sicher zu halten. Was für ein Moment in der Geschichte der globalen Gesundheit“, hielt der WHO-Chef fest.
In der Tat ist das Abkommen, das seit 2021 entwickelt und zwischenzeitlich inoffiziell auch als Vertrag gehandelt worden war, eine Zäsur in der gesundheitspolitischen Geschichte der Vereinten Nationen und ihrer 194 Mitgliedstaaten. Eine dafür vorgesehene Arbeitsgruppe erarbeitete in den vergangenen Jahren unter Einbindung aller Mitgliedstaaten das Abkommen, das im Fall künftiger Pandemien für klare organisatorische Abläufe und Kompetenzen sorgen und Präventivmaßnahmen fördern soll.
Eine erste Version sollte bereits 2024 angenommen werden – das wurde auf der Weltgesundheitsversammlung damals noch abgelehnt. Vor allem kleinere und ärmere Länder des Globalen Südens forderten weitere Zugeständnisse der westlichen Industrienationen. Eine neue Fassung des Abkommens wurde daraufhin erarbeitet und jetzt angenommen. Während dadurch das Ausmaß der Bioüberwachungsmaßnahmen einerseits deutlich wird, können vor allem Entwicklungsländer von dem neu erarbeiteten Vorschlag profitieren.
Steuergeld für Entwicklungsländer
Das ist dem finalen Entwurf vom 16. April zu entnehmen, auf den sich die Arbeitsgruppe einigen konnte. Bereits in der Einleitung heißt es, weil es qualitative Unterschiede bei der Pandemieprävention verschiedener Länder gebe, bräuchte es die „Unterstützung durch internationale Kooperationen“, was vor allem die „Unterstützung von Staaten mit größeren Kapazitäten und Ressourcen“ meint. Darunter fallen auch menschliche, finanzielle, logistische, technologische und digitale „Gesundheitsressourcen. Von solchen internationalen Kooperationen sollen also vor allem Entwicklungsländer profitieren.
Generell erkennen alle Mitgliedstaaten an, dass ein entschlossenes Handeln zur Verhinderung weiterer Pandemien notwendig sei. Die Medikamentenverfügbarkeit soll deswegen auch dadurch verbessert werden, dass neue Produktionskapazitäten geschaffen werden – wieder vor allem in Entwicklungsländern.
Und auch von bereits hergestellten Produkten sollen ärmere Staaten profitieren: Jede Vertragspartei solle in Erwägung ziehen, „einen Teil ihrer Gesamtbeschaffung zurückzustellen oder andere notwendige Vorkehrungen zu treffen“, um gegebenenfalls ärmere Länder zu unterstützen, „für die es schwierig ist, den Bedarf und die Nachfrage im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu decken“.
Neben den – letztlich vermutlich durch den Steuerzahler finanzierten – internationalen Kooperationen erscheint vor allem ein weiteres Detail brisant: großangelegte Bioüberwachungsmaßnahmen. So sollen die Mitgliedstaaten etwa „Maßnahmen und Kapazitäten zur Pandemieprävention und -überwachung schrittweise“ stärken und dafür auf nationaler Ebene einen geeigneten Plan entwerfen.
Bioüberwachung bei Mensch und Tier
Hier ist unter anderem die Sprache von einer „multisektoralen Überwachung zur Erkennung und Risikobewertung neu auftretender oder wiederauftretender Krankheitserreger mit Pandemiepotenzial“. Demnach verpflichten sich die Staaten, selbstständig auch ohne das Vorliegen einer pandemischen Notlage, weitreichende Forschungsmaßnahmen zu ergreifen, um die globalen Entwicklungen von Krankheitserregern zu überwachen.
Das schließt überdies auch Krankheitserreger ein, „die ein erhebliches Risiko einer zoonotischen Übertragung bergen können, und diejenigen Krankheitserreger, die gegen antimikrobielle Wirkstoffe resistent sind“ – also nicht nur im Menschen, sondern auch in der Tierwelt kursierende Krankheitserreger. Sogenannte „spill-over“-Events – als das auch Covid-19 zunächst dargestellt worden war – sollen dahingehend näher beleuchtet werden.
Das geschieht auch mit dem sogenannten „One-Health“-Ansatz, der neben der menschlichen auch die tierische Gesundheitsentwicklung und zudem die Umwelt einbeziehen soll. Wenig verwunderlich ist also, dass die Mitgliedstaaten auch die „Bedeutung und die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit durch wachsende Bedrohungen wie den Klimawandel, Armut und Hunger, fragile und gefährdete Lebensräume“ anerkennen.
Weil diese Faktoren „das Pandemierisiko erhöhen können“, bemühen sich die Mitgliedstaaten, „diese Faktoren bei der Entwicklung und Umsetzung einschlägiger politischer Maßnahmen zu berücksichtigen“. Sie spielen dann also auch bei der Forschung an Krankheitserregern eine Rolle, was wiederum zur Argumentation für weitreichende Klimaschutzmaßnahmen beiträgt.
Die aus den dargestellten Bioüberwachungsmaßnahmen gewonnenen Informationen sollen außerdem international geteilt werden. So können beispielsweise „Materialien und Sequenzinformationen über Erreger mit Pandemiepotenzial“ anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden. Wie genau „Erreger mit Pandemiepotenzial“ definiert werden, bleibt in dem Entwurf unklar.
Benutzt werden soll für den Datenaustausch ein einheitliches System mit dem Namen „Pathogen Access and Benefit-Sharing System“ (zu Deutsch: Pathogen-Zugang- und Vorteilsausgleich-System). Überdies sagen die Mitgliedstaaten zudem „den Austausch von Informationen über Forschungspläne, Prioritäten, Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau und bewährte Praktiken, die für die Umsetzung des WHO-Pandemieabkommens von Bedeutung sind, auch während pandemischer Notfälle“ zu.
„Pandemiebezogene Gesundheitsprodukte“ formen die Zukunft
Das ist wiederum deshalb interessant, weil in dem Abkommen immer wieder die Begriffe „pandemic-related health products“ (zu Deutsch: pandemiebezogene Gesundheitsprodukte) vorkommen. Dahingehend soll jeder Mitgliedstaat „relevante Entwickler und Hersteller“ dazu ermutigen, „sich sorgfältig um behördliche Genehmigungen und Zulassungen“ solcher Produkte und deren „Präqualifikation durch die Weltgesundheitsorganisation zu bemühen“.
Mit anderen Worten: Durch Bioüberwachungsmaßnahmen sollen Forschungen an Erregern ermöglicht werden, um gegen diese auch ohne einen globalen Ausbruch Arzneimittel zu entwickeln. Genutzt werden sollen dafür übrigens nicht nur öffentliche Mittel und Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen. Auch sogenannte „öffentlich-private Partnerschaften“ sollen bei der Umsetzung dieses Ziels helfen.
Aufgrund dieser Vorgänge ist daher nicht ausgeschlossen, dass künftig vielmehr Erreger mit Pandemiepotenzial entdeckt und Produkte, etwa Impfstoffe, dagegen entwickelt werden. Wenn ein Erreger hochpathogen ist, könnte bereits ein Gesundheitsnotstand ausgerufen werden, sollte die WHO eine Pandemie fürchten. Dadurch kann der WHO-Generaldirektor im Rahmen der internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) wiederum weitreichende Empfehlungen aussprechen.
Dennoch hat die WHO eines letztlich ausgeräumt: direkte Eingriffe in die Souveränität der Mitgliedstaaten. Im Laufe der Entwicklung des Pandemieabkommens sowie der neuen internationalen Gesundheitsvorschriften war auch die Befürchtung aufgekommen, die WHO könnte direkt in die Gesundheitspolitik der Länder eingreifen. Im Abkommen heißt es jetzt an zahlreichen Stellen, die beschriebenen Maßnahmen könnten nur im Rahmen des nationalen Rechts umgesetzt werden.
Eingriffe in die jeweilige Gesetzgebung eines Vertragspartners gibt es also nicht, wenngleich sich die Mitgliedstaaten, die das Abkommen ratifizieren, eben zu zahlreichen Handlungen bekennen. So sollen beispielsweise Maßnahmen ergriffen werden, „um die Pandemiekompetenz der Bevölkerung“ sowie „den Zugang zu transparenten, rechtzeitigen, genauen, wissenschaftlich fundierten Informationen über Pandemien“ zu verbessern, „insbesondere durch die Kommunikation des Risikos und die wirksame Einbeziehung der Bevölkerung.“
Damit das Abkommen in Kraft tritt, muss es jetzt noch von den Landesparlamenten angenommen werden – haben 60 Staaten das Abkommen ratifiziert, tritt es offiziell in Kraft. Der Bundestag muss das Abkommen demnach noch in ein nationales Gesetz fassen, dazu hat sich das Parlament bereits 2023 bereit erklärt.
Bioüberwachung und Notstands-Regelung: Das sind die Ziele des globalen Pandemieabkommens