20. Juli 2025

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Seit wann gibt es eigentlich Kriege in Europa?

 

Folgt man christlichen Legenden, hätte das erste Kapitalverbrechen nicht lange nach der Vertreibung aus dem Paradies auf sich warten lassen. Kain, der Sohn des delogierten Paares, soll seinen Bruder Abel erschlagen haben. Der Weg zu Gruppenkonflikten und Kriegen wäre dann mit steigender Bevölkerung nicht mehr weit gewesen sein.

Für Europa macht man uns mit den frühesten Dokumenten bewaffnete Auseinandersetzungen glaubhaft. Der Krieg um Troja vor über 3000 Jahren gilt als erste große Kriegserinnerung im kollektiven Gedächtnis. Wie sicher sind aber die Fakten über diese Ereignisse? Wer die großen Schicksalsschlachten der europäischen Geschichte, die mehr als 1000 Jahre zurückliegen sollen, näher betrachtet, kommt ins Grübeln. Dafür muss man allerdings ChatGPT und andere Fake-Institutionen hinter sich lassen und sollte wenigstens bis zu Wikipedia vordringen. KI-generierte Antworten müssten alleine schon aufgrund ihrer Ja/Nein-Struktur als Desinformation gelöscht werden, da Fragliches entweder zu Gewiss- oder zu Unwahrheiten erklärt wird.

Tatsächlich konnte bisher kaum einer der legendären Schlachtplätze trotz überlieferter Ortsnamen aufgefunden werden. Das Troja, das Heinrich Schliemann in der heutigen Türkei entdeckt haben will, ist der Ausgrabungsort irgendeiner Ansiedlung ohne Bezug zur fraglichen Überlieferung. Über die Abwehr anstürmender Araber durch fränkische Ritter unter einem Karl Martell bei Tours und Poitier im Jahr 732 ranken sich ebenso ausschließlich Spekulationen wie um die Rettung Europas vor den Ungarn von 955 auf dem Lechfeld oder vor den Hunnen auf den Katalaunischen Feldern im Jahr 451. Legendären Seeschlachten gehen die Schiffswracks ab. Dennoch haben sich solche Ereignisse dank des Schulunterrichts tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben: „333 bei Issos Keilerei“.

Phantomschlachten ohne Fakten

Für viele Schlachten fehlen nicht nur beweisende Funde von Überresten und glaubhafte Dokumente von Zeitzeugen. Die Ereignisse sind allesamt erst 100 oder mehr Jahre später erstmals schriftlich niedergelegt worden. Oft beruhen sie nur auf einem einzigen „Bericht“. Sobald es zwei oder drei Darstellungen gibt, widersprechen sich diese in wesentlichen Punkten. Zudem sind deren Verfasser selbst nach offizieller Auffassung von Historikern als wenig verlässlich einzustufen. Wenn nachweislich viele Angaben in solchen nachträglichen Berichten unzutreffend sind, warum sollte dann das Übrige stimmen?

Die legendäre Varusschlacht im Teutoburger Wald haben wir vor kurzem als freie Erfindung eines Renaissance-Fälschers und einiger gerissener Mönche bestätigt.i In der Person des vermeintlich römischen Autors „Tacitus“ (=der Schweigsame) lieferten sie die Geschichte, auf der der Rückzug der Römer in Germanien beruhen würde. Das niedersächsische Kalkriese, das sich seit den 1980er Jahren als Austragungsort reklamiert, ist eine Wunschvorstellung eines strukturschwachen Landkreises und einiger Archäologen. Die dortigen Bodenfunde sind weder datierbar, noch können sie eine Schlacht belegen. Die schon vor 500 Jahren bereitgestellte Schutzbehauptung, dass Arminius, der Sieger der Schlacht, einige Jahre später das Schlachtfeld beräumt hätte, soll die wenigen Artefakte erklären. Auf dem Lechfeld gelten ein einziges Pferdegeschirr und ein einziges Schwert als hinreichend für ein großes Gemetzel!

Die monumentalen Entscheidungsschlachten der Römer gegen die Gallier und die britischen Kelten beruhen auf ebenso dubiosen schriftlichen Grundlagen. Woher die Schreiber ihre Informationen gehabt haben wollen, bleibt im Unklaren. Die angeblich siegreiche Schlacht der Römer gegen eine Kriegstruppe der Kaledoner in Schottland im Jahr 83 ist nur durch einen Bericht des „Tacitus“ überliefert. Trotz intensivster Suche über Jahrhunderte konnte im mutmaßlichen Territorium keine Spur einer bewaffneten Auseinandersetzung gefunden werden. Gleiches trifft auf die Niederschlagung des Boudicca-Aufstandes in England zu. Der amerikanische Philosoph George Santayana (1863-1952) hatte die Datenlage treffend formuliert: „Geschichte ist ein Packen von Lügen über Ereignisse, die nie stattgefunden haben, erzählt von Leuten, die nicht dabei waren.“

In Frankreich macht man uns die Vorgänge mit einer Propagandaschrift des angeblich siegreichen Julius Cäsar glaubhaft. In vier Wochen hätten Cäsars Soldaten bei der Belagerung von Vercingetorix nebenbei einen Belagerungswall mit Graben auf 16 Kilometer und einen zweiten Verteidigungswall gegen das keltische Entsatzheer von 21 Kilometer in wenigen Wochen ausgeschachtet:

Alesia Fortifications

Die Kelten hätten nicht einmal Pferde eingesetzt. Wenig verwunderlich, dass der magische Ort Alesia ebenfalls bis heute nicht lokalisiert werden konnte. Der amerikanische Philologe Aubrey Diller (1903-85) hielt schon 1936 alle antiken Papiere, die nach der Erfindung des Buchdrucks 1454 auftauchten, für Fälschungen, da die Schreiber wegen der neuen Druckerpressen auf dem Trockenen saßen und durch nachgeschobene „Originale“ den „Wasserspiegel“ des Schriftenmeeres anheben mussten.ii

Erst ab dem 11. Jahrhundert haben wir mit den normannischen Eroberungen von England und in Süditalien Angriffskriege, für die es Fakten gibt. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten. Die schriftlichen Quellen bis zum 15. Jahrhundert sind meist angebliche Kopien verlorener Originale, die von Kirchenmännern zurechtgemacht wurden. In der Regel stammen die Darstellungen aus dem Umfeld der angeblichen Sieger. Propaganda geht dann ohnehin über Faktentreue.

Wir wissen nicht wie friedlich unsere keltogermanischen Vorfahren waren, aber die in vermeintlich antiken Schriften aus kirchlichen Werkstätten unterstellten Brutalitäten der „Barbaren“ dürfte eher der Rechtfertigung von Gewalt gegen sie gedient haben. So wie Krankheiten erst mit der Präsenz der katholischen Kirche zur Waffe gegen Menschen (Lepra!) wurde,iii scheinen gewalttätige Konfliktlösungen mit Kreuzzügen und Judenpogromen in den Alltag eingezogen zu sein. Jedenfalls währten Friedenszeiten seit der feudalen Unterdrückung durch skandinavische Ritter und Kirche in Europa selten länger als eine Generation.

Das grausame Vorgehen europäischer Mächte bei der Expansion nach Übersee ab dem 15. Jahrhundert kann als Dacapo des Vorgehens in Europa in den vorhergehenden vier Jahrhunderten gesehen werden.iv Unbarmherzige Waffengewalt und das Recht des militärisch Stärkeren hatten immer Vorrang vor Handel auf Augenhöhe oder gewaltfreien Formen feindlicher Übernahmen.

Fazit

Es war sicher alles ganz anders, als uns bis heute Glauben gemacht wird. Die Wahrheit werden wir nicht mehr herausbekommen. Dennoch ist es weit besser, Leerstellen zu tolerieren als falsche Kriege zu memorieren. Die kollektive Erinnerung häufiger und entscheidender Kriege hat Waffengewalt als unvermeidliche Erscheinung der menschlichen Zivilisation und als Methode der Politik im Bewusstsein verankert. Nur vor diesem Hintergrund konnte Krieg als „gottgefällig“ legitimiert und zum „Vater aller Dinge“ stilisiert werden. Fanden viele dieser Konflikte gar nicht statt, handelt es sich um eine gravierende Fehlwahrnehmung unserer westlichen Zivilisation christlicher Prägung.

Die Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösungen werden damit sträflich unterschätzt. Die aktuellen Kriegstreibereien gedeihen auf dem Boden einer Abfolge von Kriegen, von denen die lange zurückliegenden wahrscheinlich nur Kopfgeburten sind. Eine Fake Past trägt maßgeblich dazu bei, was kommen soll.

Referenzen

ii Diller A: Two Greek Forgeries of the Sixteenth Century. The American Journal of Philology 1936;57(2):124–9; https://doi.org/10.2307/290469

iv Reuther G, Reuther R: Die Eroberung der Alten und Neuen Welt. Mythen und Fakten. Engelsdorfer Verlag 2024

 

 

Seit wann gibt es eigentlich Kriege in Europa?